Die fünf «D» bestimmen die Ökonomie 2024: Deglobalisierung, Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung und Debstabilisierung. Ariane Dehn, Country Head Switzerland bei BNP Paribas Asset Management (BNPP), erörtert im Interview ökologische und ökonomische Aspekte anhand dieser fünf Faktoren.
Ariane Dehn, was kommt Ihnen zum Stichwort Demografie im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung der kommenden Monate in den Sinn?
Wir müssen unseren Erdball fit für die kommenden Generationen machen. Die Energiewende ist da der wichtigste Punkt. Das hängt natürlich auch mit dem Klima zusammen. Es geht ja auch darum, wie viel Naturkapital uns die Erde zur Verfügung stellt. Das Bevölkerungswachstum auf unserem Planeten ist hier ein grosses Thema. Von vier Milliarden Menschen hat sich die Bevölkerung seit den Siebzigerjahren bis heute auf acht Milliarden verdoppelt. Immer mehr Menschen verbrauchen immer mehr Ressourcen. In den Sechzigerjahren hat uns das Naturkapital noch gereicht. Momentan liegen wir bei rund 1,7 Erden, die wir im Durchschnitt «verbrauchen». Industrienationen benötigen den Hauptteil: Die USA verschlingen derzeit etwa vier- bis fünfmal die Ressourcen unseres Planeten.
Stichwort Überalterung in den Industrieländern: In Europa, China und Japan schrumpft die Bevölkerung. Was ergeben sich da für Probleme?
Absolut im Fokus steht das Gesundheitssystem mit der Überalterung. Technischer Fortschritt wird in diesem Bereich einiges leisten: KI hilft bei der Diagnose, bei der Datenarbeit und sogar beim Entwickeln neuer Medikamente und Therapien. Das senkt in Zukunft Kosten. Wir bieten interessierten Investoren einen Health-Care-Innovators-Fonds an, welcher diese Themen spielt. Innerhalb unserer Asset Allocation waren wir 2023 im Health-Care-Sektor nicht übergewichtet.
Aus den Erfahrungen mit den hinter uns liegenden Lieferkettenproblemen kam das Stichwort Deglobalisierung auf die Agenda. Wie weit ist sie schon fortgeschritten?
Neben dem Covid-Pandemie-Schock kamen kriegerischen Konflikte zunächst in der Ukraine und dann in Israel und Palästina dazu. Sie verstärken die Probleme. Die Lieferengpässe kamen zustande, da wir Industrieländer in der Dritten Welt billige Werkbänke geschaffen haben. In der Folge sahen auch Produzenten ihre Chance, höhere Preise durchzusetzen. Es kam also auch zu einer von Produzenten getriebenen Inflation. Das hat natürlich auch dazu geführt, dass verschiedene Firmen dann auch die Möglichkeit hatten, ihre Preismacht durchzudrücken. Die Abhängigkeit zu reduzieren, war für Händler ein Muss.
Das bedeutet ja auch Chancen, weil man wieder in die Heimmärkte investieren muss.
Absolut. Erschwerend kamen allerdings das lange Zeit gewährte, sehr billige Geld der Nationalbanken und die daher anziehende Inflation dazu.
Die Dekarbonisierung kostet allein die Schweiz in den kommenden 26 Jahren 700 bis 800 Milliarden Franken – so viel wie das BIP der Schweiz im Jahr 2022 (781 Milliarden). Spüren Sie Interesse rund um nachhaltige Anlagemöglichkeiten?
Ja. Ein Riesenthema ist natürlich die Energiewende. Gerade in Europa, besonders in Deutschland hatten wir da ein «Hallo, wach». Deutschland hat sich von Atomenergie abgekoppelt, wollte weg von der Kohle, hatte aber nicht genug erneuerbare Energie und setzte auf billiges Gas aus Russland. Die grosse Frage ist: Wie kann ich im Prinzip vor Ort gerade die wahre Energie erzeugen? Und das spielt natürlich auch bei der Energiewende mit rein, egal, ob Sie das Thema erneuerbare Energien oder grünen Wasserstoff nehmen.
Was bringt die Dekarbonisierung voran?
Wenn man Artificial Intelligence auch für die ganzen Lieferketten, Stichwort Smart Mobility, nutzt, erhalten wir eine wesentlich grössere Effizienz. Auch Lieferwege kann man so optimieren. Dekarbonisierung hat ein Riesenpotenzial. Eine Entwicklung fasziniert mich: Anton Flettner hatte vor hundert Jahren schon eine geniale Idee, die Flettner-Rotoren. Bis heute hat sich das nicht durchgesetzt. Doch nun werden die Flettner-Rotoren interessant. Das wirft die Frage auf: Wann ist Innovation gefragt und marktreif? Innovation gibt es ständig, doch sie wird sich nur dann durchsetzen, wenn es ein Momentum dafür gibt. Die Idee von Anton Flettner gewinnt heute, hundert Jahre nach seiner Erfindung, an Bedeutung.
Neue Zeiten, alte Ideen?
Ich denke, per se sind wir in einem Jahrzehnt des Umdenkens. Das hat mit dem Klimawandel zu tun. Der Energieverbrauch steigt weiter an. Nur, welche klimatischen Auswirkungen hat das? Heute fragt man sich: Was kann ich hier vor Ort oder in Europa an Materialien und Energiequellen haben, damit ich nicht abhängig bin.
Was wird wichtiger?
Was in Zukunft ganz wichtig wird, ist die Kreislaufwirtschaft. Dass wir Materialien einfach wieder in den Kreislauf bringen und recyceln, ist zentral, denn ein anderes Riesenproblem unserer Zeit sind die Müllberge. Mittlerweile hat es bald mehr Plastik in den Ozeanen als Fischbestand. Ich denke, dass sich Anleger dessen immer mehr bewusst werden müssen.
Und was bedeutet das für institutionelle Anleger?
Dass hier vermehrt in Zukunftsindustrie, Forschung, Technik, Innovation investiert werden muss, um diese Probleme zu lösen. Das wird jetzt wieder in Dubai an der COP 28 diskutiert. Und es ergeben sich Anlagechancen. Wir bei BNP Paribas haben verschiedene Produkte in diesem Bereich. Wir sind der zweitgrösste Anbieter von klimabezogenen Anlagefonds. Wir haben Produkte zum Thema Biodiversität, Ökosystem-Wiederherstellung, aber auch andere Produkte wie etwa den Blue Economy ETF, der sich um das Thema Gewässer, Meere, Wasser kümmert. Wir haben Wasserfonds, Global Environmental Fonds. Wir haben verschiedene Produkte, wo Sie investieren können. Sogar im Lebensmittelbereich ergeben sich Anlagemöglichkeiten: BNP Paribas hat sogar ein Smart Food Produkt, das sich um nachhaltige Lebensmittel dreht. Sie sehen, wir nehmen uns dem ESG-Thema absolut aktiv an. BNP Paribas Asset Management ist einer der grössten Anbieter von nachhaltigen thematischen Fonds nach Artikel 8 und Artikel 9 nach der Sustainable Finance Disclosure Regulation, kurz SFDR.
Sie sehen Wachstumschancen bei nachhaltigen Anlagen?
Ich sehe grosse Wachstumschancen für die Zukunft. Ich vergleiche die heutige Situation mit jener vor zwanzig Jahren, als der Technologiebereich hip wurde. Das heisst, im Bereich nachhaltige Anlagen gibt es schon ein grosses Angebot, aber es besteht noch weiteres Potenzial, dort liegt die Zukunft. Für Investoren, die lieber im Fixed-Income-Bereich anlegen, gibt es zudem die Möglichkeit, in Green Bonds zu investieren.
Nun zum Stichwort Destabilisierung. Diese kann ja durch Klima, Unruhen, durch Politik und Kriege entstehen. Wo sehen Sie die grössten Gefahren?
Ganz ehrlich, es ist sehr, sehr schwierig, politische Entwicklungen abzusehen. Und die Auswirkungen dieser politischen Brandherde abzuschätzen, ist auch sehr schwierig. Oft geht es bei Konflikten zwischen Staaten um den Zugang zu Ressourcen. Beim Russland-Ukraine-Konflikt geht es um den Meereszugang. Sehr oft dreht sich das um diese Dinge. Welchen Einfluss hat das auf die Börse? Gibt es Folgeeffekte? Im Vornherein lässt sich das alles sehr schwer abschätzen.
Zum nächsten der fünf «D»: Die Digitalisierung haben wir zwar schon angetippt. Welche Entwicklung erwarten Sie hier?
Es wird eine grosse Sache. Wir haben einen Disruptive-Technology-Fonds, der sich mit der gesamten Bandbreite neuer Techniken beschäftigt. Innovationen führen dazu, dass Geschäftsmodelle positiv «disrupted» (gestört/zum Erliegen gebracht, Red.) werden. Ein Beispiel: Früher gab es die gelben Seiten oder Telefonbücher. Darin konnte man auch viel Werbung platzieren. Das war ein richtig profitables Business. Das ist komplett verschwunden, weil man digital gegangen ist. Heute schaue ich alles im Smartphone nach.
KI wird das noch potenzieren. Sehen Sie das auch so?
Ja, punkto Artificial Intelligence sehen wir hohes Potenzial. Daten werden mithilfe von Technologien viel systematischer, schneller und präziser verarbeitet. Einen Anwendungsbereich nannte ich schon: den Gesundheitsbereich. Bei der Diagnose, aber auch bei der Entwicklung von neuen Therapien und individualisierten Therapien wird uns die Hochtechnologie helfen. Der nächste Bereich ist Bildung. Es wird einfacher sein, Bildung vielen Menschen zugänglicher zu machen. Wie sich das Bevölkerungswachstum entwickelt hat, hat sich auch die ganze Wissensgesellschaft extrem entwickelt.