Der Jurist Tadas Zukas veröffentlichte mit «Regulating Sustainable Finance in Europe» ein Handbuch über die Regulierungen in der nachhaltigen Finanzwirtschaft. Im Interview erklärt er unter anderem, was das für Schweizer Unternehmen bedeutet und welche Rolle KI zukünftig bei der Weiterentwicklung spielen wird.
Herr Zukas, Sie haben mit «Regulating Sustainable Finance in Europe» einen Guide für die Gesetzeslage im Bereich Sustainable Finance geschrieben. Wie kam es dazu?
Das Buch entstand aus meinem Beitrag für eine Festschrift an einen renommierten Schweizer Wissenschafter, der eine Professur für das Recht der nachhaltigen Wirtschaft an der Universität Luzern innehat. Was ihn auf der theoretischen Ebene beschäftigt und mich auf der praktischen Ebene, wollte ich verbinden, denn es gab keine derartige Lektüre.
Ein wesentlicher Punkt in dem Buch ist der sogenannte European Sustainable Finance Action Plan. Weshalb ist dieser so zentral?
Es handelt sich dabei um ein sehr relevantes Dokument, obwohl es formell eigentlich nur eine Mitteilung der EU-Kommission, einen Aktionsplan, ein politisches Programm darstellt. Inhaltlich aber ist das Dokument ein legislatives, regulatorisches Programm für die kommenden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Das Dokument erläutert, welche Gesetze im Bereich Sustainable Finance kommen, welche Themen sie adressieren werden.
Die Idee dabei ist, der Finanzindustrie zu ermöglichen, ihren Beitrag zu leisten, um die Ziele des Pariser Klimaübereinkommens und der UN-SDGs zu erreichen. Die Gesetze, über die wir heute sprechen, wurden mit dem Aktionsplan angekündigt.
Die Sustainable-Finance-Thematik ist ja schon seit den 2010er-Jahren sehr aktuell. Etwa bezogen auf all die Fintechs und grünen Produkte. Wie sah diesbezüglich denn die regulatorische Entwicklung der letzten Jahre aus?
2015 kam das Pariser Klimaabkommen, und ab 2018 folgten verschiedene Gesetze im Bereich Sustainable Finance, wie etwa die Taxonomieverordnung. Ab da kamen im Jahrestakt komplexe Gesetze mit mittlerweile Tausenden Seiten.
Verunsichert das nicht viele Banken, wenn im Jahrestakt neue Gesetze kommen?
Das generiert tatsächlich viel Aufwand und Kosten für den Markt. Die führenden Firmen der Finanzindustrie bereiten sich aber zusätzlich darauf vor, wie die Gesetze in zwei, drei Jahren sein werden. Zu wissen, wie die Gesetze gestern waren oder heute sind, reicht nicht, um langfristig planen zu können.
Welche Aspekte betrifft das denn bei Banken, die sich mit Sustainable Finance beschäftigen?
Die EU-Regulierungen haben die zentralen Gesetze mittlerweile in Kraft, also die Taxonomieregulierung, die definiert, was als grün qualifiziert werden darf und was nicht. Weiter gibt es die Offenlegungsverordnung, besser bekannt als Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR), und dann die neuen Bestimmungen der europäischen Richtlinie zum Vertrieb von Finanzinstrumenten (MiFID II) zum Thema Nachhaltigkeit. Wichtig ist auch die Corporate-Reporting-Seite, wo die Herausforderung ansteht, sicherzustellen, dass die vorhandenen ESG-Daten über die Firmen, über die Realwirtschaft fliessen. Zu diesem Zweck wurde als Teil des Aktionsplans die neue Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, die CSRD, ins Leben gerufen.
Brauchen sich kleinere Fintechs, die nicht Hunderte von Mitarbeitenden haben, vor den kommenden Sustainable-Finance-Gesetzen fürchten?
Zunächst ist es wichtig, zu sagen, dass die Regulierungen primär die grösseren Finanzinstitute betreffen. Man braucht nicht Hunderte Mitarbeitende, um diese Sachen zu analysieren und zu verstehen. Gewisse Startups orientieren sich zum Teil schneller und besser in der neuen Umgebung. Für Startups entstehen durch die neuen Regulierungen durchaus auch Chancen.
Aber die Regelungen sind meist schon so gebaut, dass sie die grossen Firmen zuerst ansprechen. Es wird versucht, dann für KMU besondere Reportingstandards und Pakete zu entwickeln, die den Einstieg erleichtern sollen.
Ich bin gespannt, wie der Markt funktionieren wird, ob die Regulierungen aufgenommen werden. Denn es heisst eben nicht, dass eine gewisse Grösse gleich die Garantie dafür ist, dass die Umsetzung und die darauf basierende Geschäftsstrategie gelingen.
Sie sprechen in ihrem Buch von einer «New Maturity», welche in der Sustainable Finance einkehrt. Hat demnach in der Sustainable Finance ein Paradigmenwechsel bereits stattgefunden? Oder sind wir gar inmitten des Paradigmenwechsels?
Wir sind insofern in einer neuen Phase, als dass die wichtigsten Gesetze des Aktionsplans – die Taxonomieverordnung, die Offenlegungsverordnung, MiFID-II-Anpassungen und die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen – da sind und wir immer mehr vom viel genannten Phänomen «Greenwashing» verstehen.
Die EU hat alle Kernthemen von Sustainable Finance im regulatorischen Raum adressiert. Hinzu kommt ein besseres Verständnis dafür, wie wichtig das Thema Transition Finance ist. Es geht dabei darum, in Firmen, die nicht grün sind, zu investieren und sie dann mit Instrumenten, mit Methoden nachhaltigen Investierens, nachhaltiger zu machen. Denn klar ist es wichtig, in Unternehmen zu investieren, die schon jetzt nachhaltig und grün sind, aber ebenso wichtig ist es, jene auf die Reise mitzunehmen, die noch nicht so weit sind.
Tadas Zukas ist Global Lead Senior Legal Counsel Sustainability/ESG bei Vontobel. In seiner Rolle als auf regulatorische ESG-Themen spezialisierter Inhouse Counsel deckt er das gesamte Spektrum der Sustainable-Finance-Thematik auf Gruppenebene ab. Zukas ist der Autor des kürzlich erschienenen Buches «Regulating Sustainable Finance in Europe» (Duncker & Humblot, 2024). Er ist ein gelegentlicher Gastreferent zu regulatorischen ESG-Themen an der «Vortragsreihe am Mittag» des Europa Instituts Zürich und lehrt ausserdem in einem Modul zum Thema Greenwashing-Risiko im Rahmen des Executive-Sustainable-Finance-Programms der Universität Zürich. Zukas hat an der Universität Luzern promoviert und verfügt zudem über LL.M.- und CAS-Abschlüsse in Sustainable Finance der Universität Zürich.
Nun spielt Nachhaltigkeit ja nicht überall eine so grosse Rolle wie in Europa. Ist auch die Regulierung von Sustainable Finance ein europäischer Diskurs?
Nein, die Regulierung von Sustainable Finance ist kein rein europäisches Thema. Was viele nicht wissen, ist, dass es die SEC war, die Aufsichtsbehörde in den USA, die als Erste die sogenannten Names Rule, also Vorschriften für Fondsnamen, im Oktober letzten Jahres auf die ESG-Fonds ausgeweitet hat. Das heisst: Wenn ein Investmentfonds in seinem Namen einen ESG-Fokus angibt, müssen mindestens 80 Prozent der Assets entsprechend diesem Fokus investiert werden. Nach den USA kamen England und die EU, und seit Dezember 2022 wissen wir ja auch, was die Position des Schweizer Bundesrats zu dieser Frage ist.
Interessant ist zudem Australien. Dort hat die lokale Kapitalmarktaufsichtsbehörde vor bald drei Jahren angekündigt, dass sie eine Art Anti-Greenwashing-Kampagne starten wird, was faktisch zu «Regulation by Enforcement» führt.
Sie haben mehrfach den Begriff Greenwashing erwähnt. Lässt sich ganz plakativ sagen, dass diese ganzen Regularien in der Sustainable Finance das Ziel haben, Greenwashing zu verhindern oder zu minimieren?
Ich würde sagen, das ist ein sehr wichtiger Teil des Vorhabens. Aber diese Formulierung ist negativ. Der Gesetzgeber verwendet die positive Formulierung, nämlich: Es werden Kapitalflüsse von den Investoren und Investorinnen, die das wollen, in die Richtung gelenkt, die zur nachhaltigen Wirtschaft einen Beitrag leistet.
Wie werden sich die Sustainable-Finance-Regularien denn in den kommenden Jahren verändern?
Aus der aktuellen Perspektive wissen wir, in welche Richtung der Bereich geht. In den ersten fünf Jahren nach der Publikation des Aktionsplans lag der Fokus auf der Produktseite, seit 2023 dehnt sich der Fokus auch auf Corporate-Reporting aus, und ab 2028 können wir mit der geplanten Lancierung des «European Single Access Point» erwarten, dass die Flüsse der produkt- und unternehmensbezogenen ESG-Information ein neues Qualitätsniveau erreichen werden. Die Kernkonzepte bleiben aber da. Der Markt hat auch ein besseres Verständnis davon, was ein Nachhaltigkeitsrisiko und was ein Nachhaltigkeitsinvestment ist – und wie wichtig es ist, diese voneinander zu unterscheiden.
Zudem gibt es auf allen Seiten die Hoffnung, dass mit künstlicher Intelligenz diese detaillierten Reportingdokumente, diese komplexen ESG-Daten und Datensammlungen, verarbeitet werden. Man spricht übrigens darüber auch in den Strategien von Aufsichtsbehörden: Auch sie denken daran, mit Big Data und KI-Tools die grossen Datenmengen zu analysieren.
Welche Entwicklung ist denn in der Schweiz zu erwarten?
Die Schweiz setzt weiterhin auf die bewährte Tradition der Selbstregulierung und orientiert sich dabei generell an den Entwicklungen in der EU. Aus der Pressemitteilung des Bundesrats im letzten Oktober wissen wir, dass wir bis spätestens Ende August dieses Jahres mehr Information über die weitere Entwicklung erwarten dürfen.