Die Staatsverschuldung ist zurück in den Schlagzeilen. Sind höhere Staatsschulden gut oder schlecht? An dieser Frage ist vor wenigen Tagen die deutsche Bundesregierung zerbrochen. Zumindest vordergründig war es der anhaltende Streit über den Umgang mit der Schuldenbremse, der zum Bruch der sogenannten Ampelkoalition führte. Finanzminister Christian Lindner wollte strikt an der Schuldenbremse festhalten und lehnte höhere Schulden ab. Bundeskanzler Olaf Scholz verlangte laut Lindner, die Schuldenbremse auszusetzen.

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Tatsächlich war der Streit um die Schuldenbremse wohl nur der Auslöser. Die Ursache für den Bruch der Koalition war wohl eher, dass es zwischen der FDP auf der einen Seite und der SPD und den Grünen auf der anderen Seite auf fast allen relevanten Politikfeldern inhaltliche Differenzen gab. Das gilt vor allem für die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Unterschiede zwischen der liberalen FDP (die den Finanzminister stellte) und der SPD (stellt den Bundeskanzler) sowie den Grünen (stellen den Wirtschaftsminister) waren einfach zu gross. Es gab keine gemeinsame Linie mehr für die wichtigen Politikfelder wie Klimaschutz, Energie, Verteidigung und Wachstum.

Nachdem die Schuldenbremse Ende 2023 vom Bundesverfassungsgericht geschärft und Schlupflöcher geschlossen worden waren, musste sich die Regierung innerhalb der finanzpolitischen Leitplanken bewegen. Kostspielige Kompromisse zwischen den Koalitionspartnern konnten nun nicht mehr durch höhere Schulden finanziert werden. Seither tobt nicht nur zwischen den Koalitionspartnern, sondern auch in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit der Streit über den Sinn der Schuldenbremse und die Vor- und Nachteile höherer Staatsschulden.

Der Internationale Währungsfonds warnt vor zu hohen Schulden

Szenenwechsel: Während in Deutschland über die Schuldenbremse gestritten wird, hat der Internationale Währungsfonds (IWF) in Washington im Oktober seinen «Fiscal Monitor» veröffentlicht. Zweimal pro Jahr analysiert der IWF in dieser Publikationsreihe die Staatsfinanzen der Industrienationen sowie der Schwellen- und Entwicklungsländer. Der aktuelle «Fiscal Monitor» trägt den Titel «Putting a Lid on Public Debt», also sinngemäss: «Einen Deckel auf die Staatsverschuldung setzen». Der IWF legt in dieser Publikation dar, wie hoch die Staatsschulden sind und dass die Zeit reif ist für einen strategischen Schwenk in der Finanzpolitik: Ende 2024 würden die globalen Staatsschulden voraussichtlich über 100 Billionen Dollar liegen, das sind 93 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher, dann wird sich laut IWF die globale Schuldenquote bis zum Ende des Jahrzehnts der 100-Prozent-Marke nähern und damit den Höchststand in der Pandemie übertreffen.

Der IWF schlussfolgert, dass die hoch verschuldeten Staaten, bei denen aktuell auch keine Stabilisierung oder Reduktion der Staatsverschuldung zu erkennen ist, umsteuern müssen. Oftmals handelt es sich dabei um etablierte Industrieländer wie die USA oder Frankreich. Die Warnung gilt umso mehr, als sich gezeigt hat, dass die Schulden tatsächlich oft noch schneller steigen, als es die Prognosen hätten erwarten lassen. Die Experten und Expertinnen des Währungsfonds betonen, wie schwer es in der politischen Praxis ist, die Staatsfinanzen zu konsolidieren, unter anderem weil derzeit hohe staatliche Ausgaben in Infrastruktur, Verteidigung, Bildung oder Wettbewerbsfähigkeit zu leisten sind.

Über den Autor

Dr. Jörn Quitzau ist Chief Economist bei der Privatbank Bergos.

Der IWF empfiehlt den hoch verschuldeten Industrieländern, ihre Ausgaben umzuschichten, Reformen voranzutreiben, die Einnahmen möglichst durch indirekte Steuern zu erhöhen und ineffiziente Steueranreize abzuschaffen. Und die Länder müssen in ihrer Haushaltspolitik für Glaubwürdigkeit sorgen. Dass der IWF hier so klare Positionen bezieht, mag dem glücklichen Umstand zu verdanken sein, dass der Direktor des Fiscal Affairs Department beim IWF Vitor Gaspar heisst: Gaspar war von 2011 bis 2013 – also während der Euro-Krise – portugiesischer Finanzminister; er kennt eine Schuldenkrise und die Härten ihrer Bewältigung also aus eigener Anschauung.

Schuldenbremse: Die Schweiz als Vorbild

Wenn es um glaubwürdige und nachhaltige Sanierung der Staatsfinanzen geht, drängt sich der Blick in die Schweiz auf. Hier zeigt sich der Wert einer glaubwürdigen Schuldenbremse. In den 1990er-Jahren waren die Bruttoschulden des Staates kräftig angestiegen und bewegten sich in Richtung 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts BIP. Als die Schuldenbremse im Jahr 2003 erstmals angewendet wurde, lag die Schuldenquote der Schweiz laut IWF bei (brutto) rund 57 Prozent des BIP. Anschliessend sank die Schuldenquote schnell – schon 2007 lag sie bei nur noch knapp 45 Prozent. Inzwischen ist sie auf dem Weg Richtung 30 Prozent. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen ist gelungen, ohne dass der Standort Schweiz Schaden genommen hätte. Im Gegenteil: Die Schweiz ist als sicherer Anlagehafen in hohem Masse nachgefragt, was sich nicht zuletzt am hohen Franken-Wechselkurs zeigt.

Auch Deutschland, das sich an der Schweiz orientierte, konnte seit der Einführung der Schuldenbremse grosse Konsolidierungserfolge erzielen. Bis dahin hatte die deutsche Schuldenquote nur eine Richtung gekannt: nach oben. Wegen der globalen Finanzkrise war der Schuldenstand schliesslich auf rund 80 Prozent des BIP gestiegen. Mit der 2009 beschlossenen Schuldenbremse war die Trendwende und ein Rückgang der Schuldenquote auf 60 Prozent gelungen, bevor die Quote pandemiebedingt vorübergehend wieder anstieg. 

Länder wie die Schweiz und Deutschland zeigen also, dass glaubwürdige Fiskalregeln zur nachhaltigen Stabilisierung der öffentlichen Haushalte führen. Hieran können sich Länder wie die USA, Frankreich oder Italien ein Beispiel nehmen. Dass ausgerechnet in Deutschland die Schuldenbremse oft als Zukunftsbremse gebrandmarkt wird, mutet mit Blick auf die tatsächlichen Zahlen seltsam an. Die Schuldenbremse zwingt die handelnden Politikerinnen und Politiker lediglich dazu, Ausgabenwünsche zu priorisieren. Das ist ungemütlich, aber notwendig. Über die Details von Schuldenregeln kann man immer diskutieren und gegebenenfalls nachjustieren. Aber der Geist der Regeln darf nicht leichtfertig aufgegeben werden. 

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