Die Verwirklichung von Netto-Null bis 2050 könnte sich als die grösste Kapitalumschichtung in der Geschichte erweisen – weltweit. Zwei McKinsey-Studien, «The Great Banking Transition» und der «Private Banking Survey», nennen allein für die Schweiz bis 2050 Investitionen in der Höhe von 700 bis 800 Milliarden Franken. Diese horrende Summe muss investiert werden, um die hiesige Wirtschaft grün zu machen. Zu diesem Schluss kommt Christian Zahn, Co-Leader Asset and Wealth Management in Europa bei McKinsey. Traditionellen Bankhäusern, aber auch neu entstehenden Online-Finanzinstituten, kommt eine Schlüsselrolle angesichts der enormen Transformationskosten zu.
Herr Zahn, KI und neue Finanzierungsformen wie Crowdfunding-Plattformen und Onlinebanken fordern traditionelle Banken heraus. Wer macht unter welchen Umständen das Rennen?
Um sich beim Kunden zu profilieren, ist KI auch für traditionelle Player vor allem eine Chance: Gezielte Anwendung kann die Kundenberatung optimieren, die Arbeitsprozesse für die Mitarbeitenden der Banken spannender gestalten und die Produktivität steigern. Daten und Technologie ermöglichen Skaleneffekte. In beratungsintensiven Geschäften wie mit Firmen- oder Privatbank-Kunden gilt auch künftig: Der zwischenmenschliche Faktor muss erhalten und durch KI verbessert werden. Im Massengeschäft für den einfachen Zahlungsverkehr haben neue Online-only-Modelle durchaus Relevanz.
ESG-Anlagemöglichkeiten und grüne Investments sind sehr populär bei institutionellen Anlegern und Privatanlegerinnen. Doch das Angebot ist nur selten wirklich grün. Vielmehr wird den entsprechenden ETF oder Anleihen durch die Finanzinstitute ein grünes Mäntelchen übergestülpt. Woran liegt das?
Solche Fälle kann es geben, aber wir meinen: Die meisten Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer haben echte Ambitionen, positiven Impact zu erzeugen. Grüne Anlagemöglichkeiten werden anhand von klar gesetzten Rahmenbedingungen und Reporting-Standards kategorisiert. Sie sind schon lange kein Nischenprodukt mehr, denn es besteht insbesondere bei institutionellen Investoren der Wille, anhand dieser Kriterien zu investieren. Jetzt ist der Zeitpunkt für die Branche gekommen, sich vermehrt zu illiquiden Finanzierungsmöglichkeiten hinzubewegen, um noch stärker Investitionen in die Finanzierung der grünen Transformation zu ermöglichen.
Die ESG-Taxonomie, die seit 1. Januar 2022 im EWR gilt, bietet schon heute die Möglichkeit, Investmentchancen grün auszurichten. Warum sind grüne Anlagemöglichkeiten heute noch so dünn gesät?
Die meisten ESG-Produkte verfolgen breitere Ziele, aber für Impact- und Themenfonds gelten sehr strikte Kriterien. Auf die Taxonomie und bestehende liquide Anlagen hat die Branche reagiert. Klassische Kapitalmarktinstrumente sind jedoch mitunter nicht ausreichend. Die eigentliche Finanzierung der Transformation, z. B. die Produktion und Energiewirtschaft, muss daher auch über nicht-liquide Mittel wie Immobilien, Infrastruktur, Private Equity, Private Debt investierbar werden bzw. durch neuartige Kombinationen von privatem und staatlichem Kapital.
Gemäss Ihrer Studie «The Great Banking Transition» benötigen wir allein in der Schweiz bis ins Jahr 2050 ein Finanzierungsvolumen zwischen 700 und 800 Milliarden Franken für den nachhaltigen Wandel unserer Wirtschaft. Wo ist der Bedarf am grössten?
Das Spektrum reicht von elektrischen Fahrzeugen und Ladeinfrastruktur über Bautätigkeit – hier sind die Elektrifizierung der Heizung, intelligente Gebäudesysteme in Wohn- und Gewerbeeinheiten gute Beispiele – bis hin zum Ausbau der Kapazitäten für erneuerbare Energien und des Umbaus ganzer Fertigungs- und Lieferketten in der Industrie. Dies alles mit dem Ziel, auch die eingekauften Rohstoffe möglichst «grün» zu bekommen.
700 und 800 Milliarden Franken ist ein unglaublich hoher Betrag. Er entspricht dem Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz im Jahr 2022 (781,46 Milliarden). Wie kommen Sie auf diese Zahl?
«Durch Vivid Economic und Planetrics verfügt McKinsey über umfassende Analysekompetenzen in den Bereichen Nachhaltigkeit und Makroökonomie. Im Rahmen unserer Studien erheben wir selber Daten und verwerten Information, die uns von renommierten Institutionen zugänglich gemacht werden. Auch können anhand globaler Entwicklungen Rückschlüsse gezogen werden: Die Verwirklichung von Netto-Null bis 2050 könnte sich als die grösste Kapitalumschichtung in der Geschichte erweisen, denn zur Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien und um das 1,5-Grad-Celsius-Ziel zu erreichen sind Investitionen in der Grössenordnung von 6 bis 7 Prozent des globalen BIP (GDP) pro Jahr erforderlich. Im weltweiten Vergleich steht die Schweiz mit 4 bis 5 Prozent des BIP durch bereits erzielte Fortschritte etwas besser da.»
Trifft Ihre Zahl wirklich zu, würde das bedeuten: In den kommenden 27 Jahren müssten jährlich rund 30 Milliarden Franken – knapp 5 Prozent des BIP – allein in den ökologischen Umbau der Schweizer Wirtschaft gesteckt werden. Ist das überhaupt machbar neben allen anderen Herausforderungen, die zu stemmen sind?
Das ist kein Schweiz-spezifisches, sondern ein globales Anliegen. Doch weltweit ist zu beobachten, dass die Umschichtung von Kapital hin zu kohlenstoffarmen Investitionen nicht im nötigen Tempo und Umfang erfolgt, was auch daran liegt, dass etwa 20 bis 40 Prozent der benötigten grünen Kapitalinvestitionen erhebliche Probleme mit der Finanzierbarkeit haben. Kurzfristig sehen wir eine Erhöhung der Gesamtinvestitionen, aber langfristig gesehen sind dies zu einem grossen Teil auch Ersatzinvestitionen.
Den Banken kommt gemäss Ihrer aktuellen Studie eine besondere Bedeutung in dieser grünen Transformation zu. Glauben Sie daran, dass die Finanzwirtschaft und vor allem traditionelle Banken dieser Herausforderung gewachsen sind?
Sie nehmen zwei Schlüsselrollen ein: Vermittlung der Investitionen und Ermöglichung der Finanzierung auf der eigenen Bilanz. In der Vergangenheit haben Banken gezeigt, dass sie Risiken und Fristen transformieren können – wie in unserem letzten Report gezeigt auch unter Nutzung von Verbriefungen. Sie werden nun ihre bestehenden Fähigkeiten im Bereich der Risikoanalyse- und Bewertung sowie zur Vermittlung zwischen Risikoappetit von Investoren und Risikoprofilen weiter ausbauen. Um dies zu bewerkstelligen, brauchen sie zusätzliche Kompetenzen, um Klimatechnologien bewerten zu können in Kombination mit Technologie und Daten. Auch neue Finanzierungsmöglichkeiten wie Asset-Backed-Lending müssen in Betracht gezogen werden.