Wir erinnern uns: Letztes Jahr sagte Bundesrat Alain Berset seinen berühmten Spruch «Wir können Corona». Es war eine sehr optimistische Aussage, die der Gesundheitsminister heute vielleicht nicht mehr machen würde.
Immerhin: Auf viele Unternehmen und Verwaltungen trifft der Ausspruch zu. Sie bewiesen während der Pandemie erstaunlich viel Flexibilität, sie führten Homeoffice, digitale Tools und neue Arbeitsformen ein, wo das früher nicht üblich gewesen war.
Können Firmen «Nach-Corona»?
Nun aber kommt der Test, und das ist das eigentliche Thema des Artikel: Können Unternehmen auch Nach-Corona? Denn im Sommer werden die meisten Mitarbeitenden in die Büros zurückkehren.
Dann wird sich weisen, ob die Firmen die Erfahrungen der Pandemie umsetzen oder die Methoden und Abläufe von früher anwenden. Der Wunsch nach Veränderungen ist zumindest bei den Angestellten gross, wie verschiedene Umfragen zeigen: Die meisten Menschen möchten flexibler und öfter von zuhause aus arbeiten.
Traditionalisten, Vorreiter – und der grosse Rest
Aktuell liessen sich die Unternehmen grob in drei Kategorien einteilen, sagt Barbara Josef, Co-Gründerin der Organisationsberatungs-Firma 5-9:
- Jene, die keine Veränderungen möchten.
- Die Vorreiter, die ihre Arbeitsweisen flexibilisierten und neue Technologien durchgängig einsetzen.
- Und die grosse Mehrheit, die vorerst nur «punktuell» Anpassungen planten.
Das Gros wartet vorerst ab. Dieser Eindruck verfestigt sich in einer kleinen Umfrage.
«Wir machen uns Überlegungen, wie wir in Zukunft zusammenarbeiten wollen», heisst es bei Swisscom.
Der Telekomkonzern geht davon aus, dass Mitarbeitende nach der Pandemie vermehrt im Homeoffice arbeiten möchten und prüft «im Rahmen eines Projekts, welche Anpassungen notwendig sein werden». Ähnlich äussern sich die Post, Raiffeisen und Swiss Life.
Viel Freiraum bei Raiffeisen
Die Unternehmen betonen, dass Homeoffice und flexible Arbeit bei ihnen schon lange gepflegt werden – so bei Raiffeisen Schweiz: «Mitarbeitende können grundsätzlich und unabhängig von der Corona-Pandemie in Absprache mit ihrer vorgesetzten Person 80 Prozent ihrer Arbeitszeit von einem anderen Ort aus arbeiten, falls ihre Tätigkeit dies zulässt.»
Nun seien die Chefinnen gefordert, resümiert Barbara Josef: Die New-Work-Expertin rät allen Unternehmen zumindest zu einer Standortbestimmung. Also zu einer Bestandesaufnahme, was in der Pandemie funktioniert hat und woran die Firma festhalten will.
Dabei geht es um Fragen wie: Welche Abläufe und Umgangsformen sollen weiterhin gelten? Welche virtuellen Meetings und Software haben sich bewährt? «Durch die Pandemie wurden Unternehmen und Verwaltungen in ihrer Entwicklung fünf bis zehn Jahre nach vorne katapultiert», sagt die Expertin.
Das Büro verlor an Status
Hinzu kommt: Corona hat dem Büro den Status genommen – und darin sieht Barbara Josef eine grosse Chance. Vielerorts war der Arbeitsplatz bisher mit viel Prestige verbunden. Das Einzelbüro signalisierte: Hier arbeitet eine wichtige Person.
Desk-Sharing und Grossraumbüros wurden indessen als belastend empfunden. «Die Pandemie hat alte Denkmuster aufgebrochen. Nun sind neue Deals möglich», sagt Josef. Die Mitarbeitenden erhalten mehr Freiheit zu entscheiden, wann, wo und wie sie arbeiten. Und sie sind im Gegenzug eher bereit, sich auf neue Ansätze wie geteilte Flächen einzulassen.
Das Büro wird zur Lounge
Das typische Schweizer Büro könnte in Zukunft einem Club ähneln: Einem einladend gestalteten Ort also, der vor allem dem Austausch dient, der Ideenfindung und der kreativen Arbeit. Statt mit Pulten vollgestellt sind die Räume offen, zu sehen sind Büro- und Konferenztische, Sofas und abgeschirmte Arbeitsecken.
Die Belegschaft kommt nicht mehr täglich ins Büro und arbeitet an manchen Tagen dort, wo es Sinn ergibt: im Homeoffice, in einem Coworking-Space. Oder an einem Firmenstandort, der näher beim Zuhause liegt.
Viele Schweizerinnen und Schweizer wollen auch in Zukunft von zu Hause arbeiten. Für Vorgesetzte bringt dieser Wandel neue Herausforderungen.
Eine Präsenzpflicht ergibt wenig Sinn
Barbara Josef rät den Firmen davon ab, auf eine Präsenzquote zu setzen und beispielsweise den Anteil der Zeit vorzuschreiben, an denen alle Angestellten im Büro sein müssen. «Damit erreicht man das Gegenteil von dem was nötig ist: Eigenverantwortung und gesunder Menschenverstand. Es wird viele Wochen geben, in denen es unnötig ist, alle Teams für drei oder vier Tage ins Büro zu rufen. Dafür gibt es andere, wo nur Präsenzformate sinnvoll sind.»
Echte Flexibilität komme mit sehr wenigen fixen Vorgaben aus. «In der Pandemie haben die Angestellten bewiesen, dass sie selbständig arbeiten können», findet die Expertin.