Was die Stasi-Methoden beim deutschen Lebensmittel-Discounter Lidl 2008 waren – Privatdetektive, Tonbandaufnahmen, Miniaturkameras –, das sind die High-Tech-Überwachungsmethoden beim Online-Handelsgiganten Amazon heute: Kontrollarmbänder, Navigationsprogramme, Wärmebildkameras und Scanner – alles zur Überwachung der Belegschaften in Geschäften und Lagerhäusern.

In beiden Fällen sollte unliebsames Geschnatter der Mitarbeiter, Zusammenrottungen, gewerkschaftliche Formierungen und Arbeitspausen gesenkt oder unterbunden werden. Wenn ein Mitarbeiter nicht pariert, wird er versetzt: So können Arbeitnehmer-Gruppierungen im Keim erstickt werden. Im Amazon-Sprech läuft das unter «Produktivitätssteigerung».

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Das hat eine Gruppe von Journalisten des Open Markets Institute herausgefunden, einem Think Tank, der sich der Bekämpfung von Marktmissbrauch und Monopolen verschrieben hat. Die Nachrichtenagentur Reuters hat Amazon mehrfach um eine Stellungnahme gebeten. Aber der US-Riese schweigt. 

«Nur ihren Ärzten und dem Militär vertrauen die Amerikaner mehr als Amazon.»

Jeff Bezos

Im Vergleich zum Lidl-Fall vom letzten Jahrzehnt scheinen die Amazon-Massnahmen noch viel dreister. Filmaufnahmen würden laut OPI systematisch ausgewertet, und anhand von Wärmebildern soll die Stimmung unter den Angestellten erkannt werden können. Damit das Management herausfinden kann, in welcher Filiale die Bildung einer Interessenvertretung von Arbeitnehmern droht.

Das geht über die analogen Lidl-Methoden weit hinaus, der für sein Vergehen läppische 1,46 Millionen Euro Strafe zahlen musste. Würde der Amazon-Fall je zu einer Verurteilung führen – man ist immerhin in den klagefreudigen USA –, so könnte eine Busse auch deutlich höher ausfallen. 

Allerdings gibt es keine Anzeichen dafür, dass dies je passieren wird. Amazon dürfte dafür schlicht zu mächtig sein. Während es entsetzte Berichte über Jeff Bezos’ «Big Brother»-Anwandlungen hagelt, steigt die Aktie des Online-Riesen unentwegt. Und Meldungen über die Zulassung eines neuen Drohnen-Zustelldienstes von Amazon durch die US-Luftfahrtbehörde übertünchen den Skandal.

Drohne vor Überwachungskamera

Amazons Plan ist, mit der sogenannten «Prime-Air»-Flotte Einkäufe von zunächst kleineren Haushaltsartikeln wie Zahnpasta und Rasierer binnen 30 Minuten zu liefern. Es ist vielmehr diese Meldung, die den Nachrichtenfluss dominiert, nicht die Drangsalierung der Mitarbeiter. Perfektes Timing für die Bewerbung einer neuen Produktidee.

Bereits das Antitrust-Hearing am 29. Juli vor dem US-Kongress, wo Jeff Bezos persönlich zur Stellung nehmen musste, hat bis heute keine Konsequenzen. Zwar ging es primär um die Verwendung von Daten und die Unternehmenspolitik gegenüber Drittanbietern, unter anderen auf der Amazon-Plattform. Dennoch liess Amazon-Chef Bezos tief blicken, wie er Amazons Stellung in der Welt sieht sieht: «80 Prozent er Amerikaner haben insgesamt einen positiven Eindruck von Amazon. Nur ihren Ärzten und dem Militär vertrauen die Amerikaner mehr als Amazon

Warum also sollte man dem Konzern misstrauen, wenn er intern Wärmebildkameras zur Mitarbeiterüberwachung einsetzt?

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