Die Schweizer Uhrenbranche ist ein industrielles Flaggschiff, das seine Produkte in die ganze Welt verkauft – und zwar erfolgreich. 2022 stellte der Sektor dank exportierten Zeitmessern im Wert von 24,8 Milliarden Franken einen neuen Rekord auf.

Vom Boom profitieren auch die Arbeitnehmenden. Erstmals seit Mitte der 1970er Jahre arbeiteten im vergangenen Jahr wieder mehr als 60’000 Angestellte in der Uhren- und mikrotechnischen Industrie. 

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Der Ruf als Symbol für Know-how und Präzision «made in Switzerland» und viele neu geschaffene Stellen: Es gibt gute Gründe, weshalb grosse Player der Uhrenbranche immer wieder zu den besten Arbeitgebern der Schweiz zählen.

Beste Arbeitgeber 2023

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Das prägnanteste Beispiel: In der letztjährigen Liste belegten Patek Philippe, Rolex und Breitling in dieser Reihenfolge die Plätze vier, fünf und sechs. Und im neuen Ranking schaffte es die bekannte Uhrenmarke mit dem Kronenlogo auf den Bronzeplatz; gleich dahinter folgt der Grenchner Brand Breitling.

Die Gründerfamilien der Topmarken schätzen Diskretion

Der Uhrenexperte Oliver Müller ist ob dieser Topplätze führender Marken der Zeitmesserherstellung überhaupt nicht überrascht. «Es gibt viele gute Argumente, um in der Uhrenbranche zu arbeiten. Was früher die Banken waren, sind heutzutage die Uhrenmanufakturen.» Sprich: Es zieht viele Arbeitnehmende in die Branche, mit der Hoffnung, dort ihren Traumjob zu finden. Angelockt werden sie von der Strahlkraft der Marken und dem Glauben, dass die Unternehmen dahinter mit ihren grossen Budgets hohe Löhne zahlen. «Zweiteres stimmt in der Realität nur teilweise», so Müller.

Es gibt durchaus Unterschiede bezüglich der Arbeitsbedingungen in der Schweizer Uhrenindustrie. Schliesslich ist diese ein Geflecht aus ungefähr 350 Marken, in dem viele kleinere Betriebe auf einige Imperien treffen. Den Arbeitnehmenden gerät zum Vorteil, dass die marktdominierenden Marken, bei denen entsprechend viele Angestellte tätig sind, von verschwiegenen Familienunternehmen geführt werden. Die Top Six – Branchenprimus Rolex, die Richemont-Marke Cartier, Longines und Omega vom Swatch-Konzern der Hayeks sowie die zwei selbstständigen Manufakturen Patek Philippe und Audemars Piguet – beherrschen rund 60 Prozent des Marktes. 

Die schwerreichen Gründerfamilien dieser Unternehmen schätzen Diskretion und Loyalität. «Dort herrschen sehr spezielle Firmenkulturen, aus denen fast nichts nach aussen dringt», sagt Müller. Die Verschwiegenheit zahlen die Firmen zurück, indem sie aus einem Verpflichtungsgefühl heraus Angestellte viel länger halten, als es sonst in der Privatwirtschaft Usus ist. «Es wird nie passieren, dass beispielsweise die Swatch Group mehrere tausend Mitarbeitende entlässt», so Müller.

Die Schweizer Uhrenbranche ist damit so etwas wie der Gegenentwurf zur US-amerikanischen Hire-and-Fire-Mentalität, auch wenn es mit der Richemont-Gruppe und den zwei französischen Luxusgüterkonzernen LVMH (unter anderem Hublot, Bulgari, Dior, Zenith) und Kering (Gucci) durchaus Unternehmen gibt, bei denen die Marktkräfte der Privatwirtschaft mehr spielen.

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Der Fachkräftemangel lässt Uhrenmanufakturen kreativ werden

Was den Arbeitnehmenden ebenfalls entgegenkommt: Gut ausgebildete Uhrmacherinnen und Uhrmacher sind gefragt. Die Brache hat wie viele andere ebenfalls mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Entsprechend werden fähige Mitarbeitende gehätschelt und getätschelt. 

«Es werden seit Jahren zu wenige Leute ausgebildet», sagt Müller. Grosse Unternehmen betreiben gute Uhrmacherschulen, aber: «Das reicht leider bei weitem nicht aus. Zum Glück gibt es noch die französischen Schulen.» 

Es ist bezeichnend, dass Rolex seine neue Fabrik in Bulle baut. Die freiburgische Gemeinde ist grenznah und hat ein gutes Einzugsgebiet für Uhrmacherinnen und Uhrmacher. In Genf, wo Rolex den Hauptsitz hat, ist laut Müller der Arbeitsmarkt dagegen ausgetrocknet.

Die Problematik des Fachkräftemangels sei für die Branche nichts Neues, teilt der Arbeitgeberverband der Schweizerischen Uhrenindustrie (CP) mit. «Der Personalbedarf schwankt mit der wirtschaftlichen Lage. Zudem ist der Bedarf immer schwieriger zu antizipieren, da sich die Krisen häufen beziehungsweise überlagern.» Die Uhrenmanufakturen müssen durchaus kreativ sein, um passende Angestellte mit guter Ausbildung zu finden. Gerne weibeln die Unternehmen deshalb auch in anderen Gefilden. Arbeitnehmende aus verwandten Branchen und mit in der Uhrenindustrie gefragten Fähigkeiten werden dann unternehmensintern umgeschult.

Der Grossteil der Beschäftigten ist einem GAV unterstellt

Auch die Gewerkschaft Unia zeigt sich nicht überrascht, dass gerade die Big Player Schweizer Horlogerie-Kunst als gute Arbeitgeber gelten. «Grosse Häuser kümmern sich sehr um ihr Image. Gute Arbeitsbedingungen zu haben, gehört dazu», teilt Raphaël Thiémard auf Anfrage mit.

Auf den Branchenprimus sang der Gewerkschafter, der bei Unia für den Uhrensektor verantwortlich ist, vor einem Jahr gar ein Loblied: «Rolex ist ein Arbeitgeber, der die Angestellten sehr gut behandelt. Die Arbeitsbedingungen sind da besser als an vielen anderen Orten. Und Rolex hat ein gutes Salärniveau», sagte er Anfang 2022 gegenüber der «Handelszeitung».

Die Uhrenindustrie ist eine Branche, in welcher der gewerkschaftliche Einfluss seit langem gross ist. Der erste Gesamtarbeitsvertrag datiert vom Jahr 1937. Rund 85 Prozent aller in der Industrie arbeitenden Menschen sind unter dem neuesten, seit 2017 gültigen GAV angestellt. 

Medianlohn der Uhrenbranche liegt bei knapp 5500 Franken

Mit dem seit 2017 geltenden Gesamtarbeitsvertrag in der Uhrenindustrie sind 85 Prozent der in der Branche beschäftigten Mitarbeitenden angestellt. Ende 2022 haben sich der Arbeitgeberverband und die Gewerkschaften auf neue Vereinbarungen zum Thema Mindestlöhne geeinigt, die seit Jahresbeginn gelten. In den Kantonen, die als Standorte für Firmen aus der Uhrenbranche fungieren, gelten unterschiedliche Höhen und Anforderungen für den geltenden Mindestlohn. Zusammengefasst bewegt sich jener für unqualifizierte Angestellte in einer Spanne zwischen monatlich 3120 Franken im Tessin und 4389 Franken in Genf. Für Mitarbeitende mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis als Uhrmacher ist das Mindestsalär im Schnitt rund 500 Franken höher. Der Medianlohn liegt in diesem Jahr bei 5465 Franken pro Monat, was gut 50 Franken mehr sind als 2022.

Der Gesamtarbeitsvertrag gilt schweizweit als vorbildlich. Das sehen auch die zwei involvierten Sozialpartner so. Unia-Mann Thiémard nennt ihn «solid»; vonseiten der CP heisst es, der GAV sei «einer der besten des Landes». Und weiter, eher generell: «Es ist wichtig, dass unsere Unternehmen moderne Arbeits- und Lohnbedingungen anbieten, um qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen und zu halten, damit das wertvolle Know-how der Uhrenindustrie auch in Zukunft erhalten bleibt.»

Zwischen den zwei Sozialpartnern besteht also ein ziemlich grosser sozialer Konsens. Über diesen wird aber bald neu verhandelt. Denn ab März beraten Unia und CP über einen neuen GAV. So gibt es aus gewerkschaftlicher Sicht durchaus Kritik an der Uhrenbranche: «In den letzten Jahren beobachten wir in den Werkstätten eine Verdichtung der Arbeit, die durch Digitalisierung und Robotisierung noch verstärkt wird. Der Druck auf die Schultern der Menschen nimmt stetig zu», so Thiémard. Zudem seien in der Uhrenindustrie viele Mitarbeitende nur temporär angestellt. «Sie haben im Allgemeinen schlechtere Arbeitsbedingungen und leiden unter der Jobunsicherheit – manchmal über lange Zeiträume hinweg.»

Die Unia will in den anstehenden GAV-Verhandlungen «Fortschritte in der Lohnfrage» erreichen. Sprich: «Der aktuelle Text verhindert jegliche Kollektivverhandlungen zur Aufwertung der Löhne. Die ausgezeichneten Ergebnisse der Uhrenindustrie in den letzten Jahren werden trotz ihrer Anstrengungen nur sehr wenig an die Beschäftigten weitergegeben», sagt Thiémard. Zudem fordert die Gewerkschaft unter anderem eine Reduktion der Arbeitszeit auf 36 Stunden pro Woche sowie mehr Möglichkeiten, in einem Teilzeitpensum zu arbeiten.

Der Arbeitgeberverband der Branche möchte die Verhandlungen nicht kommentieren, bevor diese zum Abschluss gekommen sind. Die CP teilt jedoch allgemein mit: «Die Aufrechterhaltung des sozialen Dialogs ist für die Arbeitgeber in der Branche sehr wichtig.»

Die Aussicht für dieses Jahr ist positiv

Es gibt durchaus Anzeichen, dass der Boom in der Uhrenindustrie auch dieses Jahr anhält – trotz Inflationssorgen und Rezessionsängsten. Einige CEO haben sich bereits zuversichtlich gezeigt. Diesen Optimismus teilt auch Branchenkenner Oliver Müller. Hoffnung macht vor allem China. Die Volksrepublik ist aufgrund ihrer Corona-Politik hinter die USA als wichtigster Absatzmarkt für die Schweizer Uhrenhersteller zurückgefallen.

Die rasch vorangetriebenen Öffnungsschritte der chinesischen Regierung könnten das in diesem Jahr wieder ändern. «Marken wie Omega, Longines und Tissot werden ungleich mehr davon profitieren», sagt Müller. Es werde wegen möglicher Konjunktureinbrüchen in Europa und in den USA auch einige Verlierer in der Uhrenindustrie geben. «Im absoluten Sinn wird es aber ein gutes Jahr.»

Deshalb gehören sie zu den Besten

Wir haben einige der besten Arbeitgeber unter die Lupe genommen. Dieses Jahr gehören Geberit, die Technische Hochschule Lausanne, die Schweizerische Südostbahn, Roche und die gesamte Uhrenbranche zu den Besten der Besten. Weshalb das so ist, lesen Sie in den jeweiligen Porträts:

Allerdings ist das letztjährige Rekordergebnis hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die exportierten Uhren immer teurer werden. Der Trend distribuierter Zeitmesser zeigt mengenmässig nämlich seit Jahren in die andere Richtung. 2016 wurden 25,4 Millionen Armbanduhren verschickt, letztes Jahr waren es noch knapp 16 Millionen. «Je mehr die Volumen heruntergehen, desto weniger Arbeit in den Produktionsstätten fällt an», gibt Oliver Müller zu bedenken. Trotzdem: «Auch für die Belegschaften wird 2023 ein gutes Jahr, es werden weitere Leute eingestellt», prognostiziert er.

Die Zeichen stehen also ganz gut, dass einige Namen von Luxusuhrenbrands auch im nächsten Ranking der besten Arbeitgeber in der Schweiz wieder weit vorne auftauchen werden.