Zum Abschied liess er noch einmal die Muskeln spielen: Jean-Paul Agon konnte trotz Corona hübsch anzuschauende Jahresergebnisse verkünden. Der Umsatz von fast 28 Milliarden nur wenige Prozentpunkte gefallen, obwohl ein Grossteil der Kundschaft weder shoppen noch sich im Restaurant präsentieren kann, die Betriebsgewinnmarge bei 18,6 Prozent stabil gehalten.
Und Agon hatte noch eine glitzernde Perspektive für die Zeit nach Corona im Angebot: «Die Menschen werden wieder hinausgehen und feiern wollen, und es wird wie in den Roaring 1920s sein – das wird die Fiesta von Make-up und Parfum werden.»
Feiern wird die Fiesta, sofern sie stattfindet, sein Nachfolger Nicolas Hieronimus, der von innen kommt, also weiss, wie sich Arbeiten unter dem grossen Agon anfühlt. Hieronimus hatte die Luxussparte mit Brands wie Cacharel, Kiehl’s, Lancôme oder Valentino in neue Höhen getrieben. Eigene Strategiepflöcke wird Hieronimus bis auf Weiteres nicht einschlagen können; Agon führte den Konzern bisher im Doppelmandat und gibt nur den CEO-Job auf. Präsident des Verwaltungsrats bleibt er.
Gewinn verdoppelt
Agon hatte 2006 den CEO-Job von seinem legendenumwehten Vorgänger Lindsay Owen-Jones übernommen, in jenem Jahr lag der Umsatz bei 15,8 Milliarden Euro, der Nettogewinn bei zwei Milliarden. Nun, eineinhalb Jahrzehnte später, übergibt Agon also ein doppelt so grosses Haus, das im Gleichschritt auch den Gewinn verdoppelt hat – eine nicht alltägliche Leistung.
L’Oréal gibt ein Mehrfaches für Forschung und Entwicklung aus im Vergleich mit anderen Kosmetikfirmen, wächst deutlich stärker als der Sektor und hat dank der starken Position im Premiumsegment auch die besten Wachstumsaussichten, prognostiziert Bruno Monteyne, Analyst bei Bernstein Research.
Besonders eindrucksvoll ist eine Berechnung, wonach L’Oréal im Unterschied zu vielen anderen Konsumgüterriesen, darunter Beiersdorf, Danone, Lindt oder auch Nestlé, noch zulegen kann punkto «Relevanz bei Verbrauchern»: weil Wunsch und Bedarf nach Premium-Gesichtspflege in vielen Ländern nach wie vor wachsen.
Fürchten seit fast 40 Jahren
In diesem Erfolg liegt die Ironie der Geschichte: Agon gab stets den kampfbereitesten Verfechter der Unabhängigkeit von L’Oréal; seit der Schweizer Lebensmittelriese Nestlé im Jahr des Herrn 1974 unter Altmeister Helmut Maucher mit einem grossen Paket, rund einem Drittel der Anteile, eingestiegen war, fürchten die stolzen Franzosen die Übernahme durch die schnöden Maggi-Brauer und Pizzabäcker – doch ausgerechnet Jean-Paul Agon hat Nestlé-Chef Mark Schneider dank der Beteiligung an L’Oréal enorme Mengen an Spielgeld in die Kasse gespült.
Aktuell stecken in Nestlés französischer Sparkasse, die Beteiligung liegt heute bei gut 23 Prozent, etwas über 40 Milliarden Euro – ganz unbelastet von Negativzinsen.
Jean-Paul Agon hat sich also ein dickes «Dankeschön» aus Vevey verdient. Auch wenn ihn das kaum freuen wird.