Volle sechs Seiten lang war die Liste der «Key Achievements» von Jean-Paul Agon, die der Kosmetikriese L’Oréal anlässlich von Agons Teilpensionierung verschickte – schon vom Umfang her ein beinahe lächerliches Hochamt der Managerkultur.
Nur eines hat er demnach nicht geschafft: die ungeliebten Grossaktionäre von Nestlé loszuwerden. Es ist eine der schönsten Feindschaften der Wirtschaftswelt: 1974 flüchtete L’Oréal unters Dach der Schweizer, die ein gutes Viertel der Aktien übernahmen – damit war eine Mauer gegen mögliche Verstaatlichungen oder übernahmelustige US-Multis errichtet.
Doch die wachstumsstarken Franzosen der Verschönerungsbranche fühlten sich in der Hand eines Brühwürfel- und Tierfutterherstellers immer leicht befleckt, und als Nestlé-Boss Helmut Maucher 1992 öffentlich sagte, er würde L’Oréal gern übernehmen, ging die Fehde richtig los; Mauchers Nachfolger Peter Brabeck legte später mit dem Hinweis auf «Synergien» nach.
Jean-Paul Agon und sein Vorgänger, der fast noch legendärere Lindsay Owen-Jones, antworteten stets mit der feinen Klinge – um die Ecke, ohne direkte Angriffe: Anita Roddick, die ihre Kette The Body Shop 2006 an L’Oréal verkaufte, liess das Publikum wissen, sie habe dies nur wegen der Zusicherung von Agon getan, dass ihre Naturkosmetikkette nie in die Hand des bösen Nahrungsmittelriesen Nestlé fallen würde. Und als Nestlé-Boss Paul Bulcke 2012 fürs L’Oréal-Board nominiert wurde, liess sich eine langjährige Aktionärin in der «New York Times» zitieren, das sei, wie wenn man «einen Fuchs im Hühnerstall platziert». L’Oréal sei «eine nationale Ikone, und wir wollen nicht, dass die schweizerisch wird».
Verzinsungsparkplatz für überschüssiges Vermögen
Bis heute ist es nicht dazu gekommen. Der amtierende Nestlé-CEO Mark Schneider hat Gedankenspiele im Zusammenhang mit dekorativer Kosmetik beerdigt, aber er überhört auch Forderungen wie von Aktionär und Hedge-Fund-Mogul Dan Loeb, das L’Oréal-Paket von aktuell 23,3 Prozent zu versilbern. Es brächte 37 Milliarden Franken – aber als Verzinsungsparkplatz für überschüssiges Vermögen ist die wachstumsstarke L’Oréal noch besser als Nestlé selbst.
Jean-Paul Agon liess genauso regelmässig wie erfolglos immer wieder durchblicken, L’Oréal würde das Paket gern zurückkaufen, Mittel seien genügend vorhanden. Denn ganz ähnlich wie Nestlé an L’Oréal halten die Franzosen ein Paket von 9,4 Prozent am Pharmakonzern Sanofi, das darauf wartet, sinnvoll eingesetzt zu werden.
Hieronimus könnte etwas ändern – in ein paar Jahren
Sein Rückzug als CEO wird am Verhältnis nichts ändern; Agon bleibt Präsident des Verwaltungsrats. Er folgt auch in diesem Punkt seinem Vorgänger Owen-Jones, der 2006 für Agon den CEO-Sessel räumte und erst 2011 aus dem Board ausschied. Seit damals führt Agon L’Oréal im umstrittenen Doppelmandat.
Neuer CEO ab Mai 2021 wird das Eigengewächs Nicolas Hieronimus, bisher Nummer zwei und getreuer Agonianer. Der 56-Jährige hält sich für «empathisch», liest gern Sciencefiction von Philip K. Dick und hört gern Prince, die «perfekte Mischung aus souliger Atmosphäre und rauer Rock-Energie». Wenn Agon in geschätzt fünf Jahren auch als Präsident abtritt, könnte endlich ein bunteres Kapitel in der Beziehung Nestlé–L’Oréal anbrechen.