Die Kulisse hat Postkartenqualität. Im Hintergrund die pastellfarbenen Häuser an den Hängen der Amalfi-Küste, davor das kristallklare, türkisblaue Wasser des Mittelmeers. «Wen kümmerts, wann genau wir losfahren?», sagt Alessandro Ficarelli, als er am Holzsteg darauf wartet, bis alle eingetrudelt sind, «wir haben keinen Stress, viva la dolce vita!». Der Marketingchef von Panerai ist aufgeräumter Stimmung: Heute wird er mit einer Handvoll Panerai-Kunden – in derselben Mood wie er – auf der 70-Fuss-Yacht «Eilean» lossegeln. Das edle Holzboot wird die Uhren-Aficionados zu einer idyllischen Privatinsel bringen für ein paar Stunden Italianità vom Feinsten: Gourmet-Lunch, ausgedehnte Siesta und gediegenes Dolcefarniente.
Storyliving
Bei Panerai heissen Kundenevents wie dieser neudeutsch «Client Experiences». Mit darf, wer ein Exemplar der Radiomir Eilean Experience Edition ergattert hat, die in limitierter Auflage von 50 Stück herausgekommen ist, zum Preis von je 40 000 Franken. Darin enthalten: drei Tage und zwei Nächte in einem Fünfsternehotel an der Amalfi-Küste mit entspanntem Segeltörn und – für diejenigen, deren Herz danach lechzt – ein bisschen Adrenalin (Parasailing, Tauchen, Flyboarden etc.). Die Idee, Spezialeditionen herauszubringen und sie zusammen mit Erlebnissen anzupreisen, die Normalos nicht kaufen können, stammt von Jean-Marc Pontroué, seit 2019 CEO von Panerai. Wie er es aufzieht, ist einzigartig.
Pontroué ist natürlich nicht der Einzige, dessen Gedanken um die Frage kreisen, womit die anspruchsvolle Klientel zu verzücken ist. TAG Heuer etwa nimmt Kunden mit auf die Rennstrecke und lässt sie in Porsches cruisen, Bulgari führt Markenliebhaber durch das historische Rom und gibt exklusive Einblicke hinter die Kulissen, Cartier lädt VIPs nach Madrid ein, um ihnen in atemberaubender Kulisse die neuste Kollektion Haute Joaillerie zu präsentieren und sie am Abend ein Privatkonzert der Black Eyed Peas geniessen zu lassen. Loyale Kunden mit besonderen Events und Erlebnissen an die Marke zu binden, ist das Epizentrum jeder zeitgeistigen Marketingstrategie im Luxusgeschäft. Mit Grund: Die Branche ist im Wandel, Produkte rücken immer mehr in den Hintergrund. 2021 gaben in einer weltweiten Studie der Boston Consulting Group 44 Prozent der Kunden an, dass sie tendenziell mehr für Erlebnisluxus und weniger für Produkte ausgeben würden. Die Konsumenten wollen keine schönen Geschichten über ein Objekt mehr hören, sondern die Marke erleben und daran teilhaben.
Das neue Motto heisst: Nicht nur Storytelling, sondern eben auch Storyliving. Mit der Demokratisierung von Luxus, einem Phänomen vergangener Dekaden, bedeutet zudem «teuer» längst nicht mehr «exklusiv». Denn wer bereit ist, Geld dafür lockerzumachen, kommt schnell an ein Luxusgut heran. Kundenreisen wiederum gibt es nicht im Schaufenster zu bestaunen – und sie sind nur einem kleinen, erlauchten Kreis vorbehalten. Das macht sie so heiss begehrt.
Es geht also um die Magie von Exklusivität und Einmaligkeit. Und Panerai trumpft eben mit Reisen, die es in keinem Reisebüro zu buchen gibt. Klettertouren im Grand Teton National Park mit dem Profikletterer und Oscar-prämierten Filmemacher Jimmy Chin oder Trainingsübungen mit der italienischen Marina Militare in La Spezia: Die Panerai-Abenteuer sind in der Regel kräftezehrend. Der gediegene Segeltörn vor der Amalfi-Küste ist eine Ausnahme, doch genauso charakteristisch für die Marke.
Yacht und Pracht
Das Kernstück der Reise – die «Eilean» – und die Geschichte von Panerai sind nämlich stark miteinander verwoben. Die Ketch wurde 1936 vom legendären Yachtkonstrukteur William Fife III. gebaut. Zeitgleich fing Panerai mit Sitz in Florenz damit an, die erste Uhrenserie für die Spezialeinheit der italienischen Marine herzustellen. Danach wechselte das Segelschiff mehrere Besitzer, bis der ehemalige, langjährige Panerai-CEO Angelo Bonati das Schmuckstück entdeckte – in baufälligem Zustand. Bonati sah eine Chance für Panerai, 2006 kaufte er die «Eilean» und liess sie in einer Werft in Italien restaurieren.
Heute ist der rund 22 Meter lange Zweimaster für Panerai ein wertvoller Besitz: Regelmässig finden an Bord Events für VIPs statt. Von den Gästen, die nun anwesend sind und das Luxusboot mit grossen Augen beraunen und bestaunen, trägt jeder eine Radiomir Eilean am Handgelenk, die so heisst, weil in ihr Teile vom Schiff verbaut sind: Während der Restaurierung damals mussten Bronzebeschläge ersetzt werden. Sie sind in der Radiomir Eilean zu Komponenten wie Lünette, Krone und Gehäuseboden geworden. Schaut man genau hin, sind noch weitere Facetten der «Eilean» in der Uhr verarbeitet: Die strukturierte Oberfläche des Zifferblatts erinnert an das Teakdeck des Schiffs. Auf der Seite des Gehäuses ist das Emblem des Bug-Drachens eingraviert, und die Peitschenstiche auf dem weichen Lederarmband symbolisieren nautische Knoten.
Das ikonische Boot und dessen Verbindung zur Uhr sind exemplarisch für Inhalt und Form der Client Experiences: Es geht nicht um «je teurer, desto besser» (obwohl keine Kosten gescheut werden), sondern um das Privileg, auf der «Eilean» in See stechen zu können – etwas, das mit Geld allein nicht zu kriegen ist. Natürlich gehört auch das ganze hochfliegende Drum und Dran dazu, wie man es kennt, also Fünfsternehotel, Gourmetessen und Rundum-Service von früh bis spät. Man hat dafür beim Uhrenkauf ja auch einen happigen Aufpreis bezahlt. Die Preise der Radiomir-Kollektion bewegen sich nämlich zwischen 4700 und 16 200 Franken.
Die «Eilean» steuert auf Li Galli zu, einen Archipel kleiner Inseln vor der Amalfi-Küste – ein weiteres Highlight auf der Exklusivitätenliste, die Panerai für diese Reise arrangiert hat. Nur eine der Inseln, Gallo Lungo, ist bewohnt. Vom höchsten Punkt des Eilands aus hat man einen atemberaubenden 360-Grad-Blick aufs Meer, am Horizont verschwimmen Capri und Positano. Auf den Klippen befindet sich eine Ansammlung von weiss getünchten Villen und Cabanas. In den Lounge-Zonen vor den türkisblauen Infinity-Salzwasserpools werden Hummersalat und Limoncello serviert, wer will, bestellt noch eine Massage – dolce vita at its best. Auf Gallo Lungo dem Müssiggang zu frönen, ist ein Privileg: Der Besitzer und Hotelier Giovanni Russo vermietet nur an Menschen, die ihm genehm sind, und stellt für einen einwöchigen Aufenthalt (für bis zu 16 Personen) angeblich 225 000 Dollar in Rechnung.
Interessant: Im Verlauf der Reise verschwinden Yacht und Pracht in den Hintergrund, denn die ausgiebigen Fachsimpeleien über Mechanik, Zifferblätter, Bänder und Schliessen sorgen für glänzende Augen und freundschaftliches Schulterklopfen. Viele Panerai-Träger sind richtiggehend angefressen von der Marke, schliessen sich als Paneristi zusammen, organisieren Zusammenkünfte, an denen jeder seine Uhr auf den Tisch legt, auf dass sie von den anderen bestaunt werden kann. So rückt denn auch auf dieser «Eilean»-Reise die geteilte Passion für die Marke ins Zentrum. Kein Detail ist zu klein, keine Marken-Anekdote zu banal, um nicht diskutiert und ausgetauscht zu werden. Hinzu kommt die fantastische Gelegenheit, Markenvertreter wie Alessandro Ficarelli herbeirufen und ausfragen zu können. Einmalig und das Geld allemal wert!
Der Kunde als Botschafter
Doch die Klientel ist nicht zu unterschätzen: Sie ist mehrheitlich männlich (von jung bis alt), erfolgreich – und die schönen Dinge des Lebens gewohnt. Für sie eine Reise zu organisieren, die mit Einzigartigkeit und Exklusivität wirbt, ist ein Kraftakt: Wer Grosses verspricht, muss Grosses bieten. Und dies erfordert Planung bis ins Kleinste, was gemäss Ficarelli mit «einem enormen Aufwand verbunden» ist.
Ob Client Experiences den Umsatz hochjagen? «Nein, nicht direkt», sagt Ficarelli, «aber in Bezug auf die Markenbekanntheit sind sie die beste Kampagne, die wir seit Jahren hatten.» Und heiss begehrt: «Die Leute fragen mich inzwischen gar nicht nach der nächsten Uhr, sondern wohin die nächste Reise geht.» Und den CEO Jean-Marc Pontroué hört man scherzen, Panerai sei inzwischen ein Reisebüro geworden. Bref: Die Passion der Panerai-Fans – «unsere Kunden sind die wichtigsten Markenbotschafter und die effektivste Sparte unserer Marketingabteilung» (Ficarelli) – ist in der Uhrenwelt legendär, die Kreativität der Pontroué-Truppe, diese Passion zu kuratieren, ebenfalls.
Auch für Ficarelli sind die Reisen jeweils ein Hochgenuss: «Es geht darum, die Marke auf eine andere Art und Weise zu erleben und etwas zu bieten, das man nie vergisst», sagt er, «das ist wahrer Luxus.»