Herr Maurer, das letzte Mal haben Sie Wladimir Putin 2019 auf einer Präsidialreise getroffen. Welchen Eindruck machte der Präsident Russlands auf Sie?
Ueli Maurer: Es war ein sehr strukturiertes Programm. Wir haben unsere Anliegen vorgebracht, und er hat das in kürzester Zeit erledigt – zu unseren Gunsten. Über die Ukraine haben wir nicht gesprochen, jedoch über die bilateralen Beziehungen. Er wusste sehr gut Bescheid, und ich habe es als angenehmes Gespräch in Erinnerung. Ich kenne ihn jetzt nicht mehr, ich hätte nicht geglaubt, was jetzt passiert.

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Herr Weber, wie überrascht waren Sie? Die Amerikaner haben ja schon lange vor einer Invasion gewarnt.
Axel Weber: Wir sind bereits seit längerer Zeit sehr konservativ mit russischen Exposures umgegangen. Das Pulverfass Russland–Ukraine ist schon seit der Invasion der Krim ein Thema. Dementsprechend haben wir erwartet, dass es nun wieder so heftig wird. Aber zu sehen, dass Russland einen Krieg auf europäischem Territorium beginnt, ist schockierend. Die Härte, mit welcher die Europäische Union darauf reagiert hat, war nötig, um zu zeigen, dass eine klare Grenze überschritten worden ist. Und es freut mich, dass die Schweiz sich diesem Sanktionsregime angeschlossen hat.

Die SVP war gegen das Sanktions- paket. Herr Maurer, Sie waren dafür. Wie ist die Spaltung in Ihrer Partei zu erklären?
U.M.: Es ist die Grundsatzfrage der Neutralität – die kann man verschieden auslegen. Die jetzige Entscheidung ist gar nicht so einmalig, denn wir haben immer wieder Sanktionen der EU mitgetragen. Ich denke allerdings, dass die Schweiz in Zukunft die Neutralität hochhalten muss. Als kleines, neutrales Land können wir gut zwischen den Fronten vermitteln, und die Schweiz hat immer wieder erfolgreich Schutzmachtmandate angeboten. Neutralität ist eine Eigenschaft, die im Ausland viel mehr hochgehalten wird als hier in der Schweiz.

War das keine Einsicht ins Faktische? Angesichts des Drucks der EU und der Amerikaner – blieb der Schweiz überhaupt etwas anderes übrig, als das Paket zu übernehmen?
U.M.: Die Schweiz steht immer unter Druck, davon darf man sich nicht beeindrucken lassen. Hier ging es um eine moralische Frage – darum, ein klares Signal zu setzen. Aber es muss Aufgabe der Schweiz sein, mit beiden Parteien – Russland und der Ukraine – das Ganze wieder einzumitten.

Herr Weber, in jedem Land sind die Sanktionen unterschiedlich anzuwenden, wie koordinieren Sie das?
A.W.: Als global agierende Bank müssen wir das Sanktionsregime jedes Landes, in dem wir operieren, umsetzen. Wir haben etwa 20 000 Mitarbeitende in den USA – wir können es uns gar nicht leisten, Sanktionen der USA nicht zu übernehmen. Aber der Entscheid der Schweiz hat dazu geführt, dass das Sanktionsregime der Bank maximal aligniert ist mit demjenigen des Landes. Das ist ein grosser Vorteil, denn wir müssen nun nicht selber entscheiden, ob wir etwas umsetzen. Die Sanktionen und der Informationsaustausch der Bank sind nun gedeckt durch den Schweizer Entscheid. Das bedeutet grosse Rechtssicherheit.

«Wir haben eine Armee, die nicht richtig ausgerüstet ist, und veraltete Waffensysteme.»

Ueli Maurer

Die Schweiz ist eine Hochburg für reiche Russen. Herr Maurer, wie stellen Sie sicher, dass die Sanktionen zu 100 Prozent umgesetzt werden?
U.M.: Wir sind kein Hort der reichen Russen. Andere Finanzplätze stehen mehr im Fokus, wenn man das genauer anschaut. Natürlich haben Schweizer Banken entsprechende Kunden. Aber die Banken haben kein Interesse daran, gegen irgendetwas zu verstossen. Auch die Finma überwacht das. Und es braucht hier auch einen pragmatischen Ansatz. Es gibt Russen, die schon lange in der Schweiz leben, die aber ihren ursprünglichen Pass behalten haben. Sie haben Militärdienst geleistet und sind voll integriert. Hier müssen noch Lösungen gesucht werden. In der Detailgestaltung gibt es noch viel Spielraum.
A.W.: Von den Kunden, die von der Sanktionsliste betroffen sind, haben wir ein Kreditvolumen von zehn Millionen. Wir machen uns also keine Gedanken. Wichtig ist einfach, dass das Sanktionsregime für alle gilt – dann sind Umgehungstatbestände geringer. Das ist anders, als wenn sich eine Bank freiwillig an ein Sanktionsregime hält, aber die anderen Banken nicht.

Sollte man die Sanktionen weiter verschärfen? Im Gespräch ist nun auch, dass man kein Öl und Gas aus Russland mehr beziehen soll.
U.M.: Wir haben ein Embargo gesetzt. Dieses sagt aus, dass wir keine eigenen Sanktionen aussprechen dürfen. Das ist der Wille des Gesetzgebers. Wir können nur Sanktionen der UNO oder der EU übernehmen. Das schränkt uns ein und gibt uns den Rahmen für künftige Sanktionen. Wir werden prüfen, ob weitere Sanktionen tragbar sind.

Herr Weber, wäre der Verzicht auf Öl für die Schweiz verkraftbar?
A.W.: Die Schweiz hat eine weniger energieintensive Industrie als Deutschland und die EU. Und sie besitzt einen besseren Energie-Mix. Europa jedoch hängt zu gut einem Drittel von russischem Öl und Gas ab. Dass Deutschland unter der Regierung von Angela Merkel den Ausstieg aus Kohle und Atomkraft beschlossen hat, wird vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen hart diskutiert. Ich bin sehr überrascht, dass die Grünen als pazifistische Partei – die dazu aus der Anti-Atomkraft-Bewegung kommt – innerhalb von 14 Tagen die Entscheidung bezüglich der Investitionen ins Militär nicht nur mittragen, sondern aktiv mitgestalten. Und dass jetzt ein grüner Minister prüfen will, ob längere Laufzeiten für Atomkraftwerke helfen würden, ist unfassbar. Die Bundesregierung in Deutschland wird – unter dem Schock des Angriffskrieges – nun ihrer besonderen Verantwortung gerecht. Das ist ein Zeichen, dass Europa immer dann stärker zusammenwächst und politische Entscheidungen treffen kann, die sonst unvorstellbar sind, wenn es genug externen Druck gibt.

Herr Maurer, als Mitglied unserer Landesregierung verfügen Sie über andere Informationen als der Rest der Schweizer Bevölkerung. Wie wird das alles ausgehen? Geben Sie uns doch bitte einen Einblick in die Kristallkugel des Bundesrats.
U.M.: Natürlich spielt der Bundesrat verschiedenste Szenarien durch, das ist aber alles Spekulation. Was heute ist, kann morgen bereits anders sein. Alle Eskalationsstufen sind möglich. Wir müssen auf alles vorbereitet sein.

Kann die Schweiz in den Vermittlungen eine Rolle spielen?
U.M.: Wir haben sehr wohl Schutzmachtmandate im kleinen Rahmen angenommen – zum Beispiel im Iran und in Georgien und anderen Ländern. Dass die Schweiz jetzt auf der grossen Weltbühne mit allen Fernsehkameras vermitteln würde – das ist nicht unsere Rolle. Wir sind die Unscheinbaren, aber Effizienten. Unsere Rolle spielt sich im Hintergrund ab, mit guten Kontakten und unserer grossen Erfahrung.

Herr Weber, wie schätzen UBS-Ökonomen die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation ein?
A.W.: Die Weltwirtschaft erholt sich vom Covid-Schock. Der Ukraine-Konflikt trifft uns demnach in einem für die Weltwirtschaft eigentlich günstigen Moment. Die Wirtschaft leidet also in einer positiven Verfassung. Insofern werden die wirtschaftlichen Konsequenzen beschränkt sein. Es gibt natürlich besorgniserregende Eskalationsstufen, wie die Forderungen der Amerikaner und Briten, russische Energie-Exporte zu stoppen. Da ist unsere Schätzung, dass Europa und Deutschland Investitionsprozesse von drei bis vier Jahren benötigen, um sich von russischem Öl und Gas zu entkoppeln. Aber die Weltwirtschaft wird den Schock – da Russland keine Wirtschaftsmacht mehr ist – gut überleben. Man wird es spüren. Ich glaube nicht, dass wir in Richtung Rezession gehen könnten.

Was ist mit einer kriegerischen Eskalation? Tut die NATO aktuell genug, Herr Maurer?
U.M.: Die NATO darf nicht mehr machen. Wenn sie eingreift, ist der ganze Westen in diesen Krieg involviert. Zurückhaltung ist angebracht, denn noch ist es ein regionaler Konflikt. Bei einem Eingriff wäre nämlich nicht auszuschliessen, dass Russland zur Atombombe greift. Der beste Weg wäre Waffenstillstand, aber eine Eskalation auf Stufe Armee führt einfach zu noch mehr Blutvergiessen.

Herr Maurer, wird die Schweiz nun aufrüsten?
U.M.: Wir haben Forderungen aus dem Parlament, das Budget aufzustocken. Wir geben etwa 0,7 Prozent des BIP aus für die Armee – die NATO-Staaten fordern zwei Prozent. Wir liegen also deutlich darunter. Wir haben eine Armee, die nicht vollständig ausgerüstet ist. Und wir haben veraltete Waffensysteme, die heute kaum zum Einsatz kommen würden. Wir sehen jetzt: Ein militärisches Vakuum wird ausgenutzt, durch jemand, der die militärische Kraft hat. Wir müssen schauen, dass die Schweiz im Zentrum von Europa nicht zu einem militärischen Vakuum wird.

Werden wir also zwei Prozent fürs Verteidigungsbudget einplanen?
U.M.: Zwei Prozent sind zu viel, wir haben keine Berufs-, sondern eine Milizarmee. Zudem haben wir ein sehr hohes BIP – wir brauchen also nicht zwei Prozent. Aber wenn wir um zwei Milliarden aufstocken würden, dann wären wir bei einem Prozent des BIP – das erachte ich als Minimum.

Das Thema Finanzplatz wird momentan völlig von der Aktualität überlagert. Vor dem Konflikt gab es das Gefühl, dass der Finanzplatz Schweiz recht isoliert ist. Wurde deswegen – auch medial gesehen – die CS stärker ins Visier genommen?
U.M.: Der Schweizer Finanzplatz geniesst im Ausland einen ausgezeichneten Ruf. Wir müssen uns hier nicht schlechter darstellen, als wir sind. Wenn wir die letzten zehn Jahre anschauen, wurde der Bankenplatz extrem umgebaut, und alle internationalen Anforderungen wurden erfüllt. Auch in den Bereichen Green Finance, Fintech, Blockchain und so weiter gehören wir zu den führenden Nationen. Dieses Vertrauen muss weiter gefestigt werden. Jetzt kann man sagen: Die CS ist noch nicht so weit, sie hat im Moment Hausaufgaben. Aber ich bin überzeugt, dass sie das schaffen wird.

«Wir als UBS wünschen uns eine starke ­Credit Suisse –einen starken Partner und Wettbewerber.»

Axel Weber

Herr Weber, Sie sind nicht mehr lange Präsident. Wann übernimmt die UBS die Credit Suisse?
A.W.: Schauen Sie, wir als UBS wünschen uns eine starke CS – einen starken Partner und Wettbewerber. Nur das motiviert zu Spitzenleistungen. Vor zehn Jahren hat UBS gesagt, wir brauchen eine Weissgeld-Realität. Wir haben dann eine neue Strategie eingeleitet und sind heute eine der stärksten Banken in Europa. Die Vergangenheit entscheidet nicht über die Zukunft.

Aber herrscht hier keine Notsituation? Der Aktienkurs der CS ist im Keller, und die Bewertung liegt deutlich unter dem Buchwert.
U.M.: Wir sind in ständigem Gespräch mit der CS, und die Finma begleitet die Bank sehr nahe. Die CS profitiert von hervorragenden Beziehungen im Ausland, die wird das packen und den angekratzten Ruf korrigieren. Es braucht Zeit und Geduld. Die UBS und die CS sind die Aushängeschilder der Schweiz. Wir haben alle ein Interesse daran, dass der CS die Kehrtwende gelingt.

Herr Weber, Sie haben die UBS zehn Jahre lang geprägt und verlassen sie jetzt. Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
A.W.: Meine Frau hat mich zum CEO unserer Reiseabteilung gemacht. Bis jetzt bin ich immer nur mitgefahren, jetzt plane ich die nächsten Urlaube aktiv mit. Aber ganz zur Ruhe setzen werde ich mich nicht – mit 65 Jahren bin ich einfach zu jung dafür.