Nicht einmal zwei Jahre ist es her, da fuhr Dominik Flammer von Zürich zum Bodensee. Auf Einladung der UBS sollte er im Schloss Wolfsberg vor Ostschweizer Unternehmern über die Wiederentdeckung der Produkte von regionalen Landwirten sprechen. Ausser ihm waren ein Bootsbauer und der Konstrukteur eines Bobs eingeladen, waren also Toys for Boys zu besichtigen. «Als ich mit meinem Skoda Yeti ankam und neben fünf Teslas, zehn Maseratis und noch mehr Sternenkreuzern parkte, dachte ich: Das wird heute schnell gehen», so Flammer.

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Mit zehn Minuten Interesse hatte er gerechnet – «am Ende hatte ich anderthalb Stunden gesprochen, und immer noch kamen Fragen nach dem besten Käse oder sortenreinem Apfelmost der Ostschweiz, dem besten Metzger für Churer Beinwurst oder St. Galler Bratwurst». Seit langem tritt Foodscout Flammer bei Veranstaltungen auf, doch dieses Mal wunderte er sich: «Fünf Jahre zuvor hatte ich ein solches Interesse an lokalen Erzeugern noch nicht gespürt.»

Nicht günstig

Hanspeter Lüthi ist Informatiker mit ETH-Studium und reist seit der Jugendzeit immer wieder monatelang um die Welt. Zwei Jahre leitete er mit seiner Frau Katrin ein Safari-Camp im Okavango-Delta, 2009 gründeten sie in Zollikon ihr kleines, feines Reisebüro SwissAfrican. Das Geschäft wächst, obwohl diese Ferien «nicht günstig sind, keine Frage: Die Spannbreite reicht von 4000 Franken bis zu vielleicht 50'000 Franken pro Person für zwei Wochen», so Lüthi. Doch bei ihm buchen nicht nur Manager und Bosse, sondern auch junge Paare und Pensionäre, denen er «für das vorhandene Budget eine massgeschneiderte Reise zusammenstellt».

Etliche, die sich «ein einziges Mal» einen Traum erfüllen wollten, kommen wieder. Lüthi erklärt sich das so: Viele fühlten sich auf Safari zurückgeführt «zum Ursprünglichen, zum Zusammenleben von Mensch und Tier» – etwas, das in der Zivilisation verloren gegangen scheine. Zwar sei nicht jedem ganz wohl, wenn in drei Meter Entfernung ein Löwe brüllt. Doch manchen, sagt Lüthi, «kommen Tränen, wenn sie einen wild lebenden Elefanten sehen, der sich ein Grasbüschel ins Maul stopft».

Entdeckungsreise statt Liegestuhl

André Lüthi, mit Hanspeter Lüthi nicht verwandt, ist Chef und Miteigentümer des Reiseveranstalters Globetrotter («Reisen statt Ferien») – und dessen bester Botschafter. Der jugendliche Mittfünfziger kletterte an Achttausendern, erwanderte den Nordpol, erkundete Dschungel per Kanu. Vor Weihnachten begleitete Lüthi eine Bildungskreuzfahrt mit der «MS Bremen» in die Antarktis. Anfang Januar tauchte er mit Gleichgesinnten durch die Unterwasserwelt des karibischen Bonaire.

Lüthi reist nicht nur mit vielen Managern, er ist selbst Leiter eines Konzerns mit einer Viertelmilliarde Umsatz. Und er hat eine erstaunliche Trendwende festgestellt: «Bei Wirtschaftsforen und Konferenzen tauscht man sich heute nicht mehr über die Zweitwohnung in St. Moritz aus, sondern über Schiffsreisen rund um Australien oder Trips nach Nordkorea.»

Globetrotter, die Ferien abseits vom pauschalisierten Liegestuhl auf Mallorca anbietet, kommt das entgegen. «Die Leute erkennen so langsam, wie erfüllend es ist, Länder und Menschen zu entdecken – und nicht zuletzt sich selbst», beobachtet Lüthi. Globetrotter hat 2016, in einer Zeit der Krise im Reisebusiness, ein Rekordjahr verzeichnet.

Erleben statt erstehen

Das ist der «neue», der heutige Luxus: Erleben statt erstehen. Erfahrungen sammeln, die zu Erinnerungen werden, statt sich Dinge zuzulegen. «Einen Segelflug für 100 Franken vergisst man nie, einen Kugelschreiber für 100 Franken in kürzester Zeit», sagt Jochen Schweizer.

Der Deutsche, ein ehemaliger Stuntman, vertreibt mit seiner Firma Erlebnisse aller Art, mehr als 800 in der Schweiz. Er zitiert wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach die «Satisfaktion» von Kauf und Erfahrung anfangs gleichwertig sei, beim Kauf aber bald verblasst; nur das Erlebnis hält nach. Schweizer, dessen Vorfahren ins Basel des 14. Jahrhunderts und in die Schweizergarde zurückreichen, verkauft in der Schweiz 80'000 Events pro Jahr und berichtet von hohen zweistelligen Wachstumsraten als Beleg für den Trend «Erlebnisse statt Dinge». In ihn investiert er mit dem Bau einer stehenden Tiefwasserwelle für Indoor-Surfer in der «Mall of Switzerland» in Ebikon LU.

Zwar haben klassische Statussymbole (Uhr, Auto, Haus) längst nicht ausgedient. Gerade die Wohnung sei heute, sagt der Schweizer Ökonom und Glücksforscher Mathias Binswanger, «das ultimative Statussymbol». Aber hier ist Bewegung drin, weiss Binswanger. Denn die jüngere Generation «ist ja bereits im Wohlstand aufgewachsen, deshalb haben materielle Dinge nicht mehr denselben Stellenwert». Die Erklärung liefert Trendforscher David Bosshart: «In einem Zeitalter, in dem eine Gesellschaft eigentlich längst im Überfluss lebt, sind positionale Güter dann eben jene Dinge oder Möglichkeiten, die man mit Geld nicht kaufen kann.»

Beziehungen statt Geld

Dass Bosshart, Leiter der Denkfabrik Gottlieb Duttweiler Institute, zudem sagt, «für den neuen Luxus wird nicht weniger Geld ausgegeben, sondern es wird anders ausgegeben», klingt auf den ersten Blick widersprüchlich. Gemeint ist: Den Unterschied machen nicht mehr jene Dinge, die im Schaufenster liegen – egal, wie viel Platz das Preisschild beansprucht. Sondern jene, die «Kenntnisse und Beziehungen voraussetzen», sagt Foodscout Flammer.

Er sagte schon lukrative Anfragen ab, als Geschäftsleute zu lokalen Erzeugern geführt werden wollten. Ohne ihn finden sie, Geld hin oder her, keinen Zugang. Doch Flammer stellt den Kontakt nur dann her, «wenn auch der Produzent etwas davon hat, wenn die Gäste für sein Netzwerk sinnvoll sind». Der Trend zum Erlebnis kommt ihm entgegen: «Ich lebe von diesem Trend.»

Dass es beim neuen Luxus nicht ums Geldsparen geht, zeigt schon ein Blick auf die Kosten. Von Jochen Schweizers günstigen Topsellern, der «Erlebnisbox Kurzurlaub» für 69 Franken oder dem Fondue-Abend im Iglu-Restaurant Adelboden für 79 Franken, steigt die Preiskurve deutlich an.

Ab rund 400 Franken verschafft Schweizer Schweizern Rennwagenfeeling auf dem deutschen Nürburgring, knapp 800 Franken kostet ein Sportfahrkurs des TCS mit dem heimischen Star Marcel Fässler. Die Kreuzfahrt in die Antarktis kam pro Reisenden auf mindestens 16'000 Franken zu stehen – Lüthi lernte auf der Fahrt ein junges Paar kennen, das lange Zeit gespart hatte, um sich das leisten zu können. Beim Heliskiing in Kanada rechnet Kenny Prevost vom Marktführer Knecht Reisen mit Kosten von 10'000 Franken pro Woche, und die Rekordpreise für Safaris lassen sich erzielen, wenn man Privatflieger und abgelegene Camps bucht, wo man Natur und Tierwelt mit möglichst wenigen Menschen teilen muss.


Tiefer und nachhaltiger

André Lüthi weiss aus Reisen mit anderen Firmenchefs: «Für viele sind die Villa und die neue Limousine nice to have, aber die Freude an neuen Erfahrungen wirkt viel tiefer und nachhaltiger.» Seine Mittaucher in der Karibik stehen exemplarisch für das neue Bewusstsein: Daniel Luggen macht sich nichts aus teuren Anzügen, die seien in Zermatt, wo er als Kurdirektor amtet, ohnehin «falsch am Platz».

Er erfuhr bei zahlreichen Reisen, «dass Erlebnisse viel prägender sind als zum Beispiel ein neues Auto». Und Stefan Linder, Gründer des Swiss Economic Forums und Mitinhaber der Gastronomiefirma Blausee, erachtet als grössten Luxus «ein Fondue mit Freunden in einer Berghütte, einen gemütlichen Abend mit Käseplatte und selbst gemachter Wurst vom lokalen Bauern oder eine feine Flasche Wein mit guten Gesprächen».

Dreifaltigkeit neuer Erfahrungen

Reisen, Adventure, Kulinarik – das ist die Dreifaltigkeit neuer Erfahrungen. Die «Whitepod»-Iglus am Berg oberhalb von Monthey sind oft ausgebucht, und das «Nullsternhotel» im Safiental – Schlafen unter freiem Himmel im Doppelbett auf 1800 Metern Höhe, Preis 250 Franken – «hätte ich an Wochenenden problemlos zehn Mal vermieten können», sagt Tourismuschefin Jolanda Rechsteiner. Neue Zeitschriften wie «Walden», «Free Men’s World» oder «Beef» bedienen die Lust am Natürlichen vom Lesesessel aus, und Ayurveda-Trips nach Indien oder Sprachlern-Crashkurse in Boston stillen die Lust auf Reisen mit Mehrwert.

Kenny Prevost, der häufig selbst Freerider in Kanada betreut, weiss, der wahre Luxus «ist das Freeriden fernab der Welt und ohne Handyempfang». Die Unterkunft meist einfach ausgestattet. Dafür seien Tiefschnee-Touren «elementare Erfahrungen», sagt er: «Man kommt als Fremder und geht als Freund.» Die Kundenliste reiche «vom Handwerker bis zum Multimillionär».

Wer will, kann mit echten Haudegen powdern: Der achtfache Weltcupsieger Daniel Mahrer begleitet jeden Winter eine Heliskiing-Reise und coacht ansonsten in Europa, auch Firmengruppen, «über den Winter insgesamt rund 850 Gäste». Und auch Speed-Crack Didier Cuche, dank zahlreicher Veranstaltungen seiner Sponsorenpartner ziemlich ausgebucht, begleitet jeden Winter eine Schweizer Gruppe nach Kanada; beim Tiefschnee sei er zwar «erst am Ende meiner aktiven Karriere auf den Geschmack gekommen, aber jetzt geniesse ich es umso mehr».

Ausbremsen als Hobby

Das Auto feiert zudem eine steile Karriere: nicht als Statussymbol, sondern als Sportgerät abseits öffentlicher Strassen. Porsche Schweiz etwa richtet seit einigen Jahren eigene Rennserien auf europäischen Circuits aus, die sich Sports Cup oder Drivers Challenge nennen. Die Szene wächst; allein in der Schweizer Königsklasse starten 20 Fahrer auf nicht strassenzugelassenen Rennwagen und liefern sich harte, aber faire Ausbremsmanöver.

Wer noch am Anfang steht oder nicht Tausende Franken pro Racing-Wochenende ausgeben kann, findet sich womöglich in Lignières wieder – und Marcel Fässler auf seinem Beifahrersitz. «Ich setze mich zu jedem ins Auto und coache individuell, gebe Tipps von innen» – was viele Instruktoren aus Angst ums eigene Leben ablehnen, aber unerreicht lehrreich ist. «Die Nachfrage wächst stetig», sagt Adrian Suter, Leiter Bildung und Entwicklung beim TCS. Eine Kostenstufe tiefer boomen Kartbahnen und Flugsimulatoren für Freizeitkapitäne – und Rennräder. André Lüthi sagt: «Ich habe den Eindruck, das Velo ist der neue Golfschläger.»

Slow-Food-Messen mit regionaler Küche

Schwerstens angesagt ist eine neue Kulinarik. Zehntausende Besucher bevölkern Slow-Food-Messen, Wirtschaftsführer suchen das Authentische. «Statt Kaviar und Hummerschwanz steht regionale, naturverbundene Küche im Mittelpunkt», sagt Dominik Flammer, «man ist auf den Geschmack gekommen, gerade auch dank einer neuen, jungen Generation von Spitzenköchen.»

Für diese Caminadas und Mlinarevics arbeitet Flammer als Foodscout, spürt Käser und Wursthersteller auf Berghöfen auf. Wenn es passt, bringt er die Produzenten mit interessierten Laien zusammen. Flammer ist ausgebucht, kann «nur noch eine von vier Anfragen annehmen». Der neue Luxus schafft auch in der Küche neue Verknappungen: «Kaviar in jeder Menge kann man sich in wenigen Stunden liefern lassen, aber vier Kilo Taubenkropf-Leimkraut sind nicht so einfach zu bekommen» – da könne der Gastronom mit noch so vielen Geldscheinen winken. Aber zum Salat gebe es nun mal nichts Besseres.

Gesprächsthemen statt Gegenstände

Wer mit solchen Exklusivitäten punkten kann, der steigt empor in der neuen, von Social Media angekurbelten Aufmerksamkeits-Ökonomie: Er hat etwas zu erzählen. Es muss ja nicht gleich auf Facebook gepostet werden – wo erstaunlich viele Topmanager erstaunlich private Aufnahmen zeigen. Aber man hat Themen für den nächsten Herrenabend, die «Mädelsrunde», den Tennisclub oder die Theaterpause – oder für die Verbreitung in seinem privaten TV-Sender, wie «Teleblocher» Christoph seinen Trip nach Nordkorea. Noch besser wird die Geschichte, wenn man auch dem Planeten etwas Gutes tut – wie die Safari-Reisenden von Hanspeter Lüthi. Viele Tiere, sagt er, wären längst von Wilderern getötet, existierte der hochklassige Afrika-Tourismus nicht.

Eine letzte Beobachtung von Globetrotter-Chef André Lüthi: Väter oder Mütter, die jeweils mit einem Kind alleine eine Reise machen – das sei im Kommen. Ex-ABB-Chef Joe Hogan etwa erklomm mit seinem Sohn zu dessen Volljährigkeit den Kilimandscharo, Lüthi selber flog mit seinem Sohn um die Welt, mit der Tochter ritt er auf der Harley durch die USA. Elternteil und Kind, «so viel Zeit verbringen beide davor und danach nie wieder zusammen», sagt Lüthi. Und das sei vielleicht der wahre Luxus.

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