Auch erfolgsverwöhnte Künstler sind nicht gegen fundamentale Missverständnisse gefeit; dafür ist Alex Katz ein gutes Beispiel. Der 80-jährige New Yorker Maler, einer der erfolgreichsten Künstler der USA, gilt als der Abstrakte unter den figürlichen Malern. Doch sollte man nicht versuchen, ihm dieses Etikett umzuhängen: «Abstrakt zu malen, liegt überhaupt nicht in meiner Intention», meint er. «Wenn ich abstrakt malen wollte, würde ich mir nicht so viele Probleme mit den Menschen aufhalsen, die ich male.» Er schickt seiner Äusserung ein gutturales Kichern nach.
Man könnte sagen, Katz male Bilder, die mit dem Instrumentarium der Werbung arbeiten: Verdeutlichung durch Vereinfachung und Stilisierung, Betonung der Oberfläche, XL-Format. So malt er seit nunmehr 50 Jahren die Menschen seiner Umgebung, hauptsächlich WASP (White Anglo-Saxon Protestants) an Cocktailpartys oder an den Stränden von Maine; es sind die Vertreter der weissen amerikanischen Leisure Class, von denen ein Kritiker einmal sagte, ihnen stehe die «amerikanische Unerschrockenheit» ins Gesicht geschrieben. Auch Katz’ Frau Ada figuriert unzählige Male auf den Bildern. Ob in der Pose der Hausfrau oder jener des Filmstars: Immer hängt den Porträts etwas Überindividuelles, Allgemeingültiges, Zeitloses an, genauso wie bei den andern Katz-Menschen.
Sehr cool, sehr amerikanisch wirken diese Bilder – und haben seit 15 Jahren in Europa in Museen und an Kunstmessen zunehmenden Erfolg. (Zwischen 200 000 und 800 000 Euro kosten grossformatige Werke in der Galerie.)
Nachdem Katz 1997 in der Ausstellung «Birth of the Cool» im Zürcher Kunsthaus letztmals in der Schweiz prominent vertreten war, ist er nun aus New York nach Zuoz angereist, um die Wirkung der Werke in seiner Galerie Monica De Cardenas Zuoz zu testen. Er scheint mit dem Resultat zufrieden und führt Sammler durch die Räume.
Wir schauen uns «Oona» an: Das Bild ist eine Augenweide, sehr dekorativ – das Attribut hat für Katz nichts Pejoratives. Eine distanziert wirkende junge Frau mit hellblonder langer Mähne scheint auf dem lichtgetränkten Hintergrund zu schweben, als wäre sie ein ätherisches Wesen, doch die Billboard-Grösse verleiht ihr greifbare Präsenz: Gut drei Meter hoch und einen Meter zwanzig breit, füllt sie eine Wand im ehemaligen Heustall des über 600-jährigen Engadiner Bauernhauses, in dem die Galerie untergebracht ist.
Steht man nahe genug, lösen sich die rot geschminkten Lippen, die blauen Augen und die Lichtflecken in pure Farbe auf. Alex Katz hat das Frauenbildnis aus schier abstrakt wirkenden Farbflächen zusammengesetzt.
1927 in Queens als russisches Emigrantenkind geboren, besuchte Katz die Bauhaus-inspirierte Schule Cooper Union in New York und begann 1951 mit der Malerei.
Damals wurde der Abstrakte Expressionismus gefeiert, da waren Jackson Pollock und Mark Rothko, viel Leidenschaft und Seelenqual, und der einflussreiche Kritiker Clement Greenberg forderte von der Kunst die vollkommene Auflösung von Inhalt in Form. Das Umfeld war somit nicht günstig für die figürliche Malerei, doch Katz blieb seinem Stil treu. Er trieb das Spiel mit der Reduktion immer weiter und hielt sich während zehn Jahren mit dem Schnitzen von Bilderrahmen über Wasser, allerdings musste er zwölf Jahre lang in ungeheizten Räumen leben.
Dass seine Kunst auch inhaltlich unerschüttert von Krisen und Kriegen blieb, hat seinen Grund. «Ich möchte die Leute nicht mit sozialen Themen bevormunden; ich finde das nicht sehr interessant und eher sentimental.» Nicht um Inhalt gehe es ihm; Bedeutung wolle er minimieren. Stattdessen bevorzuge er «Style». «Der Stil ist mein Inhalt. Bedeutung ist irrelevant. Ich will keine Geschichte erzählen.» Die Realität sei, so Katz, ohnehin etwas Relatives. «Realität ist variabel. Realität ist die Annäherung an die sinnliche Erfahrung, die man beim Sehen macht.»
Darin zeigt sich Katz als postmoderner Maler, der – beeinflusst vom künstlichen Bilderfluss von Film, Fotografie und Werbung – um die Zusammengesetztheit von Bildern weiss. In den sechziger Jahren sei er vom TV-Bild fasziniert gewesen und davon, wie sich Bilder im Close-up auf den Bildschirm pressten – wie Malerei. «Mit dem Fernsehen wurden neue Bilder erfunden. Das war aufregend.» Inspiriert von den neuen Medien, arbeitet Katz mit ihren Mitteln: dem Close-up, der Montage, der Repetition; er verbindet verschiedene Bilder zu einem, verdoppelt und multipliziert Figuren in ein und demselben Bild. Dabei ist ihm alles Psychologische fremd. «Meine Bilder konkurrieren mit den Bildern der Werbung», sagt er pragmatisch.
Katz ist sich auch nicht zu schade, direkt in die Werbung und die Modemagazine einzugreifen. Vom amerikanischen Modemagazin «W» liess er sich beauftragen, Powerfrauen und Supermodels in Designermode zu malen. Mit dem Label Nuala, der Lifestyle-Kollektion von Ex-Model Christy Turlington in Kooperation mit Puma, machte er letztes Jahr eine Werbekampagne. Auch darin zeigt sich sein amerikanischer Pragmatismus.