Bitcoin ist auf den tiefsten Stand seit knapp anderthalb Jahren gerutscht. Die Kryptowährung fiel vorübergehend um bis zu 6,4 Prozent auf 26'600 Dollar und hat sich seither nur leicht erholt. Im Vergleich zum Vorwochenschluss hat sie rund ein Drittel ihres Wertes verloren.
«Die Furcht vor raschen Zinserhöhungen insbesondere durch die US-Notenbank entzieht Bitcoin und Co einen der wichtigsten Nährböden aus den vergangenen Monaten», sagt Analyst Timo Emden von Emden Research. "Es herrscht die absolute Ausverkaufsstimmung am Markt."
Weiteres Abwärtspotenzial
«Deutlich höhere Zinsen und die Abkehr der Anleger von risikoreichen Anlagen schaffen sehr unangenehme Bedingungen für Kryptowährungen», heisst es in einem Kommentar des Analystenhauses Oanda. Da der Kryptowährungsmarkt bisher nicht mit solchen Umständen zu kämpfen hatte, sei durchaus noch weiters Abwärtspotenzial vorhanden, wird gewarnt.
Wie bei Aktien, Anleihen, Rohstoffe und Rohöl könnte sich der Ausverkauf auch beim Bitcoin wieder beschleunigen, schreibt Swissquote-Analystin Ipek Ozkardeskaya in einem Kommentar. Der kurzzeitige Rutsch unter die Unterstützung bei 30'000 Dollar habe zwar mutige «Dip»-Käufer angelockt, allerdings bleibe das Risiko für einen noch stärkeren Abverkauf hoch.
«Digitales Gold»
Geboren in der Finanzkrise, gewachsen an der expansiven Geldpolitik. Die Kryptowährung Bitcoin ist seit Jahren zwar eine volatile, aber mittlerweile respektierte Anlageklasse. Den Beweis als «sicherer Hafen» gegen eine anziehende Inflation hat das «Blockchain-Geld» indes vorerst nicht angetreten.
Lange wurde der Bitcoin mit einer Art «digitalem Gold» verglichen. Auch Schweizer Vermögensverwalter priesen die Kryptowährung gerne mit diesem Argument an und führten die geringe Korrelation der Kryptowährung mit konventionellen Anlageklassen ins Feld.
Sachwerte als Inflationsschutz
Historisch gesehen gelten in unsicheren Zeiten üblicherweise Sachwerte wie Immobilien oder Gold als Schutz vor hoher Inflation. Während das «Betongold" immer noch mit hohen Renditen lockt, am Horizont aber dunkle Zinswolken und Preisblasen auftauchen, gilt Gold schon seit Jahrzehnten als «sicherer Hafen».
Langzeitstudien zeigen, dass Gold tatsächlich im Schnitt stärker im Wert zulegen konnte, als die Inflation staatliche Währungen entwertete. Langfristig darf Gold also das Prädikat als «guter Inflationsschutz» für sich beanspruchen. Beim Bitcoin fehlen diese Erfahrungswerte. Kritiker betonen denn auch, dass die erst seit 2009 existierende Kryptowährungen bislang eine nahezu inflationslose Zeit erlebte.
Geringere Schwankungen
Zudem hat seit Corona die Korrelation der Kryptowährung vor allem mit Technologiewerten deutlich zugenommen - weshalb das Narrativ des Inflationsschutzes litt. Auf den ersten Pandemie-Crash im Frühling 2020 folgte eine Erholungsrally auf neue Rekordwerte im November 2021 nahe der 70'000-Dollar-Marke. Der technologielastige US-Börsenindex Nasdaq zeigte ein ähnliches Kurs-Bild, auch wenn die Zugewinne und Verluste weniger stark ausgeprägt waren.
Nachdem daher lange Zeit das Argument als Diversifikationsinstrument des Bitcoin auf der geringen Korrelation mit klassischen Anlagen aufbaute, schwenken Krypto-Vertreter wie die Experten der Bank Seba daher auf einen anderen Kurs um. Die Volatilität sei zumindest in diesem Jahr bisher stark zurückgegangen, heisst es in einem Papier der Schweizer «Krypto-Bank».
Tatsächlich schwankte der Preis 2022 bisher einigermassen konstant zwischen 35'000 und 45'000 Dollar. Im Zuge der in den letzten Tagen aber stark fallenden Aktienmärkte, kam auch dem Bitcoin seine zuvor gehaltene Bandbreite abhanden. «Zahlreiche institutionelle Anleger behandeln Krypto-Assets wie Technologieaktien und werfen diese in turbulenten Marktphasen aus ihren Depots», fasst Analyst Timo Emden die aktuelle Lage zusammen. Es herrsche nach wie vor Ausverkaufsstimmung.
Damoklesschwert Regulierung
Eher pessimistisch argumentieren im Fall «Bitcoin als Inflationsschutz» auch Marktbeobachter wie der UBS-Ökonom James Malcolm. Er führt ins Feld, dass die Normalisierung der Geldpolitik durch die führenden Zentralbanken mit der Vorstellung aufräumt, dass Kryptowährungen dem Notenbankgeld vorzuziehen seien. «Die durch Zinserhöhungen angestrebte Normalisierung setzt virtuelle Alternativen im selben Masse unter Druck, wie sie zuvor durch die Überliquidität angekurbelt wurden.»
Ein weiterer von Malcom benannter Stolperstein bildet die immer als Damoklesschwert über der Industrie hängende Regulierung. Zwar sind sich viele Experten einig, dass das «System Bitcoin» als solches nicht wirklich regulierbar sei, eine breite Adaption und vor allem die Ankunft im Finanzmainstream erfordere aber einen nicht unerheblichen Grad an Regulierung und Sicherheit.
Die schwierige Suche nach einer angemessenen Regulierung bildet also neben technischen und finanzpolitischen Aspekten eine weitere Hürde zur Beweisführung, dass die Kryptowährung Bitcoin als sicherer Hafen in Zeiten anhaltend hoher Inflation taugt.
(awp/reuters/ske/gku)