BILANZ: Tina Turner, Sie sind Buddhistin. Weshalb?

Tina Turner: Die Kurzversion lautet: Weil es mir hilft, positiv zu denken und glücklich zu sein.

Und die längere Version?

Turner: Es war Mitte der siebziger Jahre. Ich war eine junge Sängerin und mein Ex-Mann eigentlich meine einzige Brücke zur Aussenwelt. Neben Konzertsälen und Aufnahmestudios bekam ich nicht viel mit. Während Aufnahmen sprachen mich die Leute im Studio auf meine Trauer und meine Einsamkeit an und rieten mir, mein Leben in die eigene Hand zu nehmen. Es sei ein hilfreicher Schritt zur Selbstfindung, Mantras zu singen und Gebete zu rezitieren.

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Ein guter Ratschlag?

Turner: Ich vergass ihn – doch die Tristesse blieb. Eines Tages kam mein jüngster Sohn mit einer Gebetskette aus Holz nach Hause und erzählte mir begeistert, sie spende Kraft und mache Wünsche wahr. Da wurde ich stutzig. Zuerst die Toningenieure, dann mein Bub, und alle wiesen mich auf dasselbe hin: Unternimm etwas, geh deinen eigenen Weg. Schliesslich wagte ich den Schritt ins Ungewisse und lief 1976, nach 16 Jahren, aus der Ehe davon. In der schlimmsten Zeit meines Lebens, als alles um mich herum zusammenfiel, setzte ich mich vier Stunden am Tag mit Buddhismus auseinander, las, sang Mantras – es ging mir trotz allem Elend gut. Ich hatte nichts und doch alles.

Sie wurden in den USA als Baptistin erzogen. War das der totale Bruch mit der Vergangenheit?

Turner: In meiner Jugend waren sonntägliche Kirchenbesuche, das Gebet, der Respekt gegenüber anderen selbstverständlich. Auch das Singen war von Kindsbeinen an wichtig. Ich habe einen tiefen Glauben mitgekriegt. Ich war stets spirituell, noch stärker, als meine Eltern sich trennten.

Mit dem christlichen Glauben ist es jetzt vorbei?

Turner: Nein, bis heute bete ich das Vaterunser. Der Buddhismus aber war eine neue Dimension in meinem spirituellen Leben, er berührte mich an einem neuen Ort, in meinem Innersten, dem Unterbewusstsein.

Regula Curti, wie kamen Sie mit Tina Turner in Kontakt?

Regula Curti: In den achtziger Jahren war ich an einem ihrer Konzerte im Zürcher Hallenstadion. Ihre Kraft und ihre Ausstrahlung berührten mich zutiefst. 1997, nach Tinas Umzug nach Küsnacht, meldete sie sich bei meinem Mann. Sie wollte ihn kennen lernen, da er das Haus bewohnt hatte, das sie mieten wollte. Beim vereinbarten Nachtessen vertieften wir uns beide ins Gespräch über Spiritualität.

Sie waren Oberleutnant der Schweizer Armee und Headhunter – nun unterrichten Sie Manager in Yoga. Ein weiter Weg?

Curti: Ich arbeitete während fünf Jahren beim weltweit grössten Kadervermittler, Korn/Ferry International, und rekrutierte Manager aus den Bereichen Industrie, Konsumgüter und Retail. Im Erdgeschoss unseres Büros in Zürich Enge unterrichtete ein bekannter indischer Yogi, Selvarajan Yesudian. Aus seinem Studio drangen fremde Klänge. Was mir auffiel: Seine Besucher verliessen das Gebäude voller Selbstbewusstsein und positiver Ausstrahlung.

Dorthin wollten Sie auch mit Ihren Jobkandidaten?

Curti: Ich hatte in meiner Arbeit den Anspruch, Manager mit Sozialkompetenz, Charisma und Leidenschaft zu vermitteln. Absatzkurven und Ebita-Margen waren ihnen aus dem Studium und der Praxis geläufig, aber mein Ziel war es, Kandidaten dort zu platzieren, wo sie ihr Potenzial einbringen und sich weiterentwickeln können.

Yoga ist eine Methode dazu?

Curti: Durch Yoga können wir in der allgegenwärtigen Betriebsamkeit und Hektik eine Insel der Reflexion finden, innere Ruhe erlangen. Yoga ist die Verbindung von Körper und Geist. Wer daraus schöpft, schöpft aus einer tiefen Quelle der Weisheit. Dazu kam meine intensive Auseinandersetzung mit Musik. Ich habe im Executive Search beobachtet, dass Führungskräfte, die am Wochenende in einer Band Saxofon spielen, Salsa tanzen oder sich anderen musischen Künsten widmen, ausgeglichener, belastbarer und sensibler sind. Dort wollte ich anknüpfen.

Macht Spiritualität erfolgreicher?

Turner: Nehmen Sie meine Biografie: Die Arbeit mit mir selber verlieh mir die Kraft, aus einer zerstörerischen Beziehung auszusteigen, mich zu entdecken, meine Stärke und mein Gleichgewicht zu finden, klare, ausgewogene Entscheide zu treffen. Für mich ist Buddhismus weniger Religion als vielmehr wissenschaftlich untermauerte Lebenshilfe oder Philosophie. Ich spürte, wie Körper und Unterbewusstsein ineinandergriffen, sich gegenseitig befruchteten. Der Erfolg ist quasi mein empirischer Beweis.

Sind spirituelle Manager erfolgreicher?

Curti: Was heisst «spirituell» überhaupt? Für mich steht ein spiritueller Mensch mit beiden Füssen auf dem Boden, hat einen wachen Geist, ist vernetzt mit den Menschen und der Welt und setzt sich für das Wohl aller Lebewesen ein. Sicher sind das wertvolle Eigenschaften für einen Manager.

Sind Yoga und Buddhismus nicht einfach nur Modeerscheinungen: Nach der Fitness- kommt nun die Yogawelle?

Curti: Sicher nicht. Die Multi-Tasking-Gesellschaft fordert unerbittlich. Das zeigt sich in meiner täglichen Arbeit an Körpersymptomen von Managern: verspannter Nacken, Rückenleiden, Atembeschwerden, Nervosität, Schlafstörung und Depression. Dem Druck des Quartalsberichts wollen immer mehr Manager, Ärzte, Lehrer, Unternehmer etwas entgegensetzen. Früher schlichen sie sich durch den Hintereingang ins Yogastudio, heute stehen sie dazu. Firmen wie Google richten Meditationsräume ein und bieten Yogakurse an.

Was kann man sich davon versprechen?

Curti: Mein Vater war Forschungschef bei Hoffmann-La Roche. Als Tochter eines Naturwissenschaftlers ist mir der Beweis für die neurologische Wirkung von meditativen Praktiken wichtig. Ich bekam die Arbeit der Neurowissenschaftlerin Tania Singer mit, ehemals Professorin der Universität Zürich und jetzt Direktorin des Max-Planck-Instituts Leipzig. Sie weist nach, dass sich durch regelmässiges «Training of the mind», durch Meditation über Liebe und Mitgefühl, das dafür verantwortliche Gehirnzentrum nachhaltig entwickelt. Angesichts der eigennützigen Exzesse in der Finanzwelt müssen menschliche Eigenschaften wie Rücksichtnahme und Empathie dringend gefördert werden.

Inwiefern?

Curti: Einige Manager haben in den letzten Jahren den Boden unter den Füssen verloren. Was zählte, war ein möglichst hoher Bonus. Es ist dringend, sich von diesen materialistischen Anreizen abzuwenden und andere Aspekte ins Zentrum zu rücken. Materie und Geist müssen im Gleichgewicht sein. Mehr Firmenkultur, Teamgeist, Work-Life Balance, partizipativer Führungsstil und Masshalten – so fördern wir den Erfolg einer Firma langfristig mehr als mit überrissenen Bonusverlockungen, die immer wieder Katastrophen auslösen.

Turner: Auch mir ging es um das innere Gleichgewicht, um die Balance von Körper und Geist. Die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus hat mein Leben komplett verändert. Ich bin stolz darauf, dass ich diesen Weg wagte. Da er mich weiterbrachte und mir half, meine tiefen Wunden zu überwinden, vertiefte ich mich stärker in den Buddhismus, das war meine empirische Erfahrung. Heute widme ich mich täglich während fünf bis zehn Minuten dem Rezitieren von Sprechgesängen, dem sogenannten Chanten. Ich merkte schon früh, dass ich weniger gestresst war, auf der Strasse, vor Rotlichtern, im Aufnahmestudio.

Wie hat der Buddhismus Ihre Karriere als Sängerin beeinflusst?

Turner: Als ich mich aus dem Korsett meiner Ehe befreite, war das Chanten eine grosse Hilfe. Obwohl ich alles hinter mir liess, Mann, Kinder, mein Haus, hatte ich doch das Gefühl, mir fehle nichts. Ich fühlte mich enorm stark. Ich bekomme noch heute Gänsehaut, wenn ich davon erzähle. Als ich eine Besprechung mit meinem Ex-Mann hatte, war offensichtlich: Ich hatte mich verändert, und er konnte meine Veränderung nicht nachvollziehen. Ich fühlte mich weiser, ruhiger, entschlossener. All den Stress konnte ich nun hinter mir lassen, unter anderem auch eine Schiesserei in den eigenen vier Wänden. Ich brauchte kein Gold, keine Diamanten, kein Dach über dem Kopf. Einfach war es nicht, denn mein Ex-Mann übte enormen Druck aus; er brauchte mich, um eine Grösse im Musikgeschäft zu sein.

Sie waren damals rund 30 Jahre alt, vor wenigen Tagen sind Sie 72 geworden. Blieben Sie die ganze Zeit beim Buddhismus?

Turner: Immer. Es hat 40 Jahre gedauert, um so eine glückliche, entspannte, abgeklärte Person zu werden (lacht).

Haben Sie die Shows und Tourneen nun endgültig hinter sich gelassen?

Turner: Ich bin meiner Karriere entwachsen. Ich machte mehrere Welttourneen, feierte Welterfolge, schliesslich aber merkte ich, dass es nicht meine Vorsehung ist, bis ans Lebensende als Tina auf der Bühne zu stehen. Ehrlich gesagt: Die Rolle begann mich zu langweilen. Das Leben als Tina war anstrengend, ich musste die Batterien wieder aufladen.

Haben Sie zu Hause einen speziellen Meditationsraum?

Turner: In den USA meditierte ich im Wohnzimmer, sehnte mich aber immer nach einem separaten Raum. Als ich in die Schweiz kam und ein Haus mietete, machte ich meinen Traum wahr. Ich holte eine vier Meter hohe Buddha-Statue, die ich einst in Indien gekauft und im Lagerhaus aufbewahrt hatte, in die Schweiz und stellte sie im Dachgeschoss des Gästehauses auf. Im Wohnhaus habe ich einen kleinen Raum, von dem aus ich den Garten überblicke. Am Morgen ziehe ich mich dorthin zurück und suche meine Ruhe. Zum Morgenritual gehören seit 35 Jahren das Lesen von Gebeten und das Singen des Mantras «Nam Myoho Renge Kyo» des Nichiren-Buddhismus aus Japan.

Frau Curti, raten Sie auch Managern zur Kontemplation und zum Meditieren?

Curti: Ein guter Manager zeichnet sich aus durch Klarheit im Geist und Ausgewogenheit der Gefühle. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, wie er ein bewusstes, verantwortungsvolles Vorbild wird. Alle alten Kulturen haben über Jahrtausende ihre Art von Meditation, Yoga, Kontemplation und Singen oder Rezitieren von Gebeten entwickelt. Durch diese Methoden lassen sich negative Emotionen, Unsicherheit und Stress abbauen.

Wächst seitens der Manager die Nachfrage nach Kontemplation?

Curti: Definitiv. In den letzten Jahren hat die Teilnahme von Männern in den Yoga- und Meditationsklassen stark zugenommen. Ein Beispiel ist Anton Gunzinger, Professor an der ETH und Inhaber der Firma Supercomputing Systems. Er gilt weltweit als Pionier und Innovator. Seit der Gründung meines Yogazentrums kultiviert er mit anderen Unternehmern Meditation, Yoga und Chanten. Ganze Innovations- und Designteams von führenden Möbel-, Schmuck- oder Beratungsfirmen kombinieren bei uns Yoga mit ihren Kreativprozessen. Wenn man mit Unternehmern aus Asien oder aus der arabischen Welt zusammenkommt, erzählen sie ganz ungezwungen von ihrer spirituellen Praxis. Bei vielen gehören Kontemplation und Meditation zum Tagesbeginn wie das Duschen oder Zähneputzen. Es geht übrigens nicht nur um fernöstliche Spiritualität. Als gläubige Christin kenne ich erfolgreiche Manager, die täglich die Bibel lesen und beten.

Steve Jobs setzte sich mit Buddhismus auseinander und reiste deshalb durch Indien und Japan. Sehen Sie einen Einfluss dieser Beschäftigung auf seine Unternehmerkarriere?

Curti: Die Ästhetik und Schlichtheit seiner Produkte erinnern mich an die Klarheit von Zen-Gärten, die ihn sehr faszinierten. Die Simplizität und die taktile Eleganz eines iPhone oder eines iPad sind Ausdruck einer inneren Klarheit. Sein Unternehmen zählt heute zu den wertvollsten Firmen der Welt. Das ist nicht etwa die Fantasie einer Yoga-Instruktorin – auf diese Verbindung verweist Walter Isaacson, der die umfassendste Jobs-Biografie schrieb. In die «Think Different»-Werbekampagne von Apple integrierte Jobs übrigens nicht nur Porträts von John Lennon und Bob Dylan, sondern auch eines Seiner Heiligkeit, des Dalai Lama.

Frau Turner, Sie haben sich aus dem Musikgeschäft zurückgezogen, haben nun aber trotzdem beim Musikprojekt «Beyond» (siehe unter 'Nebenartikel') mitgemacht. Eine Art Comeback?

Turner: Nein. Als ich vor ein paar Jahren in Neuseeland auf Tournee war, erhielt ich von einem Fan das Buch «Unity», das einen schreiend lilafarbenen Einband hat. Ich behielt es, weil mich die zentrale Botschaft faszinierte: Du trägst Gott, das Übersinnliche, in dir. Welcher Religion du auch angehörst, was du auch immer betest, es führt alles zum einen – zu dir. «Beyond» ist ein Musikprojekt für Frieden und Toleranz. Regula trug es an mich heran. «Beyond» ist eine Einladung, offen zu sein gegenüber Gebeten aus anderen Religionen.

Die «New York Times» hat Sie als «Queen of Rock ’n’ Roll» bezeichnet. Jedenfalls hat man Sie bislang kaum mit spiritueller Musik in Verbindung gebracht.

Turner: Wie gesagt: Bereits als kleines Mädchen betete ich, und auch später, als Rockstar, war mir das Spirituelle wichtig. Wenn mich einige Leute jetzt in neuem Licht entdecken, kann ich nur sagen: Das war immer ein Teil von mir. Dieser Teil hat mich aus der Dunkelheit ins Licht geführt. Für die neue CD «Children Beyond» haben wir mit Kindern gesungen. Meine Message an sie war: Sei du selber. Und vergiss nie: Es gibt eine positive und eine negative Kraft in dir. Meditieren oder singen hilft dir, dich für das Positive zu entscheiden.

 

Tina Turner (72) wuchs in Nutbush, Tennessee, auf. Sie trat zuerst mit Ike Turner auf, mit dem sie 16 Jahre lang zusammen war. Nach der Scheidung begann sie ihre Solokarriere. Die «Queen of Rock ’n’ Roll» absolvierte zehn Welttourneen und verkaufte 200 Millionen Tonträger. Die Sängerin wurde dutzendfach ausgezeichnet, unter anderem mit elf Grammy Awards, der höchsten Auszeichnung im Musikgeschäft. Turner lebt seit über zehn Jahren in der Region Zürich.

Regula Curti (55) war Lehrerin und Headhunterin beim Kadervermittler Korn/Ferry und hat einen Master of Arts. Die Ausdrucks- und Musiktherapeutin ist Gründerin und Leiterin des Yoga- und Therapiezentrums Seeschau. Sie ist Mitglied von Mind and Life, einem Forschungsprojekt des Dalai Lama. Regula Curti ist verheiratet mit Beat Curti, dem ehemaligen Verleger der BILANZ.