Herr Luginbühl, was hat Sie nach 18 Jahren bei der Zurich dazu bewogen, vor wenigen Wochen zur HDI zu wechseln?
Die Glaubwürdigkeit und die Fokussierung von HDI. Das Unternehmen wurde vor 118 Jahren durch die Industrie gegründet und konzentriert sich seither auf Industrieversicherungen. Die Expertise im Business-to-Business-Bereich ist unglaublich faszinierend, genauso wie das globale Netzwerk in 150 Ländern.

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In meiner neuen Rolle kann ich einerseits alles, was ich in den vergangenen Jahren bei Zurich gelernt habe, anwenden und andererseits noch viel dazulernen. 

Was hält Sie auch nach bald zwanzig Jahren noch im Industrieversicherungsgeschäft?
Das Industriekundengeschäft ist für mich die Königsklasse der Assekuranz. Als Industrieversicherer sind wir das Schmieröl der Wirtschaft. Keine Bank stellt eine Finanzierung für ein Bauvorhaben oder andere neue Unternehmensprojekte zur Verfügung, solange es dafür keinen Versicherungsschutz gibt. Unternehmen brauchen also guten Versicherungsschutz, um überhaupt investieren und expandieren zu können. Mit unseren Produkten geben wir ihnen die nötige Rückendeckung, damit sie innovative Produkte und Dienstleistungen entwickeln können. Indem wir ihnen die finanziellen Risiken von der Bilanz nehmen, geben wir ihnen auch finanziellen Spielraum für ihre unternehmerische Aktivität.

Zudem gefallen mir die Abwechslung und die Nähe zu den Kunden. In einem sich ständig wandelnden Risikoumfeld ist der Austausch mit den Kunden und den Brokern sehr eng und wir pflegen daher langjährige Partnerschaften.

«Unser Leitsatz ‹Together we take care of the unexpected and foster entrepreneurship› ist bei uns gelebte Überzeugung.»

Nichtsdestotrotz sind die fetten Jahre für die Industrieversicherer vorbei. Finanzkrise, Naturkatastrophen, Cyberattacken und nun noch Corona – die Branche steht unter Druck. Wie lautet ihr Credo für diese Zeiten?
Ja, die vergangenen Jahre waren sehr schwierig für die Branche, aber ich schaue vorwärts und unser Leitsatz «Together we take care of the unexpected and foster entrepreneurship» ist bei uns gelebte Überzeugung. 

Mit unserer partnerschaftlichen Einstellung gelingt es uns, unsere Kunden vom Gesetz der grossen Zahlen zu überzeugen. Will heissen: Wir zeigen unseren Kunden transparent auf, wofür sie ihre Prämie bezahlen und dass diese nicht nur ihre eigenen Risiken abdeckt, sondern dass sie damit einen Beitrag für die gesamte Gemeinschaft der Versicherten leisten. So leisten alle Versicherten einen Beitrag, wenn es bei dem einen Kunden zu einem grösseren Schicksalsschlag kommt. Diese Solidarität in einer Versichertengemeinschaft ist essenziell und es ist wichtig, sie transparent aufzuzeigen. 

HDI Global geniesst unter Industriekunden eine enorme Glaubwürdigkeit, weil das Unternehmen auch heute noch mehrheitlich im Besitz der Industrie ist. Das Kürzel steht für Haftpflichtverband der deutschen Industrie. Es ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Der Verein hält mit 79 Prozent der Anteile die Mehrheit an der börsennotierten Talanx-Gruppe, zu der HDI Global gehört. Lediglich 21 Prozent der Aktien werden am Kapitalmarkt gehandelt. Die Philosophie der Solidarität ist also tief verankert.

«Im Gespräch zeigen wir den Kunden auch auf, was es heisst, wenn sie die Cyberrisiken nicht versichern wollen.»

Zurück zu den Cyberrisiken und dem Thema «Silent Cyber». Hier lauert ja noch immer Ungemach durch alte Verträge, in denen Cyberattacken nicht explizit erwähnt sind …
Es ist klar: Cyberrisiken sind nicht mehr wegzudenken und die Frage, ob eine virtuelle Attacke erfolgen könnte, stellt sich nicht mehr. Diese lautet vielmehr nur noch: Wann erfolgt eine solche – und kann sie abgewehrt werden oder nicht? 

Aus diesem Grund sprechen wir die Kunden mit Verträgen ohne Cyberabdeckung offen darauf an und suchen gemeinsam mit ihnen eine Lösung. Für uns ist es zentral, dass sich die Kunden des Risikos bewusst sind und ihr Möglichstes tun, um dieses im Griff zu haben. Daher setzen wir stark auf Prävention, begleiten unsere Kunden mit Risk Engineering Reports und beim Aufbau der entsprechenden Expertengremien und Prozesse. Im Gespräch zeigen wir den Kunden auch auf, was es heisst, wenn sie die Cyberrisiken nicht versichern wollen. Dieser Prozess ist bei uns schon weit fortgeschritten.

Heisst das, HDI Global hat kaum mehr alte Verträge ohne Cyberabdeckungen?
Wir haben Kunden mit Haftpflicht-, Transport- und Sachdeckungen, die noch keine Cyberversicherung eingekauft haben. Mit diesen Kunden erzielen wir zunehmend Einvernehmen darüber, dass in ihren bestehenden Versicherungslösungen keine sogenannte «Silent Cyber»-Deckung enthalten ist. Sie stehen damit also ohne Versicherungsschutz gegen Cyberrisiken da. Was das im Schadenfall bedeuten kann, zeigen nicht nur wir unseren Kunden auf; das tun auch die Broker. Am Schluss muss freilich das Management des jeweiligen Unternehmens entscheiden, ob es einen Cyberschutz einkauft. Wenn es das ablehnt, sollte das Management sich auf jeden Fall auch mit dem Thema Organ- und Managerhaftung beschäftigen. Falls das Unternehmen später aufgrund eines Cyberangriffs in eine existenzielle Krise gerät, könnten die Anteilseigner dem Management die Frage stellen, warum diese Krise nicht mithilfe einer guten Cyberversicherung abgewendet wurde.

«Ein eigenes internationales Netzwerk ist für Industrieversicherer ebenfalls überlebenswichtig.»

Was muss ein Industrieversicherer mitbringen, um langfristig zu überleben?
Wir sind im People-Business. Ein Industrieversicherer benötigt in allen Teams die richtigen Fachleute, damit sie mit Kunden auf Augenhöhe über deren Geschäftsabläufe und über mögliche Risiken sprechen können. Diese Fachleute haben wir – aus quasi allen Branchen: von Mathematikern und Software-Programmierern über Pharma-Spezialisten, Maschinenbau-Ingenieure bis zu Juristen. Nur so können wir langfristig Underwriting-Champions in allen unseren Versicherungssparten bleiben. 

Ein eigenes internationales Netzwerk ist für Industrieversicherer ebenfalls überlebenswichtig. Viele Schweizer Unternehmen haben Standorte in vielen Ländern. Sie möchten auf keinen Fall in jedem Land mit einem anderen Versicherer zu tun haben. Sie brauchen also einen One-Stop-Shop. Das kann nur ein Versicherer bieten, der ebenfalls in allen diesen Ländern aktiv oder zumindest hervorragend vernetzt ist. 

Last but not least ist eine solide Finanzstärke in unserem Segment sehr wichtig: Ohne grosse Finanzkraft und stabile Finanzstärke-Ratings wird man bei Schweizer Unternehmen kein Vertrauen als Versicherer aufbauen können. 

Als CEO von HDI Global Schweiz haben Sie bestimmt auch Wachstumspläne für den Schweizer Markt. Verraten Sie uns diese?
Alle Geheimnisse kann ich natürlich nicht ausplaudern, aber unser Ziel ist es unter anderem, die Touchpoints bei unseren angestammten Kunden zu erweitern. Damit generieren wir nicht nur neues Geschäft, sondern festigen auch die Kundenbeziehung.

«Indem wir unser Angebot erweitern, diversifizieren wir auch unser Portfolio und damit unsere Risikostruktur.»

Was verstehen Sie unter neuen Touchpoints?
Es geht dabei unter anderem um den Ausbau der traditionellen Versicherungslösungen sowie um neue Produkte. Wir wollen ausserdem im Specialities-Bereich wachsen. Ich denke hier an Managerhaftpflicht-Produkte, Deckungen für Risiken im Bereich Merger & Acquisitions oder Veranstaltungsversicherung. Weiter ist es unabdingbar, dass wir auch die Portfoliodiversifikation vorantreiben.

Und wie treiben Sie diese voran?
Die erwähnte Erweiterung unseres Produktangebots ist dabei ein Faktor. Indem wir unser Angebot erweitern, diversifizieren wir auch unser Portfolio und damit unsere Risikostruktur. Zusätzlich wollen wir mehr Branchen als bisher ansprechen. Wir können nicht nur Risiken aus einer Industrie versichern, sondern müssen sehr breit aufgestellt sein. Und wir streben mehr Heterogenität bei der Kundenstruktur an. Ich möchte nicht nur internationale Schwergewichte in unserem Portfolio haben, sondern auch mittelständische Unternehmen. Das bringt uns Pluspunkte bei der Resilienz. Und es wird unserem Wachstum guttun.