Sind Sie zufrieden, wie sich die Krankenversicherer während der vergangenen Pandemie-Monate geschlagen haben?
Die Pandemie verlangte den Krankenversicherern und ihren Mitarbeitenden viel Flexibilität ab. Wie viele andere auch, haben wir unsere Kundenempfangszonen zum Schutz unserer Mitarbeitenden und der Kunden zeitweise geschlossen und mussten unsere Prozesse immer an die neusten Begebenheiten anpassen. Unser Ziel war, jederzeit für unsere Kunden erreichbar zu bleiben.
Hat Swica dieses Ziel erreicht?
Ich meine, ja. In der ersten Phase der Pandemie gingen bei unserem telemedizinischen Anbieter Santé24 sehr viele Anrufe ein. Um freie Kapazitäten für medizinisch dringende Anrufe zu schaffen, stellten wir innert kürzester Zeit auf der Website umfassende Informationen rund um Covid-19 zur Verfügung. Zudem entwickelte das Ärzte-Team einen Online-Corona-Check zur Ersteinschätzung.
Bestimmt gab es auch Hürden …
Ja; so mussten wir unsere Mitarbeitenden innert kürzester Zeit im Homeoffice mit zusätzlichen Bildschirmen ausstatten. Bandbreiten mussten erhöht, Ringrufe neu «verdrahtet» werden. Die Beschaffung und die Technik waren Herausforderungen, da wir nicht die einzige Firma in dieser Situation waren. Ich bin absolut stolz, wie pragmatisch, flexibel und engagiert unsere Mitarbeitenden mitgezogen haben.
Was würde Swica in einer nächsten Pandemie anders machen?
In der ersten Phase waren wir beispielsweise zu stark auf Perfektion bedacht. Konkret: Wir haben die ersten BAG-Plakate individuell im Swica-Look-and-Feel gelayoutet und laminiert. Spätestens nach der dritten Pressekonferenz wussten wir, dass wir pragmatischer werden müssen.
«Es hat sich bestätigt, dass wir eines der besten und solidesten Gesundheitssysteme der Welt haben.»
Was für eine Note geben Sie dem Gesundheitswesen nach den vergangenen Monaten?
Insgesamt gebe ich dem Gesundheitssystem gute Noten. Es hat sich bestätigt, dass wir eines der besten und solidesten Gesundheitssysteme der Welt haben. Die Spitäler blieben stets funktionsfähig, obwohl wir in der Schweiz mit Abstand nicht die härtesten Lockdown-Massnahmen hatten. Dies ist auch dem engagierten Pflegepersonal zu verdanken. Natürlich, rückblickend hätte man einiges vielleicht anders entschieden, aber im Rückblick ist immer alles viel einfacher.
An welche Entscheide denken Sie?
Es gibt sehr viele Entscheide, die bekanntermassen kontrovers diskutiert werden. Ich möchte mich hier aber nicht in die lange Schlange selbsternannter Experten einreihen.
Können Sie als Player im Gesundheitswesen der Pandemie auch etwas Gutes abgewinnen?
Grundsätzlich vermag nichts die menschlichen und wirtschaftlichen Tragödien aufzuwiegen. Wenn man aber auf das Positive fokussieren will, so ist Corona ein Katalysator der Digitalisierung. Wer hätte vor anderthalb Jahren gedacht, dass die grosse Mehrheit der Mitarbeitenden von zu Hause aus arbeiten kann? Zudem wurden vielen Versicherten die Vorteile der Telemedizin bewusst. So stiess unser innovatives Telemedizingerät Tyto Home auf eine hohe Nachfrage.
Was kann denn dieses Gerät – ersetzt es schon bald den Arzt?
Wer geht heute zum Fiebermessen zum Arzt? Wer ein Tyto Home hat, kann sich diese Frage z. B. nun auch bei Ohrenschmerzen stellen, denn dieses macht digitale Bilder und Videos vom äusseren Gehörgang, vom Trommelfell, Rachen oder der Haut sowie Tonaufnahmen des Herzens, der Lunge und der Bauchregion.
Das Gerät ersetzt den Arzt nicht, aber wenn dieser durch die Begutachtung der Aufnahmen feststellt, dass beispielsweise das Ohr entzündet ist, kann schneller gehandelt werden, als wenn dies erst Stunden oder Tage später bei einer Realkonsultation festgestellt wird.
Für 2021 sind die Prämien nur ganz moderat gestiegen und für viele Prämienzahlerinnen und -zahler sogar gesunken. Folgt nun der grosse Anstieg?
Diese Kristallkugel hätten wir gerne. Mitte Jahr, zum Zeitpunkt der Prämieneingabe, abzuschätzen, wie sich die Leistungen bis Ende des Folgejahrs entwickeln werden, ist immer mit einem Unsicherheitsfaktor behaftet. Eine weltweite Pandemie ohne absehbares Ende macht die Sache nicht einfacher.
Nach einem moderaten Leistungswachstum im Jahr 2020 haben die Kosten im ersten Quartal 2021 wieder etwas angezogen. Einen wesentlichen Einfluss auf die Prämienentwicklung wird haben, wie schnell eine Mehrheit der Bevölkerung geimpft ist und wie gut die Impfungen schützen. Eine grosse Unbekannte sind zudem die Long-Covid-Fälle.
«Die Forderung, die Reserven bis auf 100 Prozent abzubauen, erachten wir als unverantwortlich.»
Trotz allem sind die Reserven der Krankenversicherer nicht gross geschrumpft. Die Begehrlichkeiten aus der Politik werden also bleiben …
Für Swica gilt: Unsere Reserven sind solide, aber nicht übermässig hoch. Die Forderung, die Reserven bis auf 100 Prozent abzubauen, erachten wir als unverantwortlich, weil dadurch die Gefahr von Prämiensprüngen und unterjährigen Prämienerhöhungen massiv erhöht wird.
Die Reduktion der Reserven aus politischen Gründen kam seit Inkrafttreten des KVG bereits zweimal zum Einsatz. Beide Male folgten sprunghafte Prämienanstiege. Falls sich diese Forderung durchsetzt, sollte ein Abbau ausschliesslich als einmalige Rückzahlung erfolgen und nicht, um zu tiefe, nicht kostendeckende Prämien zu gewähren.
Weshalb?
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass der Billigkassenansatz nicht nachhaltig ist. Diese gerieten in finanzielle Nöte und mussten entweder ihre Prämien im zweistelligen Prozentsatz erhöhen oder von einem anderen Versicherer übernommen werden.
Apropos Übernahmen, wird die Pandemie die Konsolidierung unter den Krankenversicherern beschleunigen?
Die Pandemie hat die Digitalisierung vorangetrieben und dies dürfte die Konsolidierung effektiv beschleunigen. Digitalisierungsprojekte in einem komplexen regulatorischen Umfeld und mit hohen Ansprüchen an den Datenschutz sind aufwendig und kostenintensiv. Das wird für kleine und kleinere Anbieter anspruchsvoll.
«Wir setzen in erster Linie auf organisches Wachstum und haben Erfolg damit.»
Wird Swica also schon bald die eine oder andere kleinere Kasse übernehmen? Und wie sieht die ideale Übernahmekandidatin aus?
Wir setzen in erster Linie auf organisches Wachstum und haben Erfolg damit. Wir wollen höchste Qualität und Kundenzufriedenheit und wir sind überzeugt, dass Prävention und integrierte Versorgung in Zukunft noch wichtiger werden. Diese Überzeugungen muss jemand teilen, damit es passen könnte.
Die vergangenen Monate haben es gezeigt: Der Förderalismus im Gesundheitswesen ist für die Krisenbewältigung gelinde gesagt subobtimal. Wie ginge es besser?
Liefen die Dinge im zentralistisch organisierten Frankreich wirklich viel besser? Es gibt in jedem System Optimierungspotenzial und ich erwarte, dass im Rückblick analysiert wird, wo die Pandemie Schwächen im System aufdeckte, die behoben werden müssen. Phasenweise hatte ich den Eindruck, dass in der Schweiz mehr Krisenbewältigungs- und Covid-19-Experten als Einwohner leben …
Nebst der Pandemie gibt es mit der Überalterung der Gesellschaft sowie der Digitalisierung zwei weitere Megathemen, die auch Krankenversicherer betreffen. Wie begegnet die Swica diesen?
Die Digitalisierung beschäftigt uns täglich. So haben wir über Ostern ein neues Rechnungsprüfungssystem eingeführt, das unsere Effizienz erhöhen wird. Die vielen Tage, die wir im Homeoffice arbeiteten, haben uns aber auch gezeigt, wie wichtig der direkte Kontakt ist. Wir müssen eine gute Balance finden.
Und wie sieht es bei der Langlebigkeit aus?
Die Altersgruppe über 65 Jahre wird in den nächsten Jahren am stärksten anwachsen. Sie nimmt am meisten Gesundheitsleistungen in Anspruch, somit werden auch die Gesundheitskosten wachsen. Umso wichtiger ist es, der Gesundheit Sorge zu tragen.
Aus diesem Grund investieren wir seit je konsequent in gesundheitsfördernde Massnahmen und haben im letzten Jahr unsere App Benevita neu lanciert. Sie ist ein digitaler Coach mit Bonusprogramm für Bewegung, Wohlbefinden und gesunde Ernährung und soll die Nutzer zu einem gesünderen Lebensstil motivieren. Das A und O wird aber immer sein, gar nicht erst zu erkranken.
Kann denn Prävention alleine verhindern, dass die Kosten aufgrund der immer älter werdenden Bevölkerung in exorbitante Höhen steigen?
Nein, aber sie kann einen ganz wesentlichen Beitrag leisten, nichtübertragbare Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu vermeiden oder deren Folgen zu lindern.