- Beim Umgang mit Toprisiken macht die Schweiz zu wenig aus ihren Möglichkeiten
- Je besser eine Krise vorbereitet wird, desto geringer werden die Schäden sein
- Zusammenarbeit in Form von PPP-Lösungen ist unabdingbar
- Der Assekuranz kommt eine Schlüsselrolle bei der Vorbereitung und Abwicklung von Krisen zu
Unter dem Titel «Krisenbewältigung - die unverzichtbare Rolle der Assekuranz» zeigte der Risikoexperte und Gründer der Agentur Risk Agent, Bruno Spicher, Stärken und Schwächen im Umgang mit Risiken in der Schweiz auf.
Wenn es um Krisen geht, wird häufig das Bild vom schwarzen Schwan bemüht. Aber so unerwartet tauchen diese meistens gar nicht auf, eröffnete Spicher seine Ausführungen. Auch die Pandemie sei nicht unerwartet gekommen - und die Auswirkungen seien nicht so schlimm gewesen, wie befürchtet. Was angesichts des ungeheuren menschlichen und wirtschaftlichen Leids fast wie ein Hohn tönt, hat aber durchaus seine Berechtigung. Denn eine Pandemie zählt bereits seit vielen Jahren zu den weltweit grössten Risiken, wie Spicher anhand der nationalen Risikoanalyse und der Broschüre «Welche Risiken gefährden die Schweiz?», die bereits vor 20 Jahren verfasst wurde, aufzeigt. Diese weist neben einer Pandemie beispielsweise auch eine Strommangellage und Erdbeben als Toprisiken für die Schweiz auf.
Je besser man vorbereitet ist, desto geringer wird am Ende der Preis.
Bruno Spicher
Gute Ausgangslage in der Schweiz
Die wenigsten Länder würden über eine solch gute Ausgangslage mit einer nationalen Risikoanalyse verfügen. Allerdings werde zu wenig daraus gemacht, nahm er die Politik und die Behörden in die Pflicht. Eine Krise verlange immer viele Opfer, in menschlicher wie in finanzieller Hinsicht. Um einer Krise möglichst früh begegnen zu können und die Auswirkungen somit in Grenzen zu halten, sei es deshalb wichtig, dass es von Anfang an eine klare Rollenverteilung gibt. Dann sei klar, wer was zu tun hat, wer was übernimmt - und was es nicht braucht.
Denn der Weg von einem Notfall hin zu einer Katastrophe ist in der Regel kurz. «Je besser man vorbereitet ist, desto geringer wird am Ende der Preis», ist Spicher überzeugt. Für ein effizientes Risikomanagement müsse man sich immer an drei Fragen orientieren: «Was kann passieren? Was darf passieren? Was müssen wir tun?» - daraus würden dann die entsprechenden Massnahmen abgeleitet. Allerdings denke und handle die Politik meistens zu kurzfristig und sei gut im Verdrängen, konnte er sich einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen.
Probleme nicht verdrängen
Der Risikoexperte weiss, wovon er spricht. Spicher war selbst jahrelang in verantwortlichen Positionen in der Assekuranz tätig, beriet als Präsident der Nationalen Plattform Naturgefahren (Planat) den Bundesrat in Fragen zu naturgefahrenrelevanten Themen und ist aktuell Vorstandsmitglied der Schadenorganisation Erdbeben (SOE).
Er ist der Ansicht, dass die Assekuranz eine zentrale Rolle bei der Vorbereitung und Abwicklung von Krisen spielt - denn diese sei den Umgang mit Risiken schliesslich gewohnt. Die Versicherungswirtschaft habe ihre Fähigkeiten bei den verheerenden Überschwemmungen in der Schweiz 2005 oder jüngst beim Bergsturz in Brienz - als die Versicherer schnelle Vor-Ort-Hilfe leisteten - unter Beweis gestellt. Ohnehin sei die Schweiz bei klassischen Naturgefahren gut aufgestellt. Das gelte allerdings nicht bei Erdbeben, wo es immer noch massive Defizite gibt, obwohl sie ein Toprisiko darstellen. Hier müsse die Assekuranz sich stärker einbringen, forderte Spicher. Die Politik und die Behörden seien hier schlichtweg überfordert.
Klare Rollenverteilung
Grundsätzlich brauche es eine stärkere Risikokompetenz nicht nur bei staatlichen Organen, sondern auch in Wirtschaft und Gesellschaft. Dann könne man besser mit Risiken umgehen. An so genannten Public Private Partnership-Lösungen gehe kein Weg vorbei, denn die Versicherungswirtschaft könne nicht allein alle Risiken tragen und finanzieren, was vor allem für Kumulrisiken wie Pandemien, Erdbeben oder Strommangellage gilt.
Allerdings müssten diese Lösungen einfach und nachvollziehbar sein, und sich nicht in versicherungstechnischen Erklärungen verstricken, die am Ende niemand verstehe und alle überfordere. Deshalb müsse bei möglichen Lösungen unterschieden werden zwischen versicherbar, teilweise versicherbar und nicht versicherbar. Vor allem was die Finanzierung der Schäden anbelangt sei es unabdingbar, ein Gesamtbild zu entwerfen und die entsprechenden Rollen zu verteilen.
Keine Zeit für Experimente
Allerdings fehle es häufig am Solidaritätsgedanken nach dem Motto: Was gehen mich die Gefahren in anderen Regionen an, wir sind doch gar nicht betroffen? Die Elementarschadenversicherung gebe hier die Richtung vor, die neun Naturgefahren umfasst und deren Erfolg unbestritten ist.
Mit jeder zusätzlichen Gefahr, die dort aufgenommen wird, würde der Kreis derer, die gar nicht von diesen Gefahren betroffen sind, geringer. Damit würde auch der Widerstand gegen sinnvolle PPP-Lösungen automatisch kleiner, ist Spicher überzeugt. Es gebe sehr viele Instrumente, «jetzt muss man einfach mal machen». Denn: Die Risiken würden immer grösser, wie die Auswirkungen des Klimawandels oder neue Gefahren wie Cyber zeigen.
Die entscheidende Rolle der Assekuranz in der Krisenbewältigung werde angesichts der veränderten Risikolandschaft künftig sogar noch wichtiger. Wenn alle Hand in Hand arbeiten, wird die Volkswirtschaft insgesamt resilienter, schlussfolgert Spicher. Krisenbewältigung sei keine Zeit für Experimente. «Das Glück bevorzugt den, der vorbereitet ist», schloss er seine Ausführungen mit einem Zitat des französischen Chemikers, Physikers und Nobelpreisträgers Louis Pasteur.