Frau Hämmerli, Ihr neuer Bericht hebt die Rolle der integrierten Versorgung hervor. Wie könnte die Einführung eines «Health Journey Managers» in der Schweiz konkret aussehen, und welche Herausforderungen erwarten Sie dabei?

Das qualitativ hochstehende schweizerische Gesundheitswesen ist fragmentiert und sehr komplex geworden. Für verschiedene Gruppen wie Senioren oder chronisch kranke Personen ist es mitunter schwierig, sich zurechtzufinden oder ohne Unterstützung zu idealer medizinischer Hilfe zu gelangen. Genau diese Verantwortung könnte künftig bei den «Health Journey Managern» liegen, welche konkrete Lenkungsunterstützung und zufriedenstellendere Ergebnisse bei gleichzeitig geringeren Kosten ermöglichen sollen. Diese Fachpersonen müssen Teil der integrierten Versorgung sein, egal ob sie beim Versicherer – zum Beispiel im Rahmen von alternativen Grundversicherungsmodellen oder als Zusatzleistung in der Zusatzversicherung – oder beim Leistungserbringer angesiedelt sind. Dafür sind einerseits medizinisches Wissen und andererseits Systemkenntnisse im Gesundheitswesen unerlässlich. Entstehen könnte über Pilotprojekte und gesammelte Erfahrungen ein neues Berufsbild.

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Die Gesprächspartnerin

Marion Hämmerli, Partnerin, Zürcher Büro von McKinsey, und Autorin der Studie.

Die Nutzung von Health Analytics wird als Chance gesehen, Leistungskosten besser zu verstehen und Patientenergebnisse zu optimieren. Welche Datenarten und Analyseansätze halten Sie in diesem Bereich für am Erfolg versprechendsten?

Idealerweise würden für bestmögliche Patientenergebnisse alle verfügbaren Informationen, inklusive diagnostischer Daten, betrachtet werden – zum Beispiel im Rahmen eines elektronischen Patientendossiers. Dies ist jedoch für Krankenversicherer schwer umsetzbar. Wir schlagen deshalb die Nutzung von Abrechnungsdaten vor, denn bereits diese beschreiben eine Behandlung verbunden mit den Kosten sehr genau. Sie könnten aggregiert und in einem Zeitverlauf betrachtet werden, um Patientenpfade zu extrahieren und statistische Variabilität zu erkennen. Zudem würde die Möglichkeit bestehen, diese durch weitere den Versicherern vorliegende Informationen, wie beispielsweise soziodemographische Daten, zu ergänzen. 

Die Art der möglichen Analysen reicht von deskriptiven, statistischen Betrachtungen bis zu ausgeklügelten prädiktiven Machine-Learning-Algorithmen, um beispielsweise individuelle Risikofaktoren zu ermitteln. Grundsätzlich haben diese zum Ziel, mögliche Interventionspunkte sichtbar zu machen – zum Beispiel über auffällige Variabilität. Die Analysen können dabei auch helfen, versehentliche oder bewusste Missbrauchsfälle zu identifizieren. Hier haben Krankenversicherer wohl noch Einsparpotenzial, wie wir auch in anderen Erhebungen sehen konnten. 

Die steigende Anzahl von AVM-Modellen zeigt den Wunsch nach kostengünstigeren Versicherungen. Welche zusätzlichen Schritte sind nötig, um diese Modelle zu einem wirklich integrierten Versorgungsansatz auszubauen?

Da gibt es unterschiedliche Hebel. Einerseits können Rahmenbedingungen verbessert werden, die den weiteren Ausbau der AVM lohnenswert und nachhaltig machen, zum Beispiel durch eine längere Mindestvertragsdauer. Andererseits können die Steuerungsmechanismen in den Modellen selbst weiter optimiert werden. Beispielsweise wäre es sinnvoll, dass AVM einen viel breiteren Teil der medizinischen Wertschöpfungskette abdeckt, als es heute oft der Fall ist. In den heutigen «Stage-Gate»-Modellen findet Steuerung oft nur am Einstiegspunkt ins Gesundheitswesen statt. Vertragliche Partnerschaften von Versicherern mit Spezialisten und Spitälern könnten hier Abhilfe schaffen, ebenso ein Ausbau von Ärztenetzwerken in Richtung Spezialmedizin. Generell wären alternative Vergütungsmodelle mit Output-bezogener Vergütung, wie sie im Markt teilweise bereits existieren, weiter auszubauen. 

Prädiktive Health-Analytics-Elemente bieten Potenzial für eine proaktive Gesundheitssteuerung. Was sind die grössten Hindernisse für eine breite Implementierung solcher Ansätze in der Schweiz?

Health Analytics ist heute primär ein Lifestyle-Service, der sich gerade bei jungen und gesunden Menschen grosser Beliebtheit erfreut. In der breiten Masse der Bevölkerung im Sinne von «Public Health» ist Health Analytics leider zu wenig verankert. Vertrauen muss aufgebaut werden, dass Krankenversicherer Partner sein können, die sich aufrichtig um das Wohlergehen ihrer Versicherten bemühen und weit über die Finanzierung hinaus wertstiftend sind. 

Neben Akzeptanz spielen die gesetzlichen Grundlagen und eine ausreichende Datenqualität eine Rolle. Die heutigen Abrechnungsdaten sind in vielen Fällen noch zu wenig strukturiert und liegen nur in geringer Qualität vor, gerade im Bereich der Zusatzversicherung. Stellt man sich vor, dass ein Krankenversicherer dem Patienten aufgrund seiner Historie und Vorerkrankungen Empfehlungen geben könnte, wäre dies ein wertvoller Service, insbesondere für Hochrisikopatienten. 

Ihr Bericht beleuchtet auch die Reserven der Versicherer, welche deutlich gesunken sind, was die Stabilität der Anbieter gefährden könnte. Welche Massnahmen sollten Versicherer Ihrer Meinung nach ergreifen, um ihre Solvenz langfristig zu sichern?

Weder Reserveabbau noch übermässige Prämiensteigerungen sind wünschenswert, doch natürlich muss die Prämienhöhe so angesetzt werden, dass laufende und zu erwartende Kosten gedeckt werden können. Prämien sind so zu fixieren, dass die erwartete medizinische Teuerung und der erwartete Anstieg der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen dadurch abgedeckt sind. 

Damit exorbitante Prämienerhöhungen vermieden werden können, sollten Leistungserbringer und Versicherer weiterhin gemeinsam in neue Versorgungsmodelle investieren, wie dies im Markt auch passiert. Darüber hinaus sollten Versicherer auch klar artikulieren, welche Rahmenbedingungen es braucht, um die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens bei gleichbleibender oder besseren Patientenergebnissen zu gewährleisten.

Sie erwähnen im Bericht die Möglichkeit einer weiteren Konsolidierung unter Schweizer Krankenversicherern. Welche spezifischen Vorteile könnte eine selektive Konsolidierung in Bezug auf Kosten und Effizienz bieten?

Um Synergien in Sachen Verwaltungs- und Leistungskosten zu erzielen, gibt es prinzipiell zwei unterschiedliche Szenarien: Der Zusammenschluss zweier grosser Anbieter oder mehrerer kleiner. Auswertungen zeigen, dass die «Grösse» bis zu einem bestimmten Punkt zu niedrigeren Verwaltungskosten führt. Materiell fallen jedoch Einsparungen bei Leistungskosten ungleich stärker ins Gewicht. Diesbezüglich sind grössere Spieler durch Stellung im Markt und Attraktivität als Partner in einer besseren Ausgangslage. Anzufügen wäre, dass wir durchaus Potenzial sehen für grundsätzliche strukturelle Kostenoptimierungen in der Krankenversicherung, zum Beispiel durch Nutzung neuer Technologien. 

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