Schlagzeilen beim Versicherungsbetrug machten zuletzt von einer Betrüger-Bande bewusst verursachte Karosserieschäden in sieben «Autobumser-Fällen», begangen im Zeitraum von Dezember 2014 bis Juni 2017. Sie landeten Mitte März 2021 schliesslich vor Gericht am Strafjustizzentrum in Muttenz. Den sechs Angeklagten wurde vorgeworfen, mehrere Versicherungen mittels vorgetäuschter Unfälle um fast 60’000 Franken geprellt zu haben. Involviert und als Privatklägerinnen aktiv waren die Axa, die Basler Versicherungen, die Zurich Versicherungen und die Allianz.
So dreist wie in diesem Fall gehen die wenigsten Versicherungsdelinquenten vor. Eher wird geschummelt, als arglistig getäuscht. «Häufig werden Versicherungsansprüche ungerechtfertigt vergrössert», weiss Samuel Klaus, Leiter Bekämpfung des Versicherungsmissbrauchs (BVM) der Axa Schweiz. Ein tatsächlicher Schadenfall wird ausgenutzt und der Versicherer so getäuscht, dass eine höhere Leistung erbracht wird, als geschuldet ist. Zum Beispiel durch Diebstahllisten mit zusätzlichen erfundenen Positionen oder durch Reparatur von Vorschäden an einem Fahrzeug, die zwar nicht beim aktuellen Schadenfall entstanden sind, aber «im gleichen Aufwisch» repariert werden. «Verhältnismässig selten sind dagegen abgesprochene Verkehrsunfälle oder absichtlich herbeigeführte Schäden wie Eigenbrandstiftung», ist die Erfahrung bei der Axa.
HZI-Reihe Versicherungsbetrug
Aufdeckungsquote steigt
Mit einem Team von knapp 40 Personen sowie bei Bedarf zusätzlichen «Data Scientists» ermittelt die Axa-Abteilung BVM mit Leiter Samuel Klaus jährlich in rund 3700 Verdachtsfällen und vereitelte so 2020 ungerechtfertigte Schadenansprüche in Höhe von rund 40 Millionen Franken. «Das entspricht etwa 2 Prozent des Gesamtschadenvolumens», rechnet Klaus vor. «Wobei die Aufdeckungsquote nicht zuletzt dank dem Einsatz automatisierter Betrugserkennungssysteme steigt.»
Beispiel Autoversicherung: Schon beim Abschluss eines solchen Vertrags ist heute eine kurze Bearbeitungsdauer Pflicht, weil Kunden eine verbindliche Zusage noch am gleichen Tag erwarten – eine Herausforderung für Versicherungen angesichts der hohen Anforderungen an die Sicherheit. Durch eine sorgfältig eingerichtete automatisierte Risikoanalyse und Betrugserkennung können verschiedenste relevante Informationen nahezu in Echtzeit überprüft werden: Ist der Antragsteller auch der Eigentümer des Fahrzeugs? Gibt es einen «regelmässigen» Fahrer? In welcher Beziehung steht dieser zum Antragsteller? Die Qualität dieser Kontrollen beeinflusst unmittelbar das mit dem Kfz-Portfolio erzielte Ergebnis. Zugleich wird so vermieden, dass unschuldige Bürgerinnen und Bürger Opfer von Identitätsbetrug werden.
Prävention hat hohe Priorität
Die Erkennung von Antragstellern, mit denen ein hohes Risiko verbunden ist, sowie die Prävention und Erkennung von Betrug geniessen eine hohe Priorität. Das neue Hinweis- und Informationssystem HIS nutzen Versicherer als zusätzliches Hilfsmittel bei der Prüfung der in Versicherungsanträgen gemachten Angaben und bei der Aufklärung von Schadenfällen mit Manipulationsverdacht. Eventuellen Hinweisen aus dem HIS geht der Versicherer im Rahmen seiner Risiko- oder Leistungsfallprüfung nach und untersucht den Sachverhalt eingehend.
Samuel Klaus erwartet vom Hinweis- und Informationssystem HIS «in einem ersten Schritt einen präventiven Nutzen». Wer in einen Versicherungsmissbrauch involviert sei und deshalb in das System eingemeldet werde, hüte sich – so wird erwartet –, erneut eine Versicherung zu täuschen. Soweit diese präventive Wirkung im Interesse aller ehrlicher Kunden nicht erzielt werden kann, erlauben die Hinweise des Systems eine genauere Prüfung von zukünftigen Schadenfällen einer eingemeldeten Person. «Dank der genauen Prüfung kann ein erneuter Versuch von Versicherungsmissbrauch aufgedeckt werden», ist Klaus überzeugt.
Auch die Mobiliar und die Basler Versicherung erwarten durch das HIS und neue Methoden der Missbrauchsbekämpfung eine «weiter steigende Aufdeckungsquote». Mobiliar-Mediensprecherin Kim Allemann konkretisiert: «Mithilfe der Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, werden wir effektiver und effizienter.» Rund 30 Personen, darunter ehemalige Polizistinnen und Polizisten, Versicherungsfachleute sowie Juristinnen und Juristen sind bei der Mobiliar unter der Leitung von Marco Bumann im Einsatz, um fingierte Schadenmeldungen zu prüfen – jährlich werden rund 1400 Delikte aufgedeckt und so Vergütungen von 22 bis 25 Millionen Franken jährlich eingespart.
Bei der Basler Versicherung bearbeitet das achtköpfige BVM-Team zusammen mit den zuständigen Fachbereichen jährlich rund 1000 Dossiers. «In jedem dritten Fall bestätigt sich der vorherige Verdacht», erläutert Roberto Brunazzi, Head Group Media Relations. Die aufgedeckten Fälle führten zu einer Einsparung von rund 1 Prozent der gesamten Schadenleistungen.
Automatisierung bei der Analyse
Anhand von Anomalieerkennungsmethoden versucht das BVM-Team der Basler Versicherung aktuell, basierend auf den eigenen Inhouse-Datensätzen, Verdachtsmomente und potenziellen Missbrauch automatisiert zu erkennen. Die Mobiliar hat mit dem gleichen Ziel in ihrem Schadensystem vor vier Jahren eine IT-unterstützte Missbrauchserkennung implementiert. «Das Tool basiert auf einer digitalen Datenauswertung der internen schaden- und vertragsrelevanten Daten», informiert Kim Allemann. Erkennt das System Ungereimtheiten, wird der Fall von Spezialisten näher geprüft. Die Erfahrung und das «Bauchgefühl» der Schadenmitarbeitenden bleiben also trotz Digitalisierung weiterhin «Hauptindikatoren bei der Missbrauchserkennung», so die Sprecherin.
Auch bei der Axa hat die Aufmerksamkeit der Schadenbearbeiter weiterhin «eine grosse Bedeutung», wie Samuel Klaus betont. «Sie melden unglaubwürdige und verdächtige Fälle an die Fachstelle BVM, damit allfälliger Versicherungsmissbrauch aufgedeckt werden kann.»
Datenschutz gewährleistet
Und wie steht es in diesem Bereich mit dem Datenschutz? Die Axa trifft hier genau definierte Vorkehrungen: «Wir informieren unsere Kunden konsequent darüber, dass die Bekämpfung von Versicherungsmissbrauch Teil einer korrekten und fairen Schadenbearbeitung ist und im Interesse aller ehrlichen Kunden liegt», sagt Samuel Klaus. So sei es für Kunden voraussehbar, dass in Verdachtsfällen zusätzliche Abklärungen getroffen und öffentlich zugängliche Informationen berücksichtigt werden. «Im Übrigen lassen wir uns vom Anspruchsteller im Schadenfall eine Vollmacht unterzeichnen, um die Zuverlässigkeit seiner Angaben mit anderen Informationsquellen überprüfen zu können.»