Darum geht’s
- Klimawandel erhöht die Häufigkeit und Schwere von Naturkatastrophen, was Versicherer vor neue Herausforderungen stellt.
- Versicherungen können ihre Rolle erweitern, indem sie Prävention fördern und moderne Technologien für Frühwarnsysteme nutzen.
- Durch aktives Risikomanagement und Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern können Versicherer einen wertvollen Beitrag zum Schutz vor Naturgefahren leisten.
Die Flutereignisse 2024 im Tessin, Graubünden, Wallis sowie im Berner Oberland haben gezeigt, was wir schon lange wissen: Mit dem Klimawandel wird die Häufigkeit und Schwere von Elementarereignissen zunehmen. Nebst den bekannten Gefahrenzonen werden auch Orte betroffen sein, die bisher als sicher galten. Entsprechend datiert der Bund die Gefahrenkarten auf. Gleichzeitig steigt die Anzahl und der Wert der Gebäude in der Schweiz unaufhörlich, so dass immer mehr Liegenschaften, immer häufiger und immer heftiger betroffen sein werden. Der perfekte Sturm für die Versicherungsindustrie mit stetig steigenden Prämien und Tälern, die nicht mehr bewohnt werden können, weil die lokalen Gebäude nicht mehr versicherbar sind?
Markus Reding, Leiter Versicherungsmarkt Schweiz, Zühlke
Erfahrungen aus der Feuerversicherung als Vorbild
Eine solche Entwicklung ist nicht unvermeidlich. Das Beispiel Feuerrisiko zeigt es. Seit vielen Jahrzehnten sinkt dank eng verzahnter Massnahmen in den Bereichen Raumplanung, Baunormen, Feuermeldeanlagen und gut ausgerüsteten und ausgebildeten Feuerwehren die Feuergefahr. Versicherungen haben in diesem Zusammenspiel mit allen politischen Ebenen (Gemeinden, Kantone, Bund) eine treibende Rolle gespielt. Es waren auch Kompromisse notwendig bis hin zu einem massvollen Eingriff in die Eigentumsrechte, um Leben zu schützen. Eine ähnliche Entwicklung steht uns bei den Elementarrisiken bevor. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten für die Versicherer, ihre Relevanz in den Augen der Kundschaft zu steigern.
Die bisherige Rolle der Versicherung war stark auf den Wiederaufbau ausgerichtet. Menschen können sich dank Versicherungen besser und schneller von Naturereignissen erholen. In Zukunft muss die Rolle breiter gesehen werden. Sie fängt damit an, dass die Risiken besser verstanden und kommuniziert werden und geht weiter mit einer Einflussnahme auf bauliche und technische Standards sowie Raumplanungsentscheidungen. Die Flutversicherung sollte auch so gestaltet werden, zum Beispiel über gestaffelte Selbstbehalte, dass sie die einzelnen Hausbesitzer zu präventiven Massnahmen ermuntert. Und schliesslich kann in der Warnung und Intervention wesentlich mehr getan werden.
Es zeigt sich zum Beispiel, dass betroffene Gemeinden mit einem starken sozialen Zusammenhalt besser auf ein Naturgefahrenereignis reagieren und sich auch besser davon erholen. Ausserdem können Nachbarn, die aktiv in Prävention investieren, eine messbare Vorbildfunktion einnehmen und andere ebenfalls zu solchen Massnahmen ermutigen. Hier können Versicherer, die über ihre Agenturen oft nahe am Leben in diesen Gemeinschaften sind, durchaus aktiv werden.
Sensortechnik und Datenanalysefähigkeiten können helfen
Flutereignisse haben eine meteorologische Vorgeschichte, die sich jedoch kleinräumig sehr unterschiedlich ausprägt. Mit einer Wetterprognose allein kann deshalb ein lokales Ereignis nicht präzise genug vorhergesagt werden. Neue Technologien im Sensorbereich erlauben hier spannende Ansätze zur Frühwarnung. Hierzu müssen die mit Sensoren in Echtzeit gesammelten Daten zu Niederschlagsmengen, Bodensättigung und Pegelständen mit neuesten Flutmodellen kombiniert werden. Letztere können nicht mehr nur auf historische Daten beruhen, da diese durch den Klimawandel zum Teil überholt wurden. Diese Daten müssen sinn- und verantwortungsvoll ausgewertet und eingesetzt werden, wobei auch weitere Partner, zum Beispiel der Mobilfunkanbieter, eingebunden werden müssen, um zielgenau warnen zu können.
Das alles ist nicht einfach und bringt die Leistungsfähigkeit so mancher IT an ihre Grenzen. Aber man stelle sich vor: Einer Versicherung gelingt es dank eines solchen Frühwarnsystems, schon eine Stunde vor dem Flutereignis vor Ort zu sein und den Einsatzkräften zu helfen, die am meisten gefährdeten Gebäude mit Sandsäcken oder mobilen Flutbarrieren zu schützen. Die Bevölkerung im betroffenen Gebiet wurde gewarnt, zum Beispiel via AlertSwiss, wobei die Warnung mit praktischen Handlungsempfehlungen durch die Versicherung angereichert wird: «Bringen sie Ihr Auto aus der Tiefgarage und fahren sie es auf einen erhöhten Standort. Räumen Sie den Keller von wertvollen Gegenständen, insbesondere auch solchen von hohem emotionalem Wert. Schalten sie Gas und Strom ab. Allenfalls: Begeben Sie sich in Sicherheit, wobei Sie die wichtigsten persönlichen Gegenstände und eine Notvorsorge (Ausweise, Medikamente, Ersatzkleider, Nahrung) dabei haben.»
Eine solche Versicherung könnte sich glaubwürdig am Markt differenzieren. Und nach dem Ereignis hätte sie alle Argumente auf ihrer Seite, um vermehrte Prävention anzuhalten. Versicherung als «Protection-as-a-Service»: Damit sinken nicht nur die erwartbaren Schäden auf ein versicherbares Niveau, die Versicherer können ihre Rolle als Risikoexperten auch öffentlichkeitswirksam einbringen.