Die Ampel springt auf Gelb, plötzlich bremst der Autofahrer vor dem eigenen Fahrzeug – es knallt. An Versicherungsbetrug denkt in diesem Moment kaum jemand. Dabei steckt laut Schweizerischem Versicherungsverband SVV schätzungsweise hinter jeder zehnten Schadenmeldung ein Betrug. «Bei einem Schadenaufwand von rund 7 Milliarden Franken im Jahr 2019 in diesen Bereichen macht dies jährlich einen Betrag von bis zu 700 Millionen Franken aus», rechnet SVV-Mediensprecherin Lisa Schaller vor. Exakte Zahlen für 2020 werden erst Mitte August 2021 bekannt gegeben.
Kavaliersdelikt oder Straftat?
Versicherungsbetrug ist kein Kavaliersdelikt. «Man schadet damit einer solidarischen Gemeinschaft von mehrheitlich ehrlichen Kunden. Die durch Versicherungsmissbrauch verursachten Schäden müssen über die Prämien wieder ausgeglichen werden», betont Lisa Schaller. Die Begriffe «Versicherungsbetrug» und «Versicherungsmissbrauch» seien allerdings nicht ganz deckungsgleich: Der Begriff «Betrug» ist strafrechtlich sehr eng definiert und kann ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen – bis hin zu Gefängnisstrafen. Der Begriff «Missbrauch» ist dagegen etwas allgemeiner und umfasst zum Beispiel auch falsche Angaben, die gemacht werden, um günstigere Prämien zu erhalten.
Neue Formen des Betrugs
Generell ist Versicherungsbetrug im Bereich Motorfahrzeug-, Sach- und Haftpflichtversicherungen weit verbreitet. Doch auch im Bereich Unfall- und Sozialversicherungen kennt die Fantasie wenig Grenzen, stellen Versicherer wie die Suva fest. Noch bis vor wenigen Jahren dominierte das Bild des klassischen Versicherungsbetrügers: Eine Einzelperson bezieht durch falsche oder fehlende Angaben Geldleistungen wie Taggelder oder Renten, die ihr nicht zustehen.
Heute gehen Betrüger raffinierter vor: «Wir sehen uns vermehrt mit neuen Betrugsmustern konfrontiert», sagt Roger Bolt, Leiter Bekämpfung Versicherungsmissbrauch bei der Suva. «Der Missbrauch reicht von fiktiven Firmen, die nur gegründet werden, um Versicherungsleistungen zu beziehen, über Schwarzarbeit und Konkursdelikte bis hin zu bewusst falschen Abrechnungen durch Spitäler, Ärzte oder Therapeuten. Eines haben alle diese Muster gemeinsam: Den Schaden tragen die Ehrlichen.»
Die Suva verfolgt daher seit einiger Zeit eine Null-Toleranz-Politik gegenüber jeglicher Form von Versicherungsbetrug und geht konsequent dagegen vor. «Wenn ein Verdacht besteht, klären wir die Vorwürfe systematisch ab», so Roger Bolt. 2019 verhinderte die Suva ungerechtfertigte Zahlungen von über 17 Millionen Franken. Das Ziel: Ehrliche Kunden schützen und risikogerechte Prämien gewährleisten.
Algorithmen als Versicherungsfahnder
Längst spielt bei der Aufdeckung von sogenannten Dubiosfällen auch die Digitalisierung eine wesentliche Rolle. Versicherungen wie Allianz Suisse, Axa oder Mobiliar investieren in intelligente Computerprogramme, die Daten und gefälschte Dokumente bei berechtigten Zweifeln anhand neuester digitaler Analysetechniken schnell und effizient auf Betrugsversuche hin untersuchen können. In Zusammenarbeit mit Allianz Technology lancierte beispielsweise die Allianz Suisse ein «Fraud Analytics Tool», das Schäden mittels Algorithmen nach bestimmten Kriterien in Sekundenbruchteilen untersucht.