Vorgetäuschte Autounfälle, gefälschte Arztrechnungen, manipulierte Dokumente: 2020 untersuchte die Suva mehr als 2200 Verdachtsfälle und verhinderte ungerechtfertigte Zahlungen in der Höhe von 12,6 Millionen Franken. 

Die Experten hinterfragen immer dann, wenn es Unstimmigkeiten gibt bei Schadenmeldungen und Abrechnungen, die zu hohen Folgekosten wie Taggeld- oder Rentenleistungen führen. Zum Beispiel verletzte sich F. bei einem Unfall im Ausland schwer – scheinbar. Denn offizielle Dokumente gab es dazu nicht. Abklärungen zeigten, dass der Unfall frei erfunden war, nur um Leistungen von der Suva zu erhalten. F. musste das Geld zurückzahlen.

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Oder der Fall eines Arztes, der angeblich mehr als 24 Stunden am Tag arbeitete: Er schickte der Suva regelmässig Heilkostenabrechnungen, die auf den ersten Blick alle korrekt waren und dem Tarif entsprachen. Bei näherem Hinsehen entdeckten die Prüfer schliesslich einen Millionenbetrug.

Solche spektakulären Fälle kommen allerdings eher selten vor, verweist Roger Bolt auf die Statistik. Die allermeisten Versicherten sind ehrlich, doch es gibt auch schwarze Schafe. «Oft geht es bei Missbrauchsfällen darum, dass verunfallte Personen länger nicht zur Arbeit gehen wollen, als es notwendig wäre.» Oder am liebsten gleich in Rente gehen. Dann werden auch gerne Dokumente «frisiert» oder Falschaussagen gemacht. 

Kavaliersdelikt oder strafbares Vergehen?

Unachtsamkeit, Kavaliersdelikt und Betrug: Wo ist die Grenze? «Wir sind nicht die Polizei», stellt Roger Bolt grundsätzlich klar. Es gehe nicht darum, mit Kanonen auf Spatzen zu schiessen oder Menschen zu kriminalisieren bei einfacher Urkundenverfälschung. Manchmal könnten Versicherte die Folgen ihrer Manipulationen tatsächlich nicht einschätzen. Doch ihm ist wichtig, «dass man auch das sieht und miteinander spricht». 

Bei einem konkreten Anfangsverdacht oder Widersprüchen klären die Experten der Suva «korrekt und systematisch» alle Fakten ab. «Wir kontaktieren die betroffenen Personen transparent, stellen detaillierte Fragen und schaffen Klarheit», schildert Bolt die Vorgehensweise. Dabei ist ihm wichtig, «respektvoll» mit den Betroffenen umzugehen. Hat jemand allerdings tatsächlich Leistungen aus der Unfallversicherung ungerechtfertigt erhalten, erhebt die Suva Rückforderungen oder stellt Strafanzeige.

Als Sozialversicherung setzt die Suva stark auf Solidarität. «Deshalb ist es für uns wichtig, dass wir uns für die grosse Mehrheit von Verunfallten, Betrieben und Leistungserbringern einsetzen, die ehrlich sind», erklärt Bolt und betont: «Das ist eine besondere Aufgabe, die wir haben.»

Gemeldet werden der Suva rund 460’000 Unfälle pro Jahr, davon 222’000 Fälle oder mehr mit ausbezahlten Taggeldern oder Rentenleistungen. Wie werden die Daten aus einer so grossen Masse ausgewertet? «Tatsächlich sehen wir uns rund 1 Prozent aller Fälle mit Taggeld- oder Rentenanspruch genauer an», schildert Bolt. Das waren immerhin 2236 Verdachtsfälle im Jahr 2020. 

Digitalisierung unterstützt Betrugserkennung

Rechtskräftig wurden vergangenes Jahr 478 Fälle gegenüber 530 Fällen 2019. Verfahren zu Verdachtsfällen dauern oft mehrere Jahre. Daher ist ein echter Vergleich übers Jahr, ob Missbrauch nun tatsächlich ab- oder zunimmt, schwierig. Trend ist, dass dank Digitalisierung immer mehr Fälle gescannt und Daten gefiltert werden können. «Rein zahlenbasiert konnten wir in den vergangenen fünf Jahren über alle Schadenmeldungen hinweg in etwa 0,2 bis 0,25 Prozent Fällen einen Missbrauch feststellen. Diese Quote ist immer noch sehr niedrig», betont Bolt und beugt damit Ansichten vor, dass Tricksen und Betrügen eine Art Volkssport geworden sei.

Verbessern moderne Technologien, wie etwa vorhersagende Analysemethoden oder automatisierte Betrugserkennungssyteme, die Chancen, Versicherungsmissbrauch besser auf die Spur zu kommen? Roger Bolt bleibt skeptisch. Nach Schema F oder mit vorgefertigten Checklisten zu arbeiten, bringt erfahrungsgemäss bei Personenverletzungen wenig, weil sehr viele Komponenten – zum Beispiel Grad der Verletzung, Abrechnung von versicherten Betrieben und Leistungserbringern et cetera – miteinbezogen werden müssen. Seit einigen Monaten entwickelt die Suva ein neues, softwarebasiertes System für die Betrugserkennung. «Wir stellen fest, dass das Ganze sehr komplex ist. Den kompletten Durchbruch haben wir noch nicht erreicht», sagt Bolt. Gleichwohl ist er zuversichtlich, dass die moderne Technik die Betrugserkennung künftig unterstützen kann. «Die Einzelfallprüfung durch Menschen ersetzt es dennoch nicht.»