Die Pensionskassen müssen sich intensiver mit den Vorgaben der Vereinten Nationen und dem Pariser Klimaabkommen beschäftigen. Jetzt schon gilt es, sich auf mögliche neue Weichenstellungen durch die UN-Klimakonferenz (COP 26) Anfang November in Glasgow vorzubereiten. Taktgeber ist speziell die Europäische Union, wo Vorsorgeeinrichtungen bereits seit zwei Jahren darüber Bericht erstatten, wie sie ESG-Faktoren (Environmental, Social, Governance) miteinbeziehen. Trotz dem Volks-Nein zum CO2-Gesetz kann sich die Schweiz diesem Trend nicht entziehen. Die Pensionskassen haben bei der Festlegung ihrer Klimastrategie auf die Wünsche der Versicherten zu achten. Schon früh initiierten staatsnahe Vorsorgeeinrichtungen wie Publica, Post, Swisscom oder SBB den Schweizer Verein für verantwortungsbewusste Kapitalanlagen (SVVK), der nach dem Anschluss weiterer gewichtiger Kassen ein Anlagevermögen von über 200 Milliarden Franken umfasst. Der Verein identifiziert anhand der ESG-Kriterien problematische Unternehmen und führt mit ihnen einen Dialog. Wird weiter gegen Schweizer Gesetze oder ratifizierte internationale Konventionen verstossen, landet die fehlbare Gesellschaft auf einer Ausschlussliste.
Nachholbedarf im Anlageprozess
Der CO2-Fussabdruck wird allerdings noch längst nicht bei allen Vorsorgeeinrichtungen akribisch erfasst. Gemäss der jüngsten Swisscanto-Pensionskassenstudie verfügt erst ein Viertel der befragten Kassen über ESG-Kriterien im Anlagereglement und weitere 10 Prozent wollen sie in den nächsten drei Jahren einführen. Bei einem Viertel steht ein solcher Passus zur Diskussion, der Rest kümmert sich noch kaum um dieses Thema. Für Iwan Deplazes, Leiter Asset Management bei Swisscanto Invest, wird nachhaltiges Anlegen als dritte Dimension neben Rendite und Risiko immer wichtiger: «Klimarisiken sind Anlagerisiken, da Firmen mit CO2-intensiven Geschäftsmodellen Wertverluste drohen.» Auch eine Studie der Klima-Allianz, einem Verbund von Umweltorganisationen, kam im letzten Herbst zu einem ernüchternden Befund: Mehr als die Hälfte des analysierten Vorsorgekapitals wird von Pensionskassen verwaltet, die keine Klimarisiken im Anlageprozess berücksichtigen. Als positives Beispiel wird die Migros-Pensionskasse erwähnt, wobei PK-Chef Christoph Ryter allerdings relativiert: «Wir sind weiter als andere Pensionskassen, inzwischen beschäftigen sich aber immer mehr Kassen intensiv mit Klimarisiken.»
Einheitliche Standards fehlen
Obwohl die Messverfahren im Bereich Umwelt- und Sozialrisiken laufend verbessert werden, fehlt ein standardisiertes Bewertungssystem für ESG-Faktoren. Als Vorbild werden die Finanzkennzahlen genannt, wo die Rechnungslegungsvorschriften der International Financial Reporting Standards (IFRS) seit Jahrzehnten für Transparenz und Vergleichbarkeit sorgen. So weit ist die Berichterstattung bei den ESG-Kriterien noch nicht. Es gibt aber erfolgversprechende Ansätze. Nebst der EU haben die Vereinten Nationen die Principles for Responsible Investment (PRI) erarbeitet, die sich auch mit den Berichtspflichten von Unternehmen befassen. Trotzdem bleiben einheitliche Definitionen schwierig. Am weitesten fortgeschritten ist die Standardisierung im Bereich Umwelt. Demgegenüber hinken die Rating-Ansätze bei den Kategorien «Sozial» und «Unternehmensführung» hinterher. Bisher wurden die ursprünglich passiven Ansätze (positives und negatives Screening) um aktive Strategien (Engagement und Shareholder Activism) sowie den Best-in-Class-Ansatz ergänzt. Aber trotz neuen Tools sind Investmentstrategien gestützt auf Ausschlusskriterien weiterhin am stärksten verbreitet. Unternehmen mit kontroversen Aktivitäten wie etwa Waffenproduktion, Tabak, Glücksspiele oder Nuklearinvestitionen werden gemieden.
Keine Renditeeinbussen
Verschiedene Studien zeigen, dass wegen des Einbezugs von ESG-Kriterien bei der Rendite keine systematischen Unterschiede gegenüber traditionellen Anlagen bestehen. Der nachhaltige MSCI World Socially Responsible Index hat sich über eine Zehnjahresperiode hinweg praktisch identisch entwickelt wie sein klassischer Gegenpart MSCI World. Aus der Sicht von Veronica Weisser, Leiterin Retirement & Pension bei der UBS Schweiz, schmälern nachhaltige Anlagen die langfristige Rendite nicht: «Bedingung dafür ist wie bei nicht nachhaltigen Portfolios, dass die Zusammensetzung bewusst nach den Regeln der Portfolio-Optimierung erfolgt.» Auch für José Antonio Blanco, Head Investment Management Third Party Asset Management bei Swiss Life, bedeutet eine Anlage in zukunftsfähige Unternehmen nicht, auf Rendite verzichten zu müssen. Er sieht eher das Gegenteil: «Wir sind überzeugt, dass die systematische Integration von Nachhaltigkeitskriterien in den Anlageprozess ein wichtiger Erfolgsfaktor ist, um langfristig Wert zu schaffen.»