Der Schritt zur Gründung eines neuen Krankenversicherungsverbandes kommt für Aussenstehende überraschend. Seit wann liefen die Vorbereitungen hinter den Kulissen?
Ganz überraschend kam das nicht, in der Branche war schon lange eine latente Unzufriedenheit über die chronisch zerstrittenen Verbände vorhanden. Curafutura und Santésuisse haben in der Öffentlichkeit ein schlechtes Bild abgegeben und der Glaubwürdigkeit der Branche geschadet sowie unsere politische Schlagkraft reduziert. Nach dem Scheitern mehrerer Fusionsbestrebungen haben sich die grössten Krankenkassen der Schweiz nun vereint, um gemeinsam etwas Neues auf die Beine zu stellen.
Thomas Harnischberg ist seit 2022 Vorsitzender der Geschäftsleitung der Berner Krankenkasse KPT. Ende vergangenen Jahres hatte bereits der Austritt von KPT aus dem Dachverband Curafutura für Aufsehen gesorgt. Gemeinsam mit 12 anderen Krankenkassen soll die Krankenversicherungsbranche unter dem jetzt neu gegründeten Verband wieder geeint auftreten.
Gerade CSS, Helsana, Sanitas und KPT wollten mit dem vor zehn Jahren gegründeten Verband Curafutura Ihren Anliegen mehr Gewicht verleihen. Warum nun diese Kehrtwende?
In den vergangenen Jahren hat sich klar gezeigt, dass die Situation mit zwei Verbänden, die unterschiedliche Positionen vertreten, nicht zielführend ist. Angesichts der Herausforderungen wie Kostendruck, Digitalisierung oder Fachkräftemangel ist es zentral, partnerschaftlich an einem Strick zu ziehen und mit einer einheitlichen Stimme zu sprechen.
Für Santésuisse und Curafutura ist die Gründung ein Dolchstoss, sie werden obsolet. Gab es so viele Unstimmigkeiten mit den Verbänden?
Ja, es gab leider in verschiedenen wichtigen Themen immer wieder Unstimmigkeiten. In den bisherigen Strukturen waren auch keine Verbesserungen möglich – daher brauchte es jetzt einen Neuanfang.
Gesundheit ist bekanntlich das höchste Gut. Das lassen wir uns aber auch einiges kosten, was viele Herausforderungen für die Marktplayer mit sich bringt.
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Wie haben die beiden Verbände auf Ihre Ankündigung reagiert?
Grundsätzlich ist allen Akteuren klar, dass es nur gemeinsam vorwärts gehen kann. Weitermachen wie bisher ist keine Option.
Was werfen Sie Santésuisse und Curafutura konkret vor?
Die fehlende Kompromissbereitschaft. Wir anerkennen, dass beide Verbände und insbesondere deren Mitarbeitende stets das Beste wollten und von ihren Lösungen überzeugt waren. Aber das reicht nicht – man muss auch fähig sein, über den eigenen Schatten zu springen und den anderen Akteuren die Hand zu reichen. Dieses Miteinander hat gefehlt und der Branche geschadet.
Warum sind die Interessen in einem neuen Verband besser vertreten?
Ganz einfach: Mit den 13 grossen Krankenversicherern sind bereits über 90 Prozent der Marktanteile im neuen Verband vertreten. Die Mitglieder können geschlossen mit einer Stimme sprechen und so die politische Schlagkraft spürbar erhöhen.
Wie soll der neue Branchenverband personell, finanziell und organisatorisch ausgestattet werden?
Wir befinden uns noch in der Anfangsphase. Die weiteren Schritte werden in den kommenden Wochen gemeinsam definiert. Wir bitten Sie also noch um etwas Geduld.
Welchen Namen soll der neue Branchenverband tragen?
Die Namensfrage ist noch offen. Sie ist aber auch sekundär. Viel wichtiger ist es jetzt, die Branche endlich zu vereinen und ein deutliches Zeichen zu setzen.
Werden Mitarbeitende von Santésuisse und Curafutura übernommen?
Die Mitarbeitenden von Santésuisse und Curafutura haben gute Arbeit geleistet. Wir sind sehr bestrebt, ihnen entsprechende Lösungen anzubieten. Es werden sich spannende Perspektiven ergeben im neuen Verband.
Mit welchen Reaktionen aus der Politik rechnen Sie?
Die Unzufriedenheit über die zerstrittenen Verbände war nicht nur ein Ärgernis für die Krankenkassen, sondern auch für die Politik. Wenn ein Verband A sagt und der andere B, was soll dann die Politik tun? Die Politik hat unseren Entscheid hin zu einem einheitlichen Verband sehr wohlwollend aufgenommen.
Warum braucht es noch einen Verband, der die Interessen der Krankenversicherer wahrnimmt? Bereits heute herrscht ein Durcheinander bei Wahrnehmung der Interessen auf Stufe OKP und VVG.
Das sehe ich anders. Die Krankenkassen sind eine wichtige Branche, sie vertreten ca. 9 Millionen Grundversicherte in der Schweiz und beschäftigen mehrere Zehntausend Mitarbeitende. Daher brauchen sie auch eine starke politische Stimme. Der neue Verband kümmert sich ausschliesslich um politische Themen rund um die Grundversicherung, da gibt es eine klare Abgrenzung, beispielsweise auch zum Schweizerischen Versicherungsverband (SVV).
Das Interview wurde schriftlich geführt.