Darum geht's
  • Arbeitnehmende nehmen immer häufiger Auszeiten für Weiterbildungen oder Reisen, was jedoch finanzielle Einbussen und Versicherungskosten mit sich bringt, da während dieser Zeit kein Einkommen erzielt und nicht in die Pensionskasse eingezahlt wird.
  • Ein flexibleres System wie die Zeitwertkonten in Deutschland könnte Abhilfe schaffen, indem Überstunden und Boni steuer- und sozialabgabenfrei angespart und später für Auszeiten genutzt werden.
  • In der Schweiz könnte eine Anpassung des BVG notwendig sein, um ähnliche Möglichkeiten flächendeckend anzubieten und den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden.
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Arbeitnehmende pausieren die Erwerbstätigkeit immer öfter für Weiterbildungen, lange Reisen oder sonstige Auszeiten.

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Cyrill Habegger ist Leiter Steuern bei Pensexpert in Zürich.

Die berufliche Vorsorge sieht solche Unterbrüche jedoch nicht vor. Um sich das leisten zu können, sparen viele vorgängig und versuchen, über Boni oder die Auszahlung von Überstunden und Restferientagen ein Zusatzeinkommen zu erzielen. Dieses ist jedoch steuer- und sozialabgabenpflichtig. Kommt hinzu, dass während der Auszeit kein Einkommen erzielt wird und der Versicherungsschutz selbst bezahlt werden muss. Nicht zuletzt kann eine Auszeit zu empfindlichen Einbussen bei der Altersrente führen, da während ihrer Dauer nicht in die Pensionskasse eingezahlt wird.

Dabei könnte das System deutlich flexibler gestaltet werden, beispielsweise mit sogenannten Zeitwertkonten. Sie erlauben es deutschen Arbeitnehmenden, in einen Geldwert umgerechnete Zeit anzusparen und diese zu einem späteren Zeitpunkt für einen Erwerbsunterbruch einzusetzen. Typischerweise können Überstunden, Urlaubstage, Gehaltsanteile oder auch Boni auf das spezielle Vorsorgekonto eingezahlt werden. Diese Einzahlungen werden vorerst nicht mit Steuern und Sozialabgaben belastet, sondern direkt vom Arbeitgeber auf das Zeitwertkonto überwiesen. Erst beim Bezug werden Steuern und Sozialabgaben fällig. Da die Gelder an eine Vorsorgeeinrichtung transferiert werden und nicht beim Arbeitgeber verbleiben, sind sie selbst im Konkursfall des Arbeitgebers geschützt.

Politik muss aktiv werden

Derzeit haben in Deutschland rund 11 bis 14 Prozent der Beschäftigten in der Grossindustrie ein Zeitwertkonto. Bei kleineren Betrieben ist diese Form des Zeitsparens noch weniger verbreitet. Über alle Sektoren und Unternehmensgrössen hinweg gibt es gemäss Schätzungen deutschlandweit ungefähr 400’000 Zeitwertkonten, in die rund 34 Milliarden Euro eingezahlt wurden.

In der Schweiz steht beispielsweise Angestellten der SBB eine Art Zeit- und Geldsparkonto offen. Doch mit den aktuell geltenden Rahmenbedingungen ist es nicht einfach, hierzulande flächendeckend eine vergleichbare Möglichkeit anzubieten. Denn das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) sieht Vorbezüge des Kapitals in der zweiten Säule nur für Wohneigentum, bei Selbstständigkeit oder beim Auswandern vor. Im Rahmen der aktuellen gesetzlichen Ausgestaltung erreichen Unternehmen am ehesten einen Effekt wie denjenigen des Zeitwertkontos, wenn sie Mitarbeitenden die Möglichkeit geben, Ferien zu kaufen.

Um auch beispielsweise einen Vorbezug eines Teils des Vorsorgevermögens für eine Verlängerung des Mutter- oder Vaterschaftsurlaubs zu ermöglichen, müsste in der Schweiz die Politik aktiv werden und das BVG hinsichtlich neuer Lebensentwürfe flexibilisieren. Das wäre genau im Sinne der Schweizer Bevölkerung, wie die Studie «Vorsorgedialog 2022» der Hochschule Luzern zeigte: 82 Prozent der Befragten befürworten die Möglichkeit, eine Auszeit mit einem speziellen, zusätzlichen Vorsorgekonto zu finanzieren. Insbesondere Frauen, die die Erwerbsarbeit tendenziell immer noch öfter für die Erziehung von Kindern und die Betreuung von Familienangehörigen unterbrechen, würden diese zusätzliche Möglichkeit begrüssen. Die Befragten beider Geschlechter sehen den grössten Vorteil in der Flexibilität beim Bezug und bei der Einzahlung. Anders als bei den üblichen Vorsorgelösungen kann frei gewählt werden, wann und wofür die angesparte Zeit beziehungsweise das Kapital eingesetzt wird und wie viel und zu welchem Zeitpunkt auf das Konto eingezahlt werden soll.

Nur überschaubarer Verzicht nötig

Ein Beispiel: Marco ist Mitte zwanzig und verdient 6000 Franken brutto im Monat. Er und seine Partnerin planen, Anfang dreissig eine Familie zu gründen. Marco möchte jedoch nicht nur den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub beziehen, sondern sich nach dem Ende des Mutterschaftsurlaubs seiner Partnerin sechs Monate lang um das Kind kümmern. Dafür zahlt er monatlich 160 Franken seines Lohns, 2000 Franken seines jährlichen Bonus sowie das Gehalt für fünf Ferientage pro Jahr und für sechs Überstunden pro Monat in sein Zeitwertkonto ein. Nach vier Jahren hat Marco genug gespart, um sich eine sechsmonatige Auszeit zu nehmen und dabei 90 Prozent seines Gehalts von 6000 Franken zu beziehen.

Ein zusätzliches Vorsorgekonto hätte jedoch nicht nur für die Arbeitnehmenden, sondern auch für die Arbeitgebenden grosse Vorteile. Können ihre Mitarbeitenden auf flexible und unkomplizierte Weise für künftige Auszeiten sparen, erhöhen Arbeitgeber die Attraktivität ihres Unternehmens und können die Fluktuation in der Belegschaft senken. In Anbetracht des anhaltenden Fachkräftemangels könnte ein solches Angebot ein entscheidender Vorteil bei der Rekrutierung und der Retention sein. Nicht zuletzt werden sie auch bilanziell entlastet, denn Überstunden sind juristisch betrachtet eine Forderung der Beschäftigten auf Vergütung von erbrachter Arbeitsleistung gegenüber dem Arbeitgeber. Werden die Überstunden in eine Vorsorgeeinrichtung transferiert, sind sie aus der Bilanz.

Dieser Beitrag erschien erstmals am 27. Juni 2024 im HZ Insurance Print Special Pensionskasse.