BILANZ: Wie weit stimmen Sie dem Spruch zu, dass man keiner Bilanz trauen soll, die man nicht selber frisiert hat?
Peter Leibfried: Geschäftsabschlüsse werden innerhalb von rechtlichen Leitplanken erstellt. Ich stimme insofern zu, als es dazwischen Gestaltungsspielräume gibt. Die Realität ist einfach zu komplex, als dass sie sich exakt in Soll und Haben abbilden liesse.
Wo bestehen solche Spielräume?
Ein Unternehmen kann Ende Jahr mit Rabattverkäufen seine Umsätze noch etwas hochschrauben oder mit Zahlungen von Rechnungen die Verbindlichkeiten beeinflussen. Das ist allerdings nicht nachhaltig. Echter Ermessensspielraum besteht vor allem da, wo langfristige Annahmen über grosse Einzelpositionen zu treffen sind, etwa bei der Bewertung von Goodwill oder Rückstellungen. Weniger Möglichkeiten bieten Positionen mit schnellem Durchlauf wie Debitoren.
Ist die Zunahme von Vorschriften zur Rechnungslegung eine wirksame Antwort darauf?
Grundsätzlich engen sie die Spielräume sicher ein. Aber sie animieren auch dazu, Lücken zu suchen. Entscheidend ist die wirtschaftliche Situation. In guten Zeiten zeigen Unternehmen lieber zu konservative Zahlen, in schlechten ein zu optimistisches Bild. Dem Phänomen wird man auch mit tausend weiteren Seiten an Vorschriften nicht beikommen.
Was treibt die Manager an?
Primär geht es darum, Erwartungen vor allem der Anleger zu erfüllen. Lieber werden Quartalserwartungen leicht übertroffen, um nicht eine scharfe Korrektur beim Aktienkurs zu riskieren. Nachgelagert spielt auch die Vergütung eine Rolle. Verfehlte Budgets können eine Bonuskürzung zur Folge haben.
Also liegt das Problem primär in der Kommunikation?
Vor allem in der Oberflächlichkeit und Geschwindigkeit der Kommunikation, wenn es um Headlines geht. Unternehmen neigen gerne dazu, bereinigte, normalisierte oder sonst wie angepasste Ergebnisse zu präsentieren, die nach einem Erfolg klingen. Allfällige nachträgliche Erkenntnisse, was genau in der Jahresrechnung passiert ist, finden dann kaum noch Beachtung.
Worin besteht der Schaden, den Anleger erleiden?
Irgendwann kommt die Wahrheit jeweils ans Licht. Die Reaktionen sind dann umso heftiger und führen zu einer ständigen weiteren Verschärfung der Vorschriften.
Auf welche Geschäftszahlen können sich Anleger verlassen?
Zunächst einmal müssen sie das Geschäft des Unternehmens verstehen, in das sie investieren. Zuverlässige Eckwerte liefern vor allem Geschäftszahlen zur Liquidität wie der operative Cashflow. Zusammen mit den Zahlungen für Investitionen und an Anteilseigner sollte sich ein nachhaltiges finanzwirtschaftliches Gleichgewicht ergeben.