Viele kennen die wichtigsten Partnerländer der Schweiz auf dem internationalen Finanzparkett nur aus dem Film «Borat»: In der Satire ruiniert der britische Regisseur und Hauptdarsteller Sasha Baron Cohen als angeblicher kasachischer TV-Reporter den Ruf der zentralasiatischen Nation. Auf seiner Reise durch die USA pöbelt er gegen Zigeuner, Frauen und Juden. Am Ende des Films zeigt er auch noch den Präsidenten Aserbaidschans.
Kasachstan und Aserbaidschan verhelfen der Schweiz – zusammen mit Kirgistan, Polen, Serbien, Tadschikistan und Turkmenistan – zu einem ständigen Sitz im Exekutivrat des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die seltsame Ländergruppe hat ausser Bergen wenig mit der Schweiz gemeinsam. Sie unterstützt unser Land auch nicht wegen unserer vorbildlichen Demokratie. Mit Ausnahme von Polen und Serbien machen sie nämlich eher durch autokratische Regimes, korrupte Eliten und Menschenrechtsverletzungen von sich reden. Was «Helvetistan», so der Spitzname der Schweizer Stimmrechtsgruppe im IWF, zusammenhält, ist etwas anderes: Geld. Die Schweiz hat ihre Stimmen gekauft – mit Entwicklungshilfe im Umfang von jährlich 10 Franken pro Schweizer Bürger, wie James Raymond Vreeland, Professor an der Georgetown University in Washington, berechnete.
10 Franken pro Kopf für «Helvetistan»
In den Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank richtet sich die Stimmkraft nach den Beitragszahlungen und diese wiederum nach dem wirtschaftlichen Gewicht. Das oberste Gremium im IWF ist der 24-köpfige Exekutivrat. Unter normalen Umständen hätte die Schweiz keine Chance, am Tisch der Grossen zu sitzen. Als die Schweiz 1992 nach einer Referendumsabstimmung den Bretton-Woods-Institutionen beitrat, nutzten der damalige Finanzminister Otto Stich (SP) und seine Diplomaten die einmalige Chance. Sie holten sich die Stimmen der zentralasiatischen Länder, die nach dem Zerfall der Sowjetunion in die internationalen Organisationen aufgenommen wurden.
Der Forscher Vreeland untersuchte die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz mit den Mitgliedern «Helvetistans». 1992 zahlte die Schweiz noch nichts, nach der Bildung der Stimmrechtsgruppe gehört sie zu den grössten Gebernationen. Ab 1993 schickte sie jährlich im Schnitt mehr als 12 Millionen Dollar Entwicklungshilfe nach «Helvetistan». Andere von der Schweiz unterstützte arme Länder erhielten im Schnitt weniger als 8 Millionen. Weit überproportionale 10 Prozent der Schweizer Hilfe für arme Länder ging nach Zentralasien. Vreeland testete seine Ergebnisse mit allen möglichen Kontrollvariablen. Könnte die Bevorzugung der zentralasiatischen Länder mit der Bevölkerungsentwicklung, dem Rohstoffreichtum, den Problemen der postkommunistischen Staaten, der gebirgigen Gegend, der ethnischen oder religiösen Zusammensetzung zu tun haben? Fehlanzeige. Der einzige logische Grund bleibt die Unterstützung im IWF. «Helvetistan» erhielt jährlich über 70 Millionen Dollar Hilfe, pro Kopf der Schweizer Bevölkerung also rund 10 Franken. Polen erhielt dafür den Stellvertretersitz im IWF und bei der Weltbank.
Die Schweiz tut, was international üblich ist: Sie zahlt für politischen Einfluss. Hierzulande ist der Deal umstritten. Die Linke kritisiert die Zusammenarbeit mit autokratischen Regimes. SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr fordert den Bundesrat in einer Motion auf, die «Strategie gegenüber den autokratisch regierten Ländern Zentralasiens (‹Helvetistan›) neu auszurichten». Davon will der Bundesrat nichts wissen. Er kritisiert Fehr: «Der Bundesrat missbilligt namentlich die Verwendung des Begriffs ‹Helvetistan›, den er als Bezeichnung für die zentralasiatischen Länder als unangemessen einstuft.»
Die SVP hält das Engagement bei IWF und Weltbank für Geldverschleuderung. Vreeland ist anderer Meinung. «Ich denke, der Deal lohnt sich für die Schweiz», sagt er, «sie ist unfairerweise nicht Teil der G20, also ist es verständlich, dass sie für einen Sitz am Tisch kämpft, um die wichtigsten Entscheide von IWF und Weltbank beeinflussen zu können». Der Franken sei eine wichtige Reservewährung, die Schweiz «will und verdient eine wichtige Stimme». Die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer hat im Zuge der Finanzkrise verstärkt politische Entscheide zu Fragen des internationalen Finanzsystems getroffen, welche die Schweiz stark betreffen. Da aber die G20 über keinen eigenen Stab verfügt, werden solche Entscheide zu einem guten Teil im IWF vorbereitet. Die Schweiz kann als Mitglied des Exekutivrats auf diese Vorbereitungsarbeiten Einfluss nehmen.
Vorteile des IWF-Sitzes
Weil der Exekutivrat die meisten Entscheide im Konsens trifft, hat die Stimme der Schweizer Ländergruppe ein überproportionales Gewicht. «Wir sind in alle Entscheidungen eingewoben», sagt René Weber, Schweizer Exekutivdirektor im IWF. Das wirkte sich etwa im vergangenen Herbst aus, als darüber beraten wurde, dass sich künftig alle Länder mit systemisch relevanten Finanzplätzen alle fünf Jahre einer Prüfung ihrer Finanzsektoren durch den IWF unterziehen müssen. Die Liste umfasst 25 Staaten, einschliesslich aller Schwergewichte wie USA und China. «Wir haben dieser Lösung massgeblich zum Durchbruch verholfen», sagt Weber.
Weitere Vorteile des ständigen Sitzes im Exekutivrat sind die direkten Kontakte zu Entscheidungsträgern, die frühzeitige Information über aktuelle Entwicklungen und internationale Initiativen und die Möglichkeit, schweizerische Standpunkte zu begründen. Während sich die Hilfe für «Helvetistan» beziffern lässt, ist der Nutzen des Sitzes kaum zu quantifizieren. «Ich gehe davon aus, dass die Vorteile einer aktiven Rolle der Schweiz zur Wahrung stabiler Finanz- und Währungsbeziehungen und zur Vertretung ihrer Interessen den Mehraufwand überwiegen. Mir ist aber bewusst, dass diese Beurteilung nicht allseits geteilt wird», sagt Weber.
Vreeland ist der Meinung, die Euro-Zone sollte im Interesse der globalen Aufsicht auf ihre Mehrfachvertretung in der G20 verzichten. «Das würde Platz schaffen für ein Land wie die Schweiz.» In der Zwischenzeit machten die Schweizer «ein faires Geschäft mit den zentralasiatischen Ländern: Geld gegen politische Unterstützung».
IWF und Weltbank
Bretton Woods
Der Internationale Währungsfonds (IWF) entstand 1944 gleichzeitig mit der Weltbank im amerikanischen Bretton Woods. Das Ziel war, nach dem Zweiten Weltkrieg den Wiederaufbau zu fördern (Weltbank) und stabile Währungen zu garantieren. Der IWF hat als zentrale Aufgabe, die Stabilität des internationalen Währungs- und Finanzsystems zu gewährleisten.
«Helvetistan»
Die Schweiz trat 1992 dem IWF und der Weltbank bei. Sie bildet eine Stimmrechtsgruppe mit Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan, Polen, Serbien, Tadschikistan und Turkmenistan. Die Schweizer Gruppe kommt so auf einen Stimmenanteil von derzeit noch 2,78 Prozent und hält damit einen der begehrten 24 Sitze im Exekutivrat des IWF, dem höchsten Entscheidungsgremium. Der Schweizer Exekutivdirektor ist seit Anfang 2010 der Ökonom René Weber.
Schweiz als Verliererin
Die Stimmenanteile der 187 Mitgliedstaaten sollen zugunsten der aufstrebenden Schwellenländer umverteilt werden. Die Schweiz gehört zu den Verlierern: Ihr Stimmenanteil wird von knapp 1,6 Prozent auf 1,17 Prozent sinken. Die im Herbst 2010 beschlossenen Änderungen treten in Kraft, wenn alle Länder die Quotenerhöhung ratifiziert haben. Das wird frühestens im Herbst 2012 der Fall sein. Für die Wahlen in den Exekutivrat im Jahr 2012 gelten noch die alten Stimmengewichte. Bleibt die Schweizer Stimmrechtsgruppe intakt, ändert sich für die Schweiz bis 2014 noch nichts. «Unsere Stimmrechtsgruppe baut auf langjährige, gute Beziehungen und ist stabil, aber im Zuge der Stimmrechtsreform haben sich die globalen Stimmengewichte verschoben. Allfällige Änderungen werden mit unseren Partnerländern abgesprochen», sagt Exekutivdirektor Weber. Ob der Sitz gehalten werden kann, ist fraglich.
Mitglieder des Exekutivrats