In einigen Ländern bleiben die Schulen wegen der Covid-19-Pandemie geschlossen. Auch in der Schweiz wird darüber diskutiert. Laut einer neuen Studie der ETH Zürich wären Schulschliessungen die drittwirksamste Massnahme, um die Mobilität der Bevölkerung zu reduzieren, was helfen könnte, die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Die ETH-Wissenschaftler hatten die Mobiliätsdaten der Schweizerinnen und Schweizer untersucht: Demnach wurden die Bewegungen beim Lockdown im März allein durchs Homeschooling um 20 Prozent gesenkt.
Dennoch sind sich Bildungsexperten und Epidemiologen uneins, ob geschlossene Schulen eine sinnvolle Massnahme wäre: Schliesslich bringt das auch soziale und wirtschaftliche Folgen mit sich.
So zeigt eine Datenanalyse von «Bloomberg»: Würden Schulen geschlossen und Kinderbetreuungsangebote eingeschränkt, könnten Arbeitsausfälle von bis zu 6 Prozent in Europa drohen. Dabei fällt der Verlust in einigen Ländern milder aus; besonders betroffen wären osteuropäische Nationen. Die Schweiz wurde in der Auswertung nicht berücksichtigt.
8 Prozent der Arbeitsstunden fielen aus
Eine Studie von drei deutschen Ökonomen wiederum untersuchte die Auswirkungen der Schulschliessungen während des ersten Lockdowns im Nachbarland: 26 Prozent der Beschäftigten haben dort Kinder unter 14 Jahren. Geschlossene Schulen und Kindertagesstätten hatten zur Folge, dass 11 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beziehungsweise 8 Prozent aller Arbeitsstunden ausfielen.
Zudem tragen Frauen häufig die Hauptlast der Kinderbetreuung: In rund 80 Prozent der untersuchten deutschen Haushalte arbeiten Mütter weniger Stunden als Väter. Daher kümmern sie sich auch eher um die unbetreuten Kinder. Das heisst: Bei einem Schul-Lockdown dürften die meisten Arbeitsstunden in Berufen ausfallen, in denen überwiegend Frauen arbeiten – etwa in der Pflege.
Im Vergleich zur Kurzarbeit sei die Zahl der ausgefallenen Arbeitsstunden durch Kinderbetreuung zudem einiges höher, schätzen die Autoren. Die makroökonomischen Folgen seien massiv, wenn Schulen und Betreuungseinrichtungen schliessen.
Hinzu kommen gesellschaftliche Folgen wie weniger Bildung, ferner die Nachteile solcher Arbeitsunterbrüche auf die Karriere und Bezahlung von Frauen – mit langfristigen negativen Folgen für die Gleichstellung am Arbeitsplatz.
Schweiz: 660'000 Haushalte betroffen
Weniger pessimistisch sind Forscher von Avenir Suisse: Laut einer Analyse des Think-Tanks, veröffentlicht im April, hat etwa jeder vierte Erwerbstätige in der Schweiz Kinder unter 15 Jahren. Von den Schulschliessungen im vergangenen Frühjahr waren also rund 660‘000 Haushalte betroffen. Der dadurch entstandene Arbeitsausfall falle jedoch kaum ins Gewicht. Die Argumentation: Die Arbeitstätigkeit vieler Eltern sei wegen des allgemeinen Lockdowns ohnehin eingeschränkt gewesen.
Eine Schulschliessung über zwölf Wochen koste etwa ein halbes Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), so die Berechnung. Gemessen an den Gesamtkosten des Lockdowns von 4 Milliarden Franken pro Woche sei der Arbeitsausfall der Eltern gering.
Allerdings befürchten die Experten auch hierzulande, dass die Last der Betreuung vor allem die Zweitverdiener tragen – in etwa 90 Prozent der Fälle sind dies Frauen. In den meisten Schweizer Familien, nämlich rund 60 Prozent, arbeiten ein oder beide Elternteile in Teilzeit.
OECD: Die Kinder werden zahlen müssen
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) warnt davor, dass jede Woche Schulschliessung einen massiven Verlust an Humankapital zur Folge habe sowie erhebliche langfristige wirtschaftliche und soziale Auswirkungen mit sich bringe.
Zudem wirke sich der Unterrichtsausfall negativ auf die künftigen Einkommen der heutigen Schülerinnen und Schüler aus. Das wiederum habe gesamtwirtschaftliche Folgen, denn schlechter ausgebildete Arbeitskräfte führen langfristig zu weniger Wirtschaftswachstum. Die Bildungsökonomen der OECD schätzen, dass ein Corona-bedingter Ausfall eines Drittels des Schuljahres zu Einkommensverlusten von rund 3 Prozent über das gesamte Arbeitsleben führt.
Nicht nur für individuelle Einkommen, auch für den langfristigen Wohlstand einer Gesellschaft spielt Bildung eine entscheidende Rolle: Bessere Bildungsabschlüsse machen sich nicht nur in höheren Einkommen bemerkbar, sondern steigern auch das Nationaleinkommen, sprich den Wohlstand einer Gesellschaft. Fällt der Schulunterricht über drei Monate aus – wie es in den meisten Ländern im Frühjahr 2020, einschliesslich der Schweiz der Fall war – schrumpft das BIP eines Landes um durchschnittlich 1,5 Prozent, und zwar über die nächsten Jahrzehnte hinweg, so die Schätzung der OECD.
Teilweise geschlossene Schulen in Europa
Trotz aller Warnungen und langfristigen Folgen: Die Frage ist nun, wie sich die Ausbreitung des Virus eindämmen lässt. Einige Länder setzen seit Ende der Weihnachtsferien wieder auf Fernunterricht: So Österreich und Deutschland, wo auch Kinderbetreuungseinrichtungen höchstens für Notfälle geöffnet sind. In Tschechien sind fast alle Schulen geschlossen, ebenso in Grossbritannien. In Frankreich und Spanien hingegen sind Kitas und Schulen offen.
In der Schweiz gibt es zaghafte Schritte in diese Richtung: Einzelne Kantone hatten den Schulstart um ein paar Tage verschoben, in Sankt Gallen ist zwei Wochen Fernunterricht angesagt. Wenn der Bundesrat nun weitere Massnahmen verkündet, dürften auch die Schulen ein Thema sein.