Die Besetzungsliste gibt einiges her: Ein Gastronom, der mehrere Monate pro Jahr in Asien lebt. Der Chef einer Medizinaltechnikfirma aus dem deutschen Freiburg, ein Fachhochschuldozent und ein junger Flugzeugtechniker, der seine erste Vielfliegerkarte anstrebt. Der Risk Manager einer Versicherung, der wenig fliegt, aber seine Bonusmeilen nicht verlieren möchte. Ein Unternehmensberater, der bereits «Senator auf Lebenszeit» sei und nach weiteren Mitteln sucht, seine Flugkosten zu drücken. Ein Arzt, der einst in Afrika tätig war und dort gelegentlich noch Freunde besucht. Und die Chefsekretärin eines Logistikkonzerns, die sich selbstironisch als «süchtig nach Status und Annehmlichkeiten» beschreibt – ihre zwei Chefs, denen sie die Firmenreisen bucht, hätten beide die Senator-Karte, und nun dachte sie eben, «das will ich auch».
Erster Eindruck: viele erfolgreiche Besserverdiener. Zweiter Eindruck: fast nur Männer. Statusdenken ist offenbar doch eine männliche Domäne – oder geht es den Herren eher um gratis Drinks und Zeitungen in der Flughafenlounge? Dritter Eindruck: Die meisten machte der Beruf zum Vielflieger – doch hier sitzen sie privat.
Tiefen des frei zugänglichen Internets auszunutzen
Beim Thema dieses Ganztags-Seminars mit dem Titel «Reisekostenoptimierung durch die optimale Ausnutzung von Vielfliegerprogrammen» verortet man den Idealkunden zwar unwillkürlich unter den blassen Jungs vom Firmenreisebüro, zumal die Teilnahme mit 699 Euro zu Buche schlägt – doch dieses Seminar findet an einem Sonntag statt, soll also keine Arbeitszeit beanspruchen.
Und die Profis kaufen Flüge normalerweise via jene altertümlichen Computerprogramme namens Amadeus oder Galileo ein, die sich Private kaum leisten und ohne Schulung mit Sicherheit nicht bedienen könnten. Hier jedoch lehrt Seminarleiter Alexander Koenig, die Tiefen des frei zugänglichen Internets auszunutzen.
Verwinkelte Wissenschaft
Koenig, einst als Unternehmensberater im Namen der Topadressen Boston Consulting und später McKinsey unterwegs, legte für seine Doktorarbeit ein Sabbatical in Frankfurt ein – wollte aber den Senator-Status im Lufthansa- und Swiss-Bonusprogramm «Miles & More» behalten. Und fand heraus: Mit dem Flug-Zug «AIRail» konnte er zwischen Frankfurt und Stuttgart hin- und herfahren, im Zug arbeiten und erhielt für 66 Euro satte 5000 Statusmeilen.
Koenig stellte ein kurzes Erklärbulletin auf eBay und stiess auf grosses Interesse. «Dann habe ich immer mehr Leute im Zug getroffen, die über das Bulletin sprachen, und optimierte das Ganze für Geschäftsleute mit engem Zeitbudget.» Schnell wuchs sein Booklet auf 80 Seiten an. Vor drei Jahren hat er seine Meilen-Passion zum Hauptberuf gemacht, der Ratgeber umfasst inzwischen 486 Seiten.
Sein Wissen über die Meilenprogramme der Airlines, eine verwinkelte Wissenschaft für sich, vertreibt er über einen Newsletter namens «First Class and More», der auf der gleichnamigen Website abonniert werden kann, auch Hotel-Deals hat der 40-Jährige ins Programm genommen. Um frische Angebote zu finden, durchforstet er täglich über 100 Websites, nutzt persönliche Kontakte und beschäftigt mittlerweile zehn Mitarbeiter.
Nur zwei Fragen sind interessant
So komplex diverse Detailfragen sind – letztlich reduziert sich das Interesse von Koenigs Kunden auf nur zwei Fragen: Wie erreiche und halte ich einen Vielfliegerstatus, der Lounge-Zugang, bevorzugtes Check-in, mehr Freigepäck und andere Annehmlichkeiten sichert? Und wie komme ich günstig an Langstreckentickets in First und Business Class?
Die Antwort ist durchaus kompliziert. Und bisweilen auch nicht allzu bequem. Denn gerade für Zürcher ist der wohl wichtigste Rat: Wenn du sparen willst, flieg nicht von Zürich aus! So hat Koenig für BILANZ einen klassischen «Mileage Run» berechnet, den Vielflieger gern noch im Dezember antreten, bisweilen regelrecht «abreissen» mit nur einem oder gar keinem Tag Aufenthalt – falls es nur auf den Erhalt des Status ankommt: einmal Hawaii und zurück!
Bei Probebuchungen bei der Swiss für Mai 2016 kam Koenig auf eine Preisdifferenz in der First Class von mehr als 7500 Euro, ausgelöst nur durch die Wahl des Abflugortes. Im teuren Fall (11'905 Euro) fliegt man direkt vom Heimatflughafen Zürich via San Francisco nach Honolulu, im günstigen Fall (4334 Euro) startet man in Amsterdam, fliegt mit Swiss von dort via Zürich und San Francisco nach Honolulu. Die letzten Abschnitte zwischen der US-Westküste und Hawaii verbringt der Passagier zwar in einem Flieger der US-Airline United, die aber mit der Swiss in der Star Alliance kooperiert und deshalb Meilen gutschreibt.
Meilen-Ratio unter 60 ist herausragend
Wer direkt von Zürich aus startet, erhält dafür 49'338 Statusmeilen; wer bereits einen Vielfliegerstatus bei der Swiss hat und deshalb mit einem «executive bonus» belohnt wird, bekommt sogar 53'448 Meilen aufgebucht. Von Amsterdam aus sind es naturgemäss mehr Meilen: Die zusätzlichen Flugsegmente am Anfang und Ende der Reise schenken ein.
Dividiert man nun den Preis durch die Zahl der Statusmeilen, im Beispiel inklusive Bonus, und multipliziert das Ergebnis mit 1000, ergibt sich auf dem regulären Flug ab Zürich eine «Ratio» – vermutlich jenes Wort, das Koenig am häufigsten benutzt – von gut 222, der günstigere und längere Flug ab Amsterdam zeigt eine Ratio von 74 Euro je 1000 Statusmeilen. «Es gilt die Regel: Eine Meilen-Ratio unter 60 ist herausragend, 60 bis 80 ist sehr gut, 80 bis 100 gut, 100 bis 120 durchschnittlich.» Bei höheren Ratios, sagt Alexander Koenig, «macht ein Mileage Run nicht mehr viel Sinn».
Status und Prämie
Exkurs 1: Es gibt zwei Sorten von Meilen – Prämien- und Statusmeilen. Nur Letztere addieren sich bei genügender Anzahl zu einem Vielfliegerstatus, sie verfallen zum Jahresende.
Prämienmeilen lassen sich einfacher sammeln, etwa auch bei Hotel- oder Mietwagenpartnern der Airlines, sie lassen sich länger am Leben erhalten (wer einen Status hat, dessen Prämienmeilen verfallen nicht) und sind eine Währung, mit der sich Flüge oder Upgrades in höhere Klassen erkaufen lassen, die man in Rollkoffer, Weinkühler oder Parfums eintauschen kann. Auf dem Meilenkonto eines Vielfliegers übersteigt also die Zahl der Prämienmeilen die der Statusmeilen oft um ein Mehrfaches.
Die Städte erkunden!
Koenig weiss natürlich, dass nur eine Minderheit Flugziele und -routen entlang optimaler Meilenausbeute aussucht. Und dass die Bequemlichkeit leidet, wenn mehrfaches Umsteigen ansteht oder die Reise nicht am Heimatort beginnt. Doch das ist nicht sein Thema – die Kunden wollen Meilen, er liefert eben die Angebote.
Aber die zusätzlichen Flüge, etwa von und nach Amsterdam? Die bringen auch Bonusmeilen, sagt Koenig. Man könne ja ein paar schöne Tage in Amsterdam verbringen. Das empfehle er seinen Seminarkunden generell: Nicht nur von Airport zu Airport hüpfen, sondern die Städte erkunden!
Preislich schmackhaft machen
Die enormen Preisunterschiede erklären sich übrigens aus der Notwendigkeit der Airlines, ihre Langstreckenflieger mit Umsteigern zu füllen – ohne Fluggäste aus Mailand, Amsterdam oder Manchester könnte die Swiss nicht einmal eine Handvoll Interkontinentalziele kostendeckend anfliegen. Und dass Holländer via Zürich in die USA fliegen und nicht direkt mit KLM, muss ihnen Swiss preislich schmackhaft machen.
Im Sinne des Erfinders ist es natürlich nicht, dass Schweizer Kunden, von denen Koenig «überdurchschnittlich viele» hat, diese Preisvorteile im Ausland nutzen. Anfeindungen von Airlines gebe es aber nicht, sagt Koenig, er mache ja auf ganz reguläre Angebote aufmerksam. Zudem sei seine Zielgruppe bei den Airlines durchaus beliebt: vermutlich eine hohe vierstellige Zahl treuer Kunden, die viel mehr fliegen, als sie müssten.
Die Statusstufen
Exkurs 2: Die niedrigste Statusstufe erreicht der Swiss-Kunde mit 35'000 in einem Kalenderjahr gesammelten Statusmeilen: der an seiner silbernen Karte erkennbare «Frequent Traveller». Für 100'000 Meilen lockt die Goldkarte für den «Senator». Ein Status berechtigt zu Lounge-Zugang, schnellerem Check-in, mehr Freigepäck und weiteren Wohltaten.
Für insgesamt 600'000 Meilen innert zwei Kalenderjahren avanciert man zum Mitglied des «Hon Circle»; der gewährt höchste Wartelisten-Priorität oder eine Senator-Karte für den Partner, damit man nicht alleine in der Lounge herumsitzen muss. Bei Turkish Airlines heisst dieses dritte Statuslevel «Elite Plus», ist mit 80'000 Statusmeilen vergleichsweise einfach zu erreichen und trägt den Spitznamen «Döner-Hon».
Es kann sich lohnen, sagt Koenig, Meilen statt bei Swiss in den Programmen von Turkish oder der griechischen Aegean zu sammeln, weil dort ein Status bisweilen deutlich schneller erreicht wird – und viele der Vergünstigungen der ersten und zweiten Stufe, in der Star Alliance übergreifend «Silber» und «Gold» genannt, auch bei Flügen mit anderen Airlines der Allianz gewährt werden.
Wie funktioniert die Meilenjagd?
Wie also funktioniert die Meilenjagd? Einerseits durch die Wahl günstigerer Abflugsorte, wie eben Amsterdam oder Mailand, aber auch Athen, Brüssel, Oslo und Stockholm, bisweilen sogar Paris. Und für die Suche an sich empfiehlt sich die per Google leicht zu findende Wunderwaffe: die ITA-Matrix.
Eine schmucklose Flugsuchmaschine, die zwei unschätzbare Vorteile bietet: Erstens lassen sich mehrere Startflughäfen und Ziele in einem Suchvorgang zugleich abfragen, zweitens muss das Flugdatum nicht spezifisch sein. Wer «see calendar of lowest fares» anklickt, kann ein Startdatum eingeben, dahinter steht bereits «and a month later» – ganz verschiedene Flugverbindungen über einen vollen Monat hinweg lassen sich in einer einzigen Suchabfrage im Preis vergleichen: Wer das mit anderen Buchungsmaschinen versucht, sitzt unter Umständen tagelang vor dem Bildschirm.
Komplizierte Codes
Es wird noch besser: Über die Schaltfläche «advanced routing codes» lassen sich bevorzugte Airlines, Zwischenstopps oder, fürs Meilensammeln essenziell, Buchungsklassen festlegen. Eine Anleitung für die – zugegeben nicht einfachen – Codes liegt hinter einem Fragezeichen. Hier gilt: Versuch macht klug und nur Übung den Meister. Oder eben eins von Koenigs Seminaren besuchen.
Am Rand fallen bei ihm immer wieder zusätzliche Tipps und Ratschläge ab. Meilen sammeln bei Emirates? «Die machen kaum noch gute Angebote, fühlen sich schon zu gross.» Über welche Suchmaschine buchen? «Am besten bei der ITA-Matrix Flüge suchen, dann direkt auf den Websites der Airlines buchen. Wenn schon Suchmaschine, am ehesten Expedia.» Die zeige als eine der wenigen die Buchungsklasse an.
Lohnt sich ein Status überhaupt? «Wer ohnehin Business oder First fliegt», sagt Koenig, «hat bis auf den Meilenbonus oft wenig davon.» Denn dort sind im jeweiligen Einzelticket bereits die meisten Zusatzleistungen enthalten. Das dürfte auf einen Grossteil von Koenigs Kunden zwar zutreffen; die meisten sind Manager, ein gutes Drittel gar Selbständige.
Doch die Lust am Meilensammeln ist trotzdem gross: 20 bis 25 Seminare hält Koenig jedes Jahr, fast jeder fünfte seiner knapp 50 000 Newsletter-Kunden zahlt für Insider-Tipps. Das sind eben Leute, sagt Koenig, «die sich luxuriöse Reisen leisten können, aber nicht einsehen, warum sie dafür zu viel bezahlen sollten».