Die Wolken am Himmel über Athen werden dunkler. Griechischen Sparer fürchten um ihre Einlagen und ziehen dreimal so viel Kapital von den Banken ab wie noch eine Woche zuvor. Seit Montag haben besorgte Griechen damit drei Milliarden Euro von ihren Konten abgehoben.
Denn mit der Staatspleite am Horizont könnte schon nächste Woche der Kollaps des Bankensystems drohen. Bei der Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag soll Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem EZB-Ratsmitglied Benoit Coeure gefragt haben, ob die griechischen Banken heute öffnen könnten. Coeure bejahte offenbar, fügte aber an: «Montag – ich weiss es nicht.» Die EZB hat mittlerweile für heute eine Sondersitzung ihres Rates anberaumt, um über die schlechte Liquiditätslage der griechischen Banken zu sprechen.
Griechenland-Verhandlungen werden zur Chefsache
Die Verhandlungen in der Griechen-Krise ist wegen der tiefen Blockade Chefsache geworden: EU-Ratspräsident Donald Tusk hat für Montag ab 19 Uhr ein Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel einberufen. Es dürfte die letzte Möglichkeit für einen Durchbruch sein, bevor Griechenland Ende des Monats die Zahlungsunfähigkeit droht.
Bis zum 30. Juni ist noch Zeit, um knapp 1,6 Milliarden Euro an Hilfsgeldern an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzuzahlen. Die Geldgeber wollen nur dann weitere Hilfsgelder freigeben, wenn Griechenland einem Reformprogramm zustimmt. Da Premier Alexis Tsipras die Zustimmung verweigert, steht bereits am Montag im Zweifel der Verbleib der Griechen im Euro auf dem Spiel. Für den Ausgang der Gespräche sind nun drei Szenarien denkbar.
Szenario eins: Eine Einigung
Das Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel ist bereits ein kleiner Sieg für die Griechen. Premier Tsipras hatte wiederholt gefordert, die Fortschreibung des Rettungspaketes auf die höchste Ebene zu verlagern. Das ist hiermit erfolgt. Der Position der Griechen komme das zugute, weil ihnen die Staatschefs geneigter sein dürften als die Finanzminister und deren Unterhändler, schreibt die Grossbank UBS in einer Einschätzung.
Tsipras gab sich entsprechend optimistisch. Der Sondergipfel sei aus seiner Sicht eine positive Entwicklung auf dem Weg zu einer Vereinbarung. Er sagte, es werde eine Lösung geben, die EU-Recht respektiere und es Griechenland erlaube, innerhalb des Euro zu Wachstum zurückzukehren. Eine Einigung würde aber wahrscheinlich bedeuten, dass die Griechen dem erneuten Sparpaket zustimmen. Sollte das passieren, stünde zumindest die Regierung Tsipras vor dem Aus. Sie hat die Abkehr vom Sparkurs zum Kernversprechen gemacht.
Wahrscheinlichkeit: gering.
Szenario zwei: Ein Aufschub
Kern der aktuellen Verhandlungen ist die Rückzahlung von knapp 1,6 Milliarden Euro an Hilfsgeldern an den IWF. Eine Gnadenfrist von 30 Tagen will IWF-Chefin Christine Lagarde verweigern. Es ist denkbar, dass das Treffen der Staatschefs die Fronten in diesem Punkt aufweicht. Bedingung wäre wohl, dass die Regierung unter Premier Tsipras ihre konfrontative Haltung gegenüber dem IWF aufgäbe.
Da diese Vereinbarung die Katastrophe verhindern und allen Beteiligten ermöglichen würde, das Gesicht zu wahren, halten die Analysten der UBS dieses Szenario für das realistischste. Abzuwarten bleibt, wie viel Kompromisse die griechische Regierung für den Aufschub eingehen muss, zum Beispiel bei erneuten Rentenkürzungen. Diese Lösung würde ausserdem bedeuten, dass die Verhandlungen um die Rettung Griechenlands eher früher als später erneut beginnen.
Wahrscheinlichkeit: hoch.
Szenario drei: Ein Scheitern der Verhandlungen
Angesichts der aktuellen Blockade ist die Sorge vieler Analysten gewachsen, was ein endgültiges Scheitern der Verhandlungen und die damit verbundenen Folgen anbelangt. Die Angst vor einer Staatspleite Griechenlands und dem Euro-Austritt wächst. Die UBS-Analysten gehen mittlerweile von der Wahrscheinlichkeit eines Grexits von 30 bis 40 Prozent aus. Das ist eine Erhöhung um 10 Prozentpunkte zur Vorwoche.
Auch die Börsenkurse in Europa – der wichtige deutsche Dax und der Schweizer SMI inklusive – sind seit zwei Wochen vom unsicheren Ausgang der Rettungsverhandlungen belastet.
Grexit wäre verkraftbar
Dabei halten viele Marktbeobachter das Szenario einer Kapitulation mittlerweile für verkraftbar. Die Finanzmärkte hätten reichlich Zeit gehabt, sich auf einen Bankrott Athens vorzubereiten, sagte Pimco-Chef Douglar Hodge in dieser Woche. Die Allianz-Fondstochter erwartet darum im Falle einer griechischen Staatspleite keine grossen Verwerfungen auf den Finanzmärkten.
Im Gegenteil: Es mehren sich die Stimmen, die auf eine positive Wirkung durch einen Euro-Austritt Griechenlands hoffen. «Per Saldo glauben wir, dass ein ‚Grexit’ mittel- bis langfristig den Euro positiv beeinflussen dürfte», schreibt etwa die Zürcher Kantonalbank in einem aktuellen Kommentar. «Denn dann wären die Unsicherheiten der vergangenen Jahre vom Tisch.» Diese Ansicht teilen die Ökonomen des Anleiheinvestors Bantleon: Es «wäre davon auszugehen, dass das Ende der Verunsicherung befreiende Wirkung hätte.»
Demonstrationen für den Verbleib im Euro
Das Griechenland-Dilemma steckt scheinbar in einer Wiederholungsschlaufe mit Endlos-Modus fest. Die Variation im Detail ist aber von Bedeutung. Während den Beginn der Krise Bilder von wütenden Griechen mit ihren Protesten gegen den Sparkurs prägten, zeigen sich jetzt auch die Verteidiger der Euro-Zugehörigkeit. Zwar unterstützt eine Mehrheit der Griechen den Kurs von Tsipras, allerdings gab es in dieser Woche auch Demonstrationen, die sich für den Verbleib im Euro einsetzten.
Im Sinne der Menschen in Griechenland ist wohl zu hoffen, dass die Wort der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel ernst gemeint sind. Sie sagte gestern in einer Regierungserklärung: «Ich bin unverändert davon überzeugt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Die Bemühungen Deutschlands sind darauf gerichtet, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt.»
Wahrscheinlichkeit: denkbar.
(Mit Material von Reuters)