Der Bundestagswahlkampf geht offiziell erst nach der Sommerpause in seine heisse Phase, aber vorbereitet wird er seit langem: Bereits vor knapp einem Jahr versammelte etwa die CDU 40 Wahlkampfleiter, um sie für etwas zu schulen, das vor der Entscheidung am 24. September besondere Bedeutung bekommen soll: den traditionellen Haustürwahlkampf. «Bis Ende Juli werden wir 11- bis 12'000 Personen speziell für den Tür-zu-Tür-Wahlkampf geschult haben», beschreibt der Leiter der Kampagne «connect17», Conrad Clemens, bei einem Besuch in der Wahlkampfzentrale die Grossaufgabe.
Was lange wie ein überholtes Mittel galt, wird nun vor allem bei der CDU seit den drei erfolgreichen Landtagswahlen in diesem Jahr als Geheimwaffe gefeiert. «Unser Erfahrungswert aus den Landtagswahlen ist, dass wir mit dem Tür-zu-Tür-Wahlkampf die Wahlbeteiligung tatsächlich um rund zwei Prozent steigern können – mit Schwerpunkt bei Unionsanhängern, bei denen wir vor allem klingeln», sagt Clemens. Aber auch die SPD plant in grossem Massstab Haustürwahlkampf, auch wenn man in beiden Lagern Ankündigungen wie die fünf Millionen Haustürbesuche wie bei der SPD 2013 vermeidet.
Direkter Kontakt und Big Data
Neu ist diesmal die Verbindung der klassischen Ansprache von Wählern mit dem Einsatz von «Big Data». Union und SPD haben Daten der vergangenen Wahlen und demografische Trends analysiert, um zu wissen, in welchen Bereichen der Einsatz von Mitarbeitern für dieses zeit- und manchmal auch nervenaufreibende Instrument sinnvoll ist. «Wir haben jetzt einen Mobilisierungsplaner, der uns für ganz Deutschland für jeden Wahlkreis sagen kann, wo wir Potenzial haben», sagt SPD-Bundesgeschäftsführerin Juliane Seifert.
So wissen die Parteien, wie sich einzelne Wohnviertel zusammensetzen, ob dort etwa viele Rentner wohnen, Familien oder Erstwähler - und potenzielle Anhänger - wohnen. Ein sogenanntes Micro-Targeting wie in den USA, wo einzelne Wähler direkt angesprochen werden können, weil ihr Wahlverhalten und soziale Daten bekannt sind, gibt es aber in Deutschland aus Datenschutzgründen nicht.
Begegnungen als Stimmungstest
Beide Parteien sammeln zudem aus den Gesprächen selbst neue Daten und nutzen die Begegnungen auch als Stimmungstest. «So wird jeder Wahlkämpfer zu seinem eigenen Meinungsforscher. Wir fragen die Menschen, was für sie das wichtigste Thema ist, etwa Arbeit, Bildung, Familienpolitik», sagt Seifert.
Die CDU entwickelte bereits 2016 eine Wahlkampf-App, mit der sie den gesamten Tür-zu-Tür-Wahlkampf direkt auswerten, aber auch mit anderen Funktionen verbinden kann. Als Clou feiert das Wahlkampfteam «connect17», dass die App zusätzlich den Spiel- und Wettbewerbstrieb der Helfer anspricht, die meist von der Jungen Union kommen. Da Motivation Trumpf ist, kann man sich im Tür-zu-Tür-Wahlkampf hocharbeiten: Bei 60 Türen gibt es den Status «Hansdampf in allen Gassen», bei 120 dann «Marathonläufer». Am Ende winkt für die aktivsten Helfer ein Treffen mit CDU-Chefin Angela Merkel.
Kleine Parteien stehen vor logistischen Problemen
Auch die kleineren Parteien klingeln bei Wählern, räumen aber ein, dass ein flächendeckender Einsatz eigentlich nur für Volksparteien mit einem Heer von Helfern möglich ist. «Dafür muss eine relativ grosse Gruppe an Mitgliedern ausgebildet werden», sagt FDP-Bundesgeschäftsführer Marco Buschmann. Und die können nur in einem kleinen Zeitfenster eingesetzt werden - etwa zwischen 17.00 und 20.00 Uhr oder samstags. Auf keinen Fall wolle man Wähler verärgern, betonen alle Parteien.
Schon nach der saarländischen Landtagswahl jubelte Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), das Mittel wirke. In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen experimentierte die CDU dann in einigen Wahlkreisen mit Bezirken, in denen man Tür-zu-Tür-Wahlkampf verstärkt oder weniger einsetzte - mit eindeutig positiven Ergebnisse für die Mobilisierung eigener Wähler. Sowohl bei Union als auch der SPD betont man, dass man letztlich die Lehren aus den «direkten» Wahlkämpfen des früheren US-Präsidenten Barack Obama oder auch des französischen Staatschefs Emmanuel Macron ziehe.
Bei Provokationen freundlich bleiben
Das erklärt, wieso die CDU gleich drei weisse Holztüren durch die Republik schickt, um Wahlkämpfer an drei im Türrahmen eingespielten Filmen zu trainieren. Mal müssen sich Kandidaten und ihr Helfer mit einem lebensgross vor ihnen stehenden «Wutbürger», mal mit einer CDU-Anhängerin und mal mit einem eher neutralen Bürger auseinandersetzen. Immer gilt: Bei Provokationen freundlich bleiben, aber auch nette Kaffeeeinladungen ablehnen, um in der begrenzten Zeit an möglichst vielen Haustüren klingen zu können.
Wirklich schlechte Erfahrungen an Türen seien eher selten, heisst es - zumal die Wahlkämpfer dank der Daten zu solchen Wohnungen geschickt werden, wo Personen leben, die der jeweiligen Partei nicht abgeneigt gegenüberstehen. Probleme könnten nach Ansicht von Wahlkampfexperte Clemens aus einer anderen Richtung kommen: «Die Hauptgefahr könnte für uns und die SPD die mangelnde Mobilisierung sein – falls der Abstand zu gross wird», sagt der «connect17»-Leiter. «Denn das demotiviert sowohl unsere Anhänger, die glauben, dass die Wahl schon gewonnen sei – als auch die der SPD, die glauben, dass die Wahl schon verloren sei.˚
(sda/ccr)