Haben Sie mittlerweile ein Firmenschild vor dem Alibaba-Firmensitz? Das fehlte lange.
Terry von Bibra: Wir sitzen in München in bester Lage direkt am Viktualienmarkt und haben uns eingemietet bei Mindspace. Ein Co-Working-Modell mit anderen Firmen, die kleine Büros haben: Das passt für uns, in Europa sind wir ein Startup.
Also kein pompöses Firmenschild. Wie entwickelt sich denn die Wahrnehmung von Alibaba in Europa?
Das ist natürlich ein Grossteil meiner Arbeit und der von meinem Team: Den Erklärungsbedarf, der bei Alibaba besteht, zu erfüllen. Der Erklärungsbedarf besteht auch, weil der Zugang im Vergleich zu europäischen Firmen erschwert ist. Alibaba hat rund 25 verschiedene Websites, die meisten davon nur auf Chinesisch. Daher ist es wichtig, dass wir Kontext liefern und Erklärungsarbeiten leisten.
Sagt der Name Alibaba der Durchschnittsbevölkerung in Europa mittlerweile etwas?
Das wird langsam mehr. Aber solange wir hier nicht den Fokus auf den Endkonsumenten legen, ist es nicht unser Ziel, dass sich das entwickelt. Es ist schön, wenn es so ist, aber nicht unsere Priorität. Wenn es darum geht, Handel über die Grenzen hinweg nach Europa zu vereinfachen, ist weniger unser Bekanntheitsgrad wichtig als unsere Fähigkeit, europäische Firmen zu verstehen. Europäische Firmen denken anders, haben andere Bedürfnisse als chinesische. Mein Job ist es, diese Firmen zu verstehen, China zu verstehen und zu schauen, wie ich die zwei zusammenbringen kann.
Wie gelingt das?
Wir sind fokussiert auf Geschäftsgespräche mit europäischen Firmen. Wir wollen ihnen dabei helfen, ihre Strategie in China umzusetzen. Wie können wir einem Schweizer Unternehmen wie der Swatch Group oder der Migros dabei helfen, seine Produkte auf einer chinesischen Plattform an chinesische Konsumenten zu verkaufen? Das ist die wichtige Frage.
Nestlé, Swatch, Ricola, TAG Heuer – mittlerweile sind gut ein Dutzend Schweizer Marken bei Alibaba aktiv. Welche kommen bald noch dazu?
Viele, aber die Namen kann ich noch nicht nennen. Wichtig sind für uns in der Schweiz Qualitätsprodukte. Die Chinesen sind mittlerweile sehr gut informierte Konsumenten und gerade wenn sie auf die Schweiz schauen, schauen sie auf Qualität.
Welche Schweizer Marke wäre Ihnen da am liebsten, Rolex?
Uhren sind sicherlich sehr wichtig. Wir arbeiten hier bereits mit einigen Marken zusammen, TAG Heuer, Tissot und Longines als Teil der Swatch Group und Swatch selbst. Es könnten gerne noch viele mehr dazukommen. Schweizer Uhrenmarken sind in China alle präsent, aber die meisten nur offline. In China ist aber der Handel zunehmend online und offline gemischt und wir wollen den Firmen helfen, das umzusetzen. Da bestehen aber auch Ängste gegenüber dem Online-Geschäft. Unser Ansatz richtet sich aber nicht gegen den stationären Handel, ganz im Gegenteil: Wir wollen den Schweizer Uhrenmarken helfen, ihre gegenwärtigen und zukünftigen Konsumenten in China besser zu verstehen. Aber das geht nur, wenn man sich der digitalen Welt öffnet.
Wie gross ist der Umsatz, den Schweizer Firmen über Alibaba machen?
Diese Zahl nennen wir nicht im Detail, sie ist aber nennenswert und wächst viel schneller als die Umsätze der gleichen Firmen in der Schweiz.
Wie gross ist das Wachstum?
Alibaba insgesamt ist im Quartal zum Vorjahr um 61 Prozent gewachsen. Wie alle Marken wachsen auch die Schweizer Marken unterschiedlich schnell, aber zweistellige Wachstumsraten sind absolut normal. Dabei ist aber wichtig: Wenn eine Firma in den ersten zwölf Monaten rasant wachsen will, warne ich. Die ersten zwölf Monate muss die Firma erst mal ihre Hausaufgaben machen. Denn der chinesische Konsument hat bereits Zugriff auf fast alle Marken – bei uns findet er aktuell um 1,5 Milliarden Produkte. Die Auswahl ist also schon da. Es geht darum herauszufinden, welche Produkte bestimmte Kundengruppen besonders wollen.
Wie funktioniert diese Datenanalyse?
Wir haben zum Beispiel eine Kooperation mit den Tante-Emma-Läden in China, dort gibt es rund sechs Millionen von Corner Shops. Vor Jahren wurde ihnen das Ende durch die Digitalisierung vorausgesagt. Jetzt zeigt sich, dass sie im E-Commerce sehr gut bestehen können – nur mit einem verbesserten Geschäftsmodell. Dafür geben wir ihnen Daten, welche Produkte in ihrer Gegend online besonders gefragt sind. Und wir geben ihre Daten an die Firmen weiter, die wiederum sehen, wie sich die Nachfrage entwickelt.
Welche Erkenntnisse hat das bisher gebracht?
Zum Beispiel wenn eine Firma erkennt: Ich habe für den chinesischen Markt die falsche Verpackung. Das Produkt ist beliebt, aber die Verpackung passt für den Zweck dort nicht. Wir gehen aber noch einen Schritt weiter. Unternehmen können auf die sogenannte «Private Brand Data Bank» zugreifen. Wenn sie bei uns einen Flagshipstore haben, geben wir ihnen Zugriff auf die Daten, welche Nutzer was wann kaufen. Auf die Daten, die ihre Firma betreffen, können nur sie zugreifen und sie zum Beispiel mit denen anderer Nutzer in China oder auch mit eigenen Erhebungen aus der Schweiz vergleichen. Zum Beispiel, was kauft eine Mutter in Peking im Vergleich zu einer in Zürich? Da öffnet sich für viele Firmen eine neue Welt. Wir können diese Daten vor allem auch aufgrund unserer Grösse liefern.
Wie weit sind Sie in den Auftritt der Marken involviert?
Welche Art von E-Commerce sie dann anbieten wollen, ist ihre Sache. Der Ausgangspunkt ist je nach Firma unterschiedlich. Geht es um eine Firma wie Nestlé, die seit 1874 in China präsent ist? Oder geht es um ein Startup, das noch gar nicht über eine Expansion nach China nachgedacht hat, aber dann sieht, dass chinesische Touristen in Zürich ihr Produkt gern kaufen? Je nach Bedarf unterstützen wir beratend.
Bei welchem Produkt war das zuletzt so?
Oft zeigt sich, dass sich ein Produkt sehr gut verkauft, und wir wollen dann mehr Auswahl anbieten. Ein Beispiel gab es zuletzt im Bereich Kosmetik, wo wir gesehen hatten, dass eine sehr hochwertige Gesichtscreme für Frauen gut nachgefragt wird. Da gibt es relativ kleine, aber sehr hochwertige Marken in der Schweiz und anderen Teilen von Europa. Wir waren selbst überrascht über die Grösse der Nachfrage. Die hatte einen solchen Umfang, dass die Firmen Probleme hatten, zu liefern. Da unterstützen wir, soweit wir können, und schauen gleichzeitig, ob wir noch mit vier, fünf anderen Firmen sprechen können, um das Angebot auszubauen. Das Tolle ist, wenn mehrere kleine Firmen als First Mover im Markt sind, ist oft viel gegenseitige Unterstützung da, obwohl sie eigentlich Konkurrenten sind. Sie wollen dann alle gemeinsam erst mal überhaupt in diesen Markt und helfen sich gegenseitig mit ihren Learnings.
Wie oft ist denn die Skalierung ein Problem? Selbst der Riese Swatch hatte ja teils mit Lieferproblemen zu kämpfen.
Das ist in der Tat eine Herausforderung. Denken Sie zum Beispiel an sehr hochwertige Uhren – die kann man nicht unendlich viel schneller oder mehr davon produzieren. Darum müssen die Firmen langfristig planen. Wir helfen hier auch bei der Prognose für die Nachfrage.
Auch wenn Ihr Fokus ein anderer ist: Alibaba beziehungsweise Aliexpress ist laut Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) Nummer acht unter den zehn beliebtesten Online-Shops in der Schweiz, mit einem Umsatz von 130 Millionen Franken. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Wir werden demütig angesichts solcher Entwicklungen. Und natürlich fühlen wir uns dann auch herausgefordert, das Angebot noch zu verbessern. Und so gehen wir da auch vor.
Das Imperium von Alibaba
- Gegründet von Ex-Englischlehrer Jack Ma im Jahr 1999, zählt Alibaba seit 2017 zu den zehn grössten Unternehmen der Welt. Gemessen am Börsenwert war der chinesische Riese im Dezember 443 Milliarden Dollar schwer, bei einem Jahresumsatz von 543 Milliarden Dollar.
- Unter dem Dach der Alibaba Gruppe sind gut 25 Töchter versammelt, wichtig dabei das Online-Kaufhaus Tmall, das Ebay-Equivalent Taobao und der Mobile-Payment-Dienst Alipay. Nach Konzernangaben werden auf allen Plattformen von Alibaba rund 1,5 Milliarden Produkte angeboten, die zu 80 Prozent per Smartphone geordert werden.
- In der Schweiz erreichte die Handelsplattform Aliexpress 2017 Platz acht der beliebtesten Online-Shops, wie eine Auswertung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ergab. Die Handelsplattform für Waren aus China, die auf Englisch gehalten ist, setzte demnach 130 Millionen Franken um und überrundete unter anderem Manor, Ochsner Sport und Siroop in Sachen E-Commerce in der Schweiz.
Das heisst, womit können wir für die Schweiz rechnen?
Zunächst einmal müssen wir schauen, welche Produkte in einem Land gefragt sind. Das müssen wir für jedes Land einzeln betrachten. Was wir im Moment sehen, ist, dass es bei der Beliebtheit von Aliexpress darauf ankommt, ob bereits eine starke Alternative etabliert ist. In Deutschland ist das zum Beispiel der Fall. Die Schweiz ist für uns natürlich jetzt interessant, weil offenbar genug Nachfrage da ist, dass es sich für uns lohnt, uns damit zu beschäftigen.
Inwieweit sehen Sie denn eine Verantwortung, den Paket-Stau zu lindern, den der Online-Handel und bereits jetzt auch Bestellungen über Aliexpress in der Schweiz bewirken?
Unsere Firmenmission ist es, den globalen Handel zu vereinfach. Und eine der Haupthürden hier ist die Logistik. Logistik ist schwierig, komplex und teuer. Alibaba ist kein Logistikunternehmen, sondern wir arbeiten mit Hunderten und Tausenden Partnern zusammen. Das macht es schwieriger für uns zu sagen: Jetzt greifen wir ein. Wir werden in Logistik mehr investieren in der Zukunft, aber es ist nicht unsere grosse Zielsetzung. Wir wollen mit Partnern arbeiten, aber Ineffizienz vermeiden.
Inwiefern wollen Sie mehr investieren?
Konkrete Projekte sind im Moment nicht geplant. Es geht mehr darum, die Kooperation mit Partnern auszubauen.
Wo sehen Sie Alibaba in Europa in fünf Jahren?
Ich hoffe, dass wir in fünf Jahren auch in Europa mehr im Endkonsumentengeschäft machen können. Das fehlt uns im Moment noch, ausser über Aliexpress sprechen wir den Endkonsumenten noch nicht an. Wichtig ist ausserdem, dass wir noch mehr mit allen verfügbaren Stakeholdern zusammenarbeiten. Mit grossen Firmen wie Migros oder Nestlé machen wir das bereits sehr gut. Auch mit Organisationen und Regierungen läuft es gut. Aber mit kleinen Unternehmen, da möchte ich, dass wir mehr skalierbare Lösungen haben. Dass ein KMU aus der Schweiz, das ein Produkt von hoher Qualität produziert, dieses leicht nach China oder auch in ein anderes Land exportieren kann.