Startups haben, was Konzerne wollen: Beweglichkeit, Innovationskraft. Konzerne haben, was Startups möchten: Reichweite, Geld und Erfahrung. Wenn sich die beiden Welten treffen, kommt es aber oft genug zu Enttäuschungen auf beiden Seiten. Die mit vielen schönen Worten integrierten Startups sehen sich plötzlich in einer Welt voller starrer Hierarchien und unbeweglicher Denkmuster. Und Konzerne können mit den beweglichen Gründern oft genauso wenig anfangen, weil sie ihre mühsam aufgebauten Regelwerke – oft aufgrund regulatorischer Vorschriften – nicht einfach sprengen können, nur weil das der schnellste Weg zum Kunden wäre.
Christoph Birkholz kennt diese Probleme genau. Er ist Mitgründer und Managing Director des Impact Hub Zürichs, eines der Startup-Zentren der Schweiz. Zudem hat er selbst ein Startup – Yova – gegründet und das Startup-Förderprogramm Kickstart Accelerator mit aufgebaut. Birkholz hat einen Leitfaden unter dem Titel «Kickstarting Collaboration» herausgegeben (Hier gratis downloaden), der Konzernen und Startups helfen soll, ihre Annäherungs- und Kommunikationsprobleme besser zu lösen, und sich damit als eine Art Paartherapeut für Gross- und Kleinfirmen positioniert.
Input aus der Wissenschaft
Funktionierende Kooperation sei dringend nötig, so Birkholz: «Technologien wie maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz, Robotertechnik oder Nanotechnologie verändern die Welt – und damit uns alle. Die Entwicklung, Anwendung und Verbreitung dieser komplexen Technologien benötigt Kooperation zwischen WissenschafterInnen, ManagerInnen, UnternehmerInnen.» Kooperation zwischen so unterschiedlichen Akteuren sei aber schwierig. «Daher haben wir ganz nah aus der Praxis Empfehlungen und Erfahrungen herausgearbeitet, die für Kooperationen helfen können.» Herausgekommen ist eine Sammlung von Erfahrungen und Stimmen aus der Corporate- und der Startup-Welt. Unterfüttert mit Forschungsinput von akademischer Seite, beispielsweise der ETH.
Eines der grössten Probleme für die erfolgreiche Kooperation von Grossfirmen und Startups sei dabei das sogenannte «Corporate Immune System». Dieses hat sich im Verlauf der Entstehung einer effizient arbeitenden Funktion ganz natürlich herausgebildet. Standardabläufe werden eingeübt und gefördert, Unbekanntes oder ganz neue Ansätze werden tendenziell abgestossen oder vermieden. Wenn Neuerungen und Herausforderungen auf etablierte Firmen treffen, entwickelten diese häufig eine Art Immunsystem, das sich gegen jede Art von Veränderung wehrt. Nun gehe es darum, «ein tieferes Verständnis für die sozialen Mechanismen solcher Kooperationen zu schaffen und dabei zu helfen, Stabilität und Flexibilität zu balancieren», wie die ETH-Forscherinnen Gudela Grote und Jennifer Sparr erklären.
Psychologische Verträge
Erfolgreich kollaborieren könne nur, wer psychologische Verträge abschliesse und Regeln definiere, bei denen Fairness im Vordergrund steht. Auch Ziele müssten differenziert als Lernziele und Performance-Ziele aufgeschlüsselt werden. Spannungen im Verlauf der Zusammenarbeit sollten nicht unter den Teppich gekehrt, sondern proaktiv analysiert werden.
Zu den sozialen Mechanismen, die die Kollaboration zwischen Startups und Grossfirmen erschweren, gehört nach Auffassung der Autoren auch das «career-over-customer syndrome». Für Firmen-Paarexperte Birkholz geht es darum, dass solche «Diagnosen» bei einer Beratung schonend und konstruktiv beigebracht werden müssen: «Ohne die Metapher überstrapazieren zu wollen, handelt es sich ja vielmehr um psychologische als um physiologische Umstände. Da versucht man eher, die entsprechenden Personen zu motivieren, weniger an ihre Karriere oder die Meinung der Chefin zu denken, als vielmehr auf ihre eigenen Vorstellungen und Ideen zu hören.»
Betroffene müssten sich die Frage stellen: Was will der Kunde eigentlich? Würdest du das Produkt selbst kaufen? «Das sind Fragen, die Unternehmer und Unternehmerinnen sich fast täglich stellen und die häufig bei grösseren Firmen weniger im Fokus sind.» Es gäbe zwei klassische Reaktionen auf die Diagnose, so Birkholz: Entweder die Personen sind interessiert und machen mit oder sie ziehen sich einfach zurück und fokussieren sich weiter primär auf ihren Aufstieg im Konzern.
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Beispiele aus der Praxis
Neben der Analyse der klassischen Verhaltensmuster, die Kooperation erschweren, lohnt sich auch der Blick auf konkrete Beispiele. Etwa bei der Kooperation des Versicherungskonzerns Axa und dem Visualisierungsstartup Veezoo. Das Startup bot Axa an, mithilfe seiner KI-Technik und Visualisierungen Effizienz zu steigern und die Entscheidungen der Managementebene besser zu unterfüttern. Das Projekt war erfolgreich, das Jungunternehmen wuchs innert weniger Monate von drei auf zwölf Angestellte und konnte seine Technik im Konzern erfolgreich einsetzen. Das wichtigste Learning des Startups: Es braucht einen «internen Champion» in der Organisation, also eine Art Verbündeten, der auf die richtigen Projekte und Themen hinweist und Stolperfallen aus dem Weg räumt.
Das Regtech Startup Apiax versuchte sein Glück als Partner einer anderen Riesin, nämlich der Credit Suisse. Der hochsensible Bereich der Bank-Compliance sollte mithilfe des Startups effizienter und benutzerfreundlicher gemacht werden. «Die Zusammenarbeit erfordert mehr Zeit und Energie, als man vielleicht vorher dachte», lassen sich die beiden Firmen in der interessanten Sammlung von Kooperations-Erfahrungsberichten im Leitfaden zitieren. Dennoch sind beide mit der Zusammenarbeit und vor allem den Ergebnissen der Implementation des Apiax-Angebots zufrieden. Gut unterwegs war auch Coop mit der Kooperation mit dem indischen Robotik-Startup iFuture, das die Logistik des Detailhändlers unter die Lupe nahm und Automatisierungsanalysen erstellte. Bei der Kooperation ging es vor allem darum, unterschiedliche technische Standards zwischen Asien und Europa zu berücksichtigen.
Offen Probleme anzusprechen
Für Birkholz war es gar nicht so schwierig, Grossfirmen und Startups dazu zu bringen, über ihre Erfolge und Misserfolge bei der Kooperation zu sprechen. «Die Beteiligten sind ja zum Teil Co-Autoren, die selbst mehr Unternehmertum in ihren jeweiligen Organisationen fördern möchten», so der Startup-Experte. Er erlebt bei seiner Arbeit für das Kickstart-Programm Digitalswitzerland, den Impact Hub oder das Kraftwerk immer wieder erstaunlich viele Mitarbeiter grosser Firmen, die etwas bewegen wollen und sich nicht scheuen, Probleme anzusprechen.
Gudela Grote und Jennifer Sparr von der ETH Zürich, die das Thema mithilfe von Forschungsinterviews analysiert haben, erklären, dass Menschen und ihre grundsätzlichen Einstellungen selbst gar nicht so sehr das Problem sind, sondern das Verhalten, das starre, häufig traditionelle Organisationsstrukturen bei Menschen auslösen. Diese müsse man verstehen lernen. Nur so liessen sich Reflexe von Corporate-Soldaten und Visionen von Startup-Träumern produktiv zusammbringen.