Auf der Suche nach den letzten wahren Dandys der Gegenwart führt an Karl Lagerfeld kein Weg vorbei. Niemand verkörpert das Ideal des Dandys heute so perfekt wie der weltberühmte Modeschöpfer, der in der Kunst der Selbstinszenierung glänzt wie kein zweiter. Das französische Magazin «L’Express» bezeichnete den gebürtigen Hamburger denn auch als «letzten Dandy von Paris».
Keine Frage, Karl Lagerfeld erfüllt die Grundvoraussetzung eines jeden Dandys allemal, nämlich, seinen eigenen Stil zu haben. Schon von Berufs wegen ist König Karl der Mode seiner Zeit stets um eine Nasenlänge voraus. Er kreiert die neuesten Trends wieder und wieder aufs Neue. Der erfolgsverwöhnte und einflussreiche Modeschöpfer leitet schon seit Jahrzehnten als Chefdesigner das Haute Couture-Haus Chanel, entwirft überdies für Fendi und für sein eigenes Label Karl.
Damit nicht genug, ist der Maestro der Mode ein heissbegehrter, vielgefragter, jederzeit stilsicherer Partner für Designkooperationen aller Art: ob Boxsport-Accessoires für eine limitierte Jubiläumsedition der Monogramm-Taschen von Louis Vuitton oder Interieurs diverser Luxushotels wie das Hôtel Metropole Monte-Carlo oder das Sofitel So Singapore. Er kreiert zudem als Parfümdesigner nicht nur seine eigenen Düfte selbst.
«Stress – kenne ich nicht. Ich kenne nur Strass.»
Auch wenn er kaum Freizeit hat, um den Müssigang des Dandys zu pflegen, so zelebriert Karl Lagerfeld doch mit Nonchalance die in Vergessenheit geratene Kunst der schönen Mühelosigkeit, ebenso wie – ganz und gar Dandy – die des treffsicheren Bonmots. Lagerfeld ist bekannt für seine bisweilen recht lose Lästerzunge, für seine Ironie und unberechenbare Bereitschaft zum verbal zielsicheren Tabubruch.
Eines seiner Zitate lautet: «Stress – kenne ich nicht. Ich kenne nur Strass.» Der Tausendsassa tut zumindest so, als sei sein Luxus-Jetset-Leben apart unangestrengt und als würde er niemals knochenhart arbeiten. «Ich habe mir nie Mühe gegeben», sagte Lagerfeld einmal in einem Interview mit dem «Stern». «Ich habe immer nur das gemacht, wozu ich Lust hatte.»
Das Vitamin ‘E’ aller Dandys
Karl Lagerfeld repräsentiert auf unvergleichlich konsequente Art die grossen ‘E’s, die seit jeher für die besonders hervorstechenden Eigenschaften eines Dandys stehen: Eleganz, Eloquenz und Esprit, aber auch Egomanie, Eitelkeit und Exzentrik. «Ich interessiere mich nur für mich selbst und mein Spiegelbild», hat er einst von sich behauptet. Eine Einstellung ganz im Sinne Baudelaires, der (ebenfalls Dandy par excellence) von einem echten Dandy forderte, dass er vor einem Spiegel leben und schlafen müsse.
Karl Lagerfeld hält es überdies mit dem zweiten grossen historische Dandy Oscar Wilde. Diesem, seinem Geistesverwandten, steht er in Fragen stilistischer Raffinesse in nichts nach. Mit ihm teilt er auch den Grundsatz: «Ich habe einen ganz einfachen Geschmack: Ich bin immer mit dem Besten zufrieden».
Distanz zu den Dingen wahren
Lagerfeld wirkt, wie es sich für einen waschechten Dandy gehört, als sei er nicht ganz von dieser Welt und stehe über den banalen Dingen des Alltags. Ein Aristokrat mit Attitüden, Mittelpunkt seines eigenen, artifiziellen Kosmos der Schönheit und des Geistes. Einer, der seiner ihn umgebenden Wirklichkeit mit Distanz, einer gewissen Kälte und Gleichgültigkeit gegenübersteht.
Lagerfeld selbst definiert diese Haltung so: «Zwischen mir und dem Rest der Welt steht eine Glaswand.» Der Ausspruch «Andere Menschen sind ziemlich schrecklich. Die einzige Gesellschaft, in der man es aushalten kann, ist man selbst.» könnte ebensogut von Karl Lagerfeld stammen, hätte nicht Dandy Oscar Wilde diesen Satz schon lange geprägt, bevor der heute 81-jährige Modeschöpfer auf den Plan trat.
Der Dandy als Dandykenner
Wenn einer der Zeitgenossen, die uns heute dandylike erscheinen, die grossen Dandys der Historie kennt, dann ist es der belesene Connaisseur Lagerfeld. Auch als angesehener Fotograf hat sich Lagerfeld weit über die Modewelt hinaus seinen Namen gemacht. Auch Filme und Videos dreht der Tausendsassa längst nicht nur für die eigenen Fashion-Projekte selbst. Er setzte schon die Champagnermarke Dom Pérignon mit Claudia Schiffer, Opel mit seiner geliebten Birmakatze Choupette oder 2011 Natalia Wörner für den deutschen Playboy ins rechte Licht. Auch eine Fotoserie mit dem Titel «The Ultimate Dandys» hatte er bereits 2006 vor seiner Kameralinse.
Als Fotograf konzipierte er seine eigenen Version von Oscar Wildes Roman «Dorian Gray» in einem reinen Foto-Bildband, der in der von ihm selbst betreuten Edition LSD im Steidl-Verlag erschien. Die Reihe bietet ausserdem Literatur zum Thema ‘Dandy’. Namen wie Beau Brummell oder Gabriele D’Annuncio sind dem belesenen Lagerfeld bestens vertraut. Kein Wunder bei weit mehr als 300'000 Büchern in seiner eigenen Bibliothek.
Die Kunst der Selbstinszenierung
Keiner weiss besser als König Karl, dass natürliche Eleganz nicht nur etwas mit Mode und ihren wechselnden Zeitsignalen zu tun hat, sondern weit darüber hinaus geht und wesentlich auf Stilbewusstsein, Haltung und Ausstrahlung beruht. Er selbst hat sich höchst effizient zum wandelnden Gesamtkunstwerk mit Wiedererkennungswert stilisiert.
Wer Karl Lagerfeld sagt, denkt an seine aristokratisch-snobistische Haltung des exklusiven Savoir Vivre. Sein Profil als Schattenriss, die superschlanke Figur als Silhouette genügen ebenso als Logo wie sein Vorname Karl oder die Initialen KL: Jeder weiss sofort, wer gemeint ist. Schwarzer, schmal geschnittener Anzug oder schwarze Jeans aus der eigenen Kollektion, perfekt gebügeltes Hemd mit gestärkten Manschetten und hohem, steifen Vatermörder-Kragen à la Brummell, selbstverständlich nie ohne Schlips, das schneeweisse Haar zum gepuderten Mozartzopf zusammengebunden, Sonnenbrille und meist süffisant geschürzte Lippen. Die spielerisch anmutenden, in die Zukunft gebeamten Modezitate aus vergangenen Dandyzeiten kombiniert er gern mit Attitüden und Accessoires aus der Rockrebellen-Stilschublade.
Vom Fächer zum Fingerhandschuh
Graziös und galant gelang es einst in Barock und Rokoko, mit dem Fächer als Instrument der Selbstdarstellung jeder Gefühlsregung mit anmutiger Geste Ausgedruck zu verleihen. Karl Lagerfeld war viele Jahre ohne sein flamboyantes Gewedel undenkbar. Als er diesem Accessoire Ade gesagt hatte, wurden zunächst martialisch anmutende Silbermehrlingsringe mit und ohne Totenkopf zu seinem Herrenschmuck der Stunde. Sie wurden von fingerlosen Lederhandschuhen im Bikerlook abgelöst. Dazu trägt Lagerfeld heute mal ein Solitärjuwel am Finger, mal schmücken Ketten die wie angegossen sitzende Hemdbrust.
Hautenge Hosen und enge, extrem schmal geschnitte Anzüge sind für Lagerfeld seit Jahren ein ‘must have’. Eines seiner Statements lautet: «Ich trage enge Anzüge, damit ich nicht zunehmen kann. Mein einziger Ehrgeiz ist es, weiterhin bei Dior Größe 48/46 tragen zu können.»
Ende 2000 hatte sich Lagerfeld eine strenge Diät auferlegt und innerhalb von 13 Monaten rund 42 kg Gewicht verloren, um mit seither 58 Kilo in die Dior-Homme-Anzüge von Designer-Kollege und Slimfit-Ikone Hedi Slimane zu passen. Auch in der Diätdisziplin kann Lagerfeld locker mit einem seiner historischen Dandy-Kollegen mithalten, dem Diät-Pionier Lord Byron.
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Schwester-Publikation «World's Luxury Guide».