Seit kurzen wissen wir, dass die US-Notenbank mit drei Zinsschritten für 2022 rechnet. Was bedeutet dies für die Schweiz?
Es ist nur eine Frage der Zeit, dann steigen die Zinsen auch bei uns. Es gibt historisch eine starke Korrelation zwischen den Leitzinsen der USA, des Euroraumes und der Schweiz. Ich gehe davon aus, dass man im Euroraum eher früher als später den Leuten nicht mehr weismachen kann, dass fast 5 Prozent Inflation nicht viel und nur temporär sei. Jeden Tag geht Kaufkraft verloren. Wir sehen die höchste Inflation seit Jahrzehnten und deswegen wird nicht nur die Fed, sondern auch die Europäische Zentralbank EZB die Zinsen erhöhen, sollte die Inflation weiter hoch bleiben.

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Donato Scognamiglio

Donato Scognamiglio ist CEO und Mitinhaber der Immobilienberatungsfirma IAZI in Zürich sowie Dozent und Titularprofessor an der Universität Bern.

Quelle: ZVG

Dies würde auch die Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank direkt betreffen.
Ja, spätestens dann müsste auch die SNB nachziehen. Zinserhöhungen sind viel näher als auch schon. Wenn die USA die Zinsen erhöhen, wird die EZB nachziehen, und eines Morgens wird dann auch die SNB ankündigen, dass der Zins nicht mehr -0,75 sein wird, sondern vielleicht Null. 

Epochale SNB-Entscheide am Vormittag kennen wir vom 15. Januar 2015 her - damals fiel Knall auf Fall die 1,20er-Untergrenze zum Euro-Kurs. Wagen Sie es, ein Datum für einen SNB-Zinsschritt zu prognostizieren?
Nein, ein Datum dafür voraussagen will und kann ich nicht. Wenn wir zurückschauen, sieht man, dass die SNB immer wieder überrascht hat. Beim Mindestkurs 2015 hiess es, er werde nicht aufgehoben. Wenige Tage später sahen wir, dass es nicht stimmte. Aussagen der SNB gilt es daher einzuordnen, das heisst, mit Überraschungen ist zu rechnen.

Die SNB ist zwar eine Art 'Seitenwagen-Fahrerin' der EZB: Es wäre aber durchaus auch denkbar, dass die erwartete Reihenfolge bei den Zinserhöhungen - erst Fed, dann EZB, dann SNB – von der SNB nicht eingehalten wird und die SNB die Zinsen gar vor der EZB erhöht. Bei einer Inflation über 2 Prozent in der Schweiz könnte so etwas plötzlich kommen.

«Es wäre durchaus denkbar, dass die erwartete Reihenfolge bei den Zinserhöhungen - erst Fed, dann EZB, dann SNB – von der SNB nicht eingehalten wird und die SNB die Zinsen gar vor der EZB erhöht.»

Die SNB hat vergangene Woche eine Inflations-2022er Prognose von 1 Prozent aufgestellt. Dies klingt harmlos im Vergleich zur den USA oder Deutschland.
Ein Teil der Argumentation der SNB ist ja der starke Franken, dessen Aufwertung sie im Interesse der Schweizer Exportindustrie bekämpft. Aber in der Schweiz importieren wir bekanntlich ja auch viel. Wenn alle Länder rundherum Inflation haben, dann importieren wir Inflation mit - solange der Wechselkurs gleich bleibt. Zum Beispiel werden Komponenten aus Deutschland für die Industrie teurer. Verhindern könnte man dies nur mit einem noch stärkeren Franken. Ich gehe davon aus, dass wir in eine Inflation hineinlaufen. In den USA und im Euroraum wird sie nicht so schnell verschwinden, und in der Schweiz könnte die Teuerung auch anziehen.

Was macht Sie da so sicher? 
Sicher ist man nie, doch gibt beispielsweise in vielen Branchen wie dem Bau oder im Autohandel für Kunden bereits längere Wartezeiten. Da kann man davon ausgehen, dass die Preise ansteigen. Die SNB wiederum wird sich ab 2 Prozent Inflation an ihren Auftrag der Preisstabilität erinnern und bei den Zinsen nachziehen.

Wenn sich die SNB täuscht und die Inflation nicht tief bleibt, werden wir rasche Zinsanstiege sehen. Im Moment sieht die SNB keine Inflationsgefahr und heizt mit der Billiggeld-Politik den Immobilienmarkt weiter an, während sie gleichzeitig vor einer Überhitzung warnt.

Der Weg zum Traumhaus soll offen bleiben

Das Land spaltet sich: in Häuserbesitzer und Wohneigentümerinnen – und den Rest, der sich kein Eigenheim leisten kann. Wir haben ein Problem.

Ist für den Immobilienmarkt Inflation nicht ein zweischneidiges Schwert?
Ja, einerseits steigert Inflation die Attraktivität von Investitionen in sogenannte Sachwerte wie Immobilien. Andererseits führt Inflation auch zu höheren Zinsen und damit tendenziell zu tieferen Immobilienwerten. Investoren, die Renditeliegenschaften zu extrem tiefen Bruttorenditen eingekauft haben, werden bei einem Zinsanstieg ziemliche Abschreiber verkraften müssen.

Wenn die Zinsen steigen, können die Immobilienbesitzer die Mieten nicht sofort erhöhen. Relevant für eine mögliche Anpassung ist die Entwicklung des sogenannten Referenzzinssatzes. Dieser ist ein Durchschnitt aller Hypothekarausleihungen und basiert vor allem auf Festhypotheken. Der Referenzzinssatz wird für längere Zeit stabil bleiben, auch wenn die Zinsen nach oben gehen. Mieten werden nicht einfach erhöht werden können. Vermieter werden höhere Finanzierungskosten haben, können diese aber nicht überwälzen.

Und private Wohneigentümer?
Wer privat Wohneigentum hat, wird von einem Zinsanstieg geschützt sein, sofern er eine Fix-Hypothek abgeschlossen hat. Im Zeitpunkt der Erneuerung der Hypothek wird aber auch er von den höheren Zinsen betroffen sein. Voraussetzung ist natürlich, dass die Zinsen immer bezahlt werden und es nicht zu einem Verkauf der Liegenschaft kommt.

Werden sich Zinserhöhungen in den USA, der Eurozone oder der Schweiz schnell auf die Hypothekarmärkte auswirken?
Geldmarkthypotheken wie die Saron-Hypotheken - früher waren es die Libor-Hypotheken - werden reagieren. Weil die Refinanzierung der Hypothekargeber unter anderem über die Swap-Sätze läuft, die wiederum mit den allgemeinen Zinsen korreliert sind, beeinflusst dies das gesamte Preisniveau. Hypotheken werden teurer werden. Wer eine Fix-Hypothek hat, kann sich glücklich schätzen, weil sich dort vorerst wenig am Zins ändern wird. Wenn Hypotheken auslaufen, muss mit höheren Kosten gerechnet werden.

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Ist der Markt stabil genug dafür?
Gemäss den Tragbarkeitsregeln müssen Hypothekarnehmer 4 bis 5 Prozent Zins verkraften können. In der Praxis glaube ich bei einem starken Zinsanstieg aber nicht daran, dass dies überall der Fall sein wird.

Hypotheken sind günstig, aber die Preise für Wohneigentum steigen seit Jahren. Viele haben nicht mehr die Mittel, das nötige Eigenkapital für eine Hypotheken aus eigener Kraft aufzubringen. Wie sehr hat sich dieses Problem Ihren Beobachtungen nach 2021 noch verschärft?
Es hat sich verschärft. Es ist angesichts der stark gestiegenen Preise und der strengen Finanzierungsrichtlinien so, dass der Schritt in die eigenen vier Wände für einen Grossteil der Einwohner dieses Landes schlicht unerreichbar ist.

Ein Häuschen mit 140 Quadratmeter Wohnfläche - nichts wahnsinnig Grosses - kostet in Zürich 2,5 Millionen Franken und in Genf gar über 3 Millionen Franken. Beim Häuschen in Genf für 3 Millionen Franken braucht es somit 600‘000 Franken Eigenkapital - 20 Prozent - und eine Hypothek von 2,4 Millionen Franken.

Pro Million Hypothek verlangt die Bank zudem wegen der Tragbarkeit ein Jahreseinkommen von 150'000 bis 180'000 Franken. Bei 2,4 Millionen Franken Hypothek wären dies 360'000 bis 430'000 Franken Jahreseinkommen. So viel verdient knapp ein Schweizer Bundesrat.

Der Immobilienmarkt boomt aber immer noch stark, mit einer grossen Nachfrage. Die Leute haben scheinbar noch Geld. Besteht hier allenfalls ein falsches Bild?
Nein. Es gibt zwar weniger Transaktionen, doch zu sehr hohen Preisen. Die Nachfrage ist hoch und das Angebot knapp.

Die Konjunktur läuft gut, die Arbeitslosigkeit ist sehr tief, die Zinsen ebenso, und wir haben netto immer noch eine starke Zuwanderung von über 50'000 Personen, selbst in der Coronapandemie. Und wir verknappen das Angebot ja auch noch.

Wo beobachten Sie dies?
Das Mantra der letzten Jahre lautete Verdichtung nach innen, das heisst das Stoppen der Zersiedelung in ländlichen Gebieten. In Kantonen wie Wallis werden zudem aufgrund der Revision des Raumplanungsgesetzes Grundstücke aktuell ausgezont. 

Ältere Leute in grossen Häusern bleiben zudem länger dort, weil sie - durchaus auch wegen Corona - nicht in Altersheime wollen. Oder, weil sie für eine kleinere Wohnung inzwischen mehr bezahlen müssten als für ihr grösseres Objekt. Die Pandemie hat wegen Homeoffice zu höherer Nachfrage nach bequemen und sicheren Wohnungen und Häusern in den noch bezahlbaren ländlichen Regionen geführt. All dies sind Faktoren für steigende Preise.

«Eine relevante Korrektur wird es erst bei einem Anstieg der Zinsen geben.»

Halten Sie die Preissteigerungen für nachhaltig? 
Nein. Corona ist für den Immobilienmarkt ein eigentlicher Booster, weil auch die weitentlegendsten Regionen noch «wachgeküsst» worden sind. Wenn man zudem das wirtschaftliche Umfeld mit den tiefen Zinsen anschaut, verstehe ich, dass die Preise so hoch sind.

Aber die Preise kennen seit 24 Jahren nur die Richtung nach oben. Wenn man auf einen Berg hinaufgeht, kommt man auf dem Gipfel an und wird auch irgendwann wieder herunter kommen. Ein kürzliches Treffen der Schweizer Immobilienbranche fand hoch in den Bergen unter dem Motto Gipfeltreffen statt - dies ist für mich fast symbolisch, da muss man wieder herunterkommen.

Glauben Sie, dass es beim Preisniveau bald einmal Korrekturen geben wird?
Eine relevante Korrektur wird es erst bei einem Anstieg der Zinsen geben. Sobald die Pandemie das Reisen wieder ermöglicht, wird es wahrscheinlich bei Ferienwohnungen eine Korrektur geben, wurde doch wegen der Homeoffice-Zeit alles gekauft, was vorher nicht weggegangen war. 

Die Preisanstiege bei den Eigenheimen ihrerseits werden in einem Jahr nicht mehr so stark sein wie bisher, schlicht, weil es nicht mehr genug Leute gibt, welche die Preise werden bezahlen können. 

2021 hat Veränderungen gebracht - Inflation, Preise, aber auch der Alltag unter der Pandemie. Was sticht aus Ihrer Sicht sonst noch hervor? 
Wenn die Corona-Wellen noch lange weitergehen, und wenn wir 'wie Mastkälber' jeden Winter 'in den Stall' müssen und erst im Frühling wieder auf die Weide gehen dürfen, dann wird dies auch Auswirkungen auf den Immobilienmarkt insbesondere für den Büromarkt haben.

Die Frage wird noch stärker gestellt werden, ob man die Büroflächen und die teuren Standorte braucht, die man noch 2019 hatte. 

Back to the office - aber freitags bleiben wir zuhause

Wie geht Homeoffice nach Corona? Bald könnte sich ein altes Muster verschärfen: Zur Wochenmitte sind die Büros voll, montags und freitags leer.

Sie sprechen das Homeoffice an. Wenn man aber sah, wie voll Züge und S-Bahnen noch letzten November waren, dann fragt es sich, ob das Homeoffice in der Durchschnittsbevölkerung so beliebt ist. Möglicherweise wird die Popularität dieser Arbeitsform von Meinungsmachern auch etwas überbetont. 
Absolut. Ein bis zwei Tage Homeoffice in der Woche schätzen viele, aber der Mensch ist auch ein soziales Wesen. Wir wollen den Austausch mit lebenden Personen und nicht immer hinter dem PC sitzen. Aber ich denke schon, dass wir die stark belegten Büros mit Fenstern, welche sich nicht öffnen lassen, nicht mehr sehen werden.

Grosse Firmen überdenken ihren Büroflächenbedarf, beziehungsweise, sie führen 'Shared Desk' ein. Dass die Büromieten noch nicht an breiter Front gesunken sind, hängt auch mit der Laufzeit dieser Verträge von oft fünf oder mehr Jahren ab.

Sicher ist aber auch, dass in Zürich die Lichter der Büros nicht gelöscht werden.

Solche Shared-Desk-Modelle scheinen noch selten zu sein.
Generell ist Corona als Chance für eine Denkpause bisher nicht genutzt worden. Gerade Homeoffice könnte beispielsweise auch einen Beitrag zur Reduktion des CO2 leisten. Doch irgendwie sehnt sich der Mensch die alte Welt zurück.

Über was werden wir uns Ende 2022 in Sachen Schweizer Immobilienmarkt unterhalten?
Corona wird uns leider noch beschäftigen. Auch die Klimapolitik wird ihre Auswirkungen zeigen. Im Kanton Zürich müssen nach der Annahme des neuen Energiegesetzes Öl- und Gasheizungen bei Ersatz durch klimafreundliche Alternative ersetzt werden.

Das Angebot dieser klimafreundlichen Alternativen könnte sich einschränken und die Preise dafür steigen. Eigentümer grosser Immobilienportfolios müssen vielleicht jetzt schon schauen, wo sie Wärmepumpen beziehen können. Dann kommt die Frage, wer dies zu welchem Anteil bezahlen wird: Die Eigentümer, die Mieter? Solche Fragen bergen auch politischen Zündstoff. Man wird dies vielleicht spüren, wenn wir 2023 ein neues Parlament wählen.