Gewiss: Auch Börsenbären kennen den Winterschlaf, auch sie ziehen die Wärme der Kälte eindeutig vor. Ein vorzeitiges Erwachen mitten im Winter ist bei ihnen aber weit häufiger als bei den echten Bären. Von den letzten 14 Börsenbaissen in unserem Land haben nicht weniger als sechs im Winter begonnen, zwei davon schon im Januar. Und auch der letzte Einbruch vom Februar 2020 ereignete sich mitten im Winter.
Diese Fakten stützen die Börsenpessimisten und -pessimistinnen, die dem lang anhaltenden Börsenaufschwung schon seit Jahren nicht mehr trauen, in ihrer Meinung: Der aktuelle Bullenmarkt ist zu Ende. Jetzt.
Keine guten Zeiten für Crashpropheten
Allerdings: Es gibt weit mehr Fehlprognosen als richtige. Allein im letzten Monat sind in der Schweizer Mediendatenbank 228’000 Meldungen über einen bevorstehenden Börsencrash registriert worden. Auch prominenteste Ökonomen und Ökonominnen werden wohl kaum gerne an ihre Aussagen erinnert, die sie vor fünfeinhalb Jahren gemacht haben: «Ja, der Markt ist völlig überbewertet», sagten Auguren wie Yale-Professor Robert J. Shiller, Marc Faber und Jim Rogers oder James Montier, Anlagestratege beim US-Vermögensverwalter GMO damals.
Nach dessen Ansicht befand sich die amerikanische Börse bereits im Frühjahr 2017 in einer Blase. Die Börsenindizes würden sich über kurz oder lang halbieren. Warnungen, die sich seither noch bestätigten. Doch statt auf rund 10’000 Punkte abzusacken, wie prognostiziert, kletterte der Dow Jones Industrial in den letzten 54 Monaten um fast 70 Prozent auf über 36’000 Punkte.
Wenig erstaunlich, haben die Börsenoptimisten und -optimistinnen das Terrain deshalb noch lange nicht preisgegeben. Zumal den Aktienmärkten gemäss den Saisonregeln die besten Monate zwischen Dezember und April noch bevorstehen. Tatsächlich sind die meisten Anlagestrateginnen und -strategen der Schweizer Banken wieder positiver gestimmt. Trotz Covid-19- und Zinsängsten, Lieferkettenproblemen, dem Anstieg der Energiepreise und trotz den unzähligen politischen Brandherden. Auch Ankit Gheedia, Chefstratege Europa der Bank BNP Paribas, oder der erfahrene Markttechniker Alfons Cortés sehen einen anhaltenden Aufwärtstrend.
Es ist also wie immer: Die Meinungen der Börsenauguren klaffen weit auseinander. Und sie werden es auch in Zukunft tun. An der Börse wird eben nicht geläutet, wenn der Trend kehrt. Zum Verdruss der meisten Börsianerinnen und Börsianer, die immer wieder zur früh den Aktienzug verlassen oder den Wiedereinstieg Mal für Mal verpassen.
Anlegen: Erst im Nachhinein ist man klüger
Die Anlegerinnen und Anleger werden noch eine Weile rätseln müssen. Ob es sich beim eher trendlosen Verlauf der letzten drei Monate tatsächlich schon um den Beginn eines echten Bärenmarktes handelt, oder bloss um eine relativ kurzfristige Abweichung vom Aufwärtstrend, wird man erst im Nachhinein mit Sicherheit feststellen können.
An Versuchen, aus der Gegenwart die Zukunft herauszutüfteln, fehlt es auch an den Finanzmärkten nicht. «An der Börse wird zwar nicht geläutet, aber gehandelt», erklären Markttechniker. Und an der Art und Weise, wie dies geschehe, lasse sich eine Vielzahl Vorlaufindikatoren bilden, die aufzeigten, wo der aktuelle Börsenzyklus gerade stehe. Das Problem: Die Zahl der sogenannten Frühwarnindikatoren ist so gross, dass auch Experten und Expertinnen kaum mehr den Überblick haben. Zudem widersprechen sich diese Indikatoren allzu oft. Es ist daher leicht, jederzeit Indikatoren zu finden, die für einen steigenden, oder solche, die für einen fallenden Kurstrend sprechen.
Und das ist ja auch gut so. Wären die Signale nämlich immer eindeutig und wäre die Kursrichtung demzufolge ebenso eindeutig klar, so gäbe es ja immer nur entweder Käufer oder Verkäufer, also gar keinen Markt und damit auch keine Kurse.
Börsenbär: Das sagt die Geschichte
Klar ist dafür, wann die Expertinnen und Experten von einem echten Bärenmarkt oder einer Baisse sprechen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Kurse während mindestens eines Quartals deutlich rückläufig sind und dabei 15 Prozent und mehr ihres Wertes einbüssen (siehe Tabelle).
Und ebenso sicher ist: Ein solcher Börsenbär wird kommen. Selbst wenn sich in den nächsten Wochen sämtliche Wolken über dem Börsenhimmel wieder verziehen sollten. Denn auf jede Hausse folgt eine Baisse. Das ist kein Naturgesetz, sondern eine historische Erfahrung.
Aufgrund dieser Erfahrung lässt sich nüchtern feststellen, dass ein typischer Bärenmarkt im Leitmarkt USA seit dem Zweiten Weltkrieg Einbussen von rund 23 Prozent gebracht hat. In unserem Land fielen die Rückschläge in der Regel deutlich heftiger aus. Die 14 Börsenbaissen, die seit 1928 in unserem Land zu verzeichnen waren, dauerten im Durchschnitt knapp 9 Quartale. Sie waren damit nur halb so lang wie die Hausseperioden, brachten aber in dieser Zeit doch happige Kursverluste von rund einem Drittel.
Doch etwas angsteinflössend: Ausgerechnet die zwei Bärenmärkte seit dem Jahr 2000 fielen hierzulande mit Tauchern von über 50 Prozent besonders schmerzhaft aus. Würde sich also dritten, was sich gezweitet hat, würden sich SMI und SPI innert sieben bis zehn Quartalen auf rund 6000 und 8000 Punkte halbieren. Eine düstere Vorstellung.
An der gewählten Strategie festhalten
Zugegeben: Mit diesem Exkurs in die Geschichte hat der Privatanleger zunächst noch gar nichts gewonnen. Er möchte ja wissen, wie er sich hier und jetzt am besten gegen ungewisse Börsenzeiten wappnen soll? Und diesen guten Rat gibt es: Ein Anleger oder eine Anlegerin sollte nämlich gar nicht erst versuchen, den Zeitpunkt von Trendwenden zu bestimmen und hektisch zu kaufen oder verkaufen. Sie sollen im Gegenteil relativ starr an einer einmal erarbeiteten und massgeschneiderten Anlagestrategie festhalten: In dieser wird langfristig fixiert, wie sich die Investitionen auf die verschiedenen Anlageinstrumente aufteilen, wie hoch also etwa die Aktienquote sein sollte.
Anlegende, die etwas mehr Risiken eingehen möchten, können zusätzliche Tipps befolgen:
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Bewährt hat es sich etwa, nicht auf einseitig zusammengesetzte und kapitalisierungsgewichtete Marktindizes zu setzen, wie etwa auf den SMI, sondern breiter diversifizierte Performanceindizes wie den SLI oder den SPI zu bevorzugen. Damit wird vermieden, dass man gerade in den jeweils hochgejubelten Titeln oder Branchen überinvestiert ist. Zudem: Performanceindizes schliessen im Gegensatz zu den Marktindizes auch die Dividenden ein. Und die Ausschüttungen an die Aktionäre und Aktionärinnen machen häufig die Hälfte bis drei Viertel der Aktienkursperformance aus.
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Im regionalen Vergleich hat eher verblüffend der US-Aktienmarkt in Baissen jeweils am besten abgeschnitten, während der SMI in Abschwungphasen regelmässig Mühe bekundete.
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Routinierte Akienanlegerinnen und -anleger können versuchen, die gegenwärtig nicht unerheblichen Aktienrisiken mit einer vorausschauenden Sektorstrategie abzufedern. Die Bank Julius Bär hat untersucht, welche Aktien in wirtschaftlich schwierigen Phasen jeweils am besten abgeschnitten haben. Es sind Titel aus den Branchen Basiskonsum, Gesundheit und Versorgung, die in solchen Perioden sogar leicht zulegten. Andere Untersuchungen stützen diese These: Es ist falsch, immer auf die gleichen Pferde zu setzen. Regelmässige Wechsel sind insbesondere in den zyklischen Branchen angebracht. Dazu zählen beispielsweise die Wirtschaftszweige Auto, Bau, Chemie, Stahl, Halbleiter, Medien oder Maschinen. Als stark zyklisch hat sich auch die Bankenbranche herausgestellt. Am Anfang des Konjunkturzyklus liegen die Titel dieser Branchen jeweils ganz vorn, steht eine Rezession bevor, liegen sie weit hinten.
Wenn es an den Märkten so richtig kracht, geraten auch die solidesten Blue Chips wie Nestlé, Roche und Novartis in den Abwärtsstrudel. Die liquidesten Titel lassen sich eben am reibungslosesten verkaufen. Langfristig orientierte Anlegende greifen dann zu.
Anlegerinnen und Anleger, bei denen diese Quote nach der inzwischen zehnjährigen Hausse überschritten wurde, hätten somit konsequenterweise umschichten müssen. Wer so handelt, ist am besten gegen Prognoseirrtümer abgesichert, die sich auch mit ausgetüftelten Frühindikatoren nie vermeiden lassen.
Aktien gestaffelt kaufen
Ein weiterer Schutz gegen Prognoserisiken sind regelmässige, zeitlich gestaffelte Käufe. Wer Aktien über mehrere Jahre verteilt zum immer gleichen Betrag stetig kauft und diese Titel einige Jahre hält, erreicht generell gute Resultate. Ohne Wenn und Aber: Es lohnt sich, breit diversifiziert in Aktien, Festverzinsliche und Immobilien zu investieren, und zwar für jedermann.
Mit einer gleichmässigen Streuung auf diese Anlageklassen hat ein Investor in allen 10-Jahresperioden seit 1970 eine durchschnittliche Rendite von mindestens 4 und durchschnittlich 6 Prozent erreicht. Dies pro Jahr wohlverstanden. Und das Beste: Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass dies nicht auch in Zukunft so sein sollte.