Angesichts der höchsten Inflationsrate in den USA seit Jahrzehnten greift die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) durch: Sie erhöht ihren Leitzins um 0,5 Punkte und signalisiert eine «rasche» weitere Straffung ihrer Geldpolitik. Dieser entschlossene Kurs ist ein weiteres Signal an die Europäische Zentralbank (EZB), auch im Euro-Raum die Kurswende zu forcieren. «Frau Lagarde, so geht das!», schrieb der Chefvolkswirt der Targobank, Otmar Lang, an EZB-Präsidentin Christine Lagarde gerichtet.
Denn auch im Euro-Raum hat die Inflation im April mit 7,5 Prozent ein Rekordhoch erreicht. Das ist meilenweit entfernt vom Mittelfristziel der EZB, die stabile Preise bei 2,0 Prozent Teuerung anstrebt.
Immerhin mehrten sich zuletzt die Anzeichen für eine baldige Kursänderung der EZB. «Jetzt reicht es nicht mehr, zu reden, wir müssen handeln», sagte EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel dem «Handelsblatt». «Aus heutiger Sicht halte ich eine Zinserhöhung im Juli für möglich.»
Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik
Schnabels Kollege Fabio Panetta sagte im Interview der italienischen Tageszeitung «La Stampa» zwar, die EZB könne die vor allem von hohen Energiepreisen und Lieferengpässen getriebene Inflation nicht alleine zähmen.
Doch auch der Italiener sieht den Zeitpunkt für eine Abkehr von der seit Jahren ultralockeren Geldpolitik gekommen: «Unter den derzeitigen Umständen sind negative Zinssätze und Nettokäufe von Vermögenswerten möglicherweise nicht mehr notwendig», sagte Panetta. «In den nächsten Wochen werden wir entscheiden, wann im dritten Quartal die Nettoanleihekäufe enden werden. Wir werden dann über die Zinssätze entscheiden und könnten beschliessen, die negativen Zinssätze zu beenden.»
Derzeit müssen Banken 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parkieren. Ökonomen erwarten, dass die Notenbank mit Sitz in Frankfurt in diesem Jahr in mehreren Schritten zunächst diesen negativen Einlagensatz auf null Prozent anheben wird. In der Folge könnte dann auch der Leitzins im Euro-Raum, der seit mehr als sechs Jahren auf dem Rekordtief von null Prozent liegt, wieder steigen.
Inflation galoppiert
Die US-Inflationsrate liegt seit vielen Monaten deutlich über der von der Fed angestrebten Rate von mittelfristig 2 Prozent. Zuletzt waren es 8,5 Prozent. «Die Inflation ist viel zu hoch», sagte Zentralbank-Chef Jerome Powell am Mittwoch vor Journalisten. «Wir handeln rasch, um sie wieder zu senken.»
Infolge der am Mittwoch angekündigten Erhöhung liegt der Leitzins in den USA nun in der Spanne von 0,75 bis 1 Prozent. Es war die zweite Erhöhung des Leitzinses seit Beginn der Corona-Pandemie – und der erste Anstieg um 0,5 Punkte seit 22 Jahren. Auch bei den nächsten Sitzungen des Zentralbankrats dürften wieder Zinserhöhungen um je 0,5 Punkte anstehen, sagte Powell.
Bis Jahresende könnte der Leitzins der Fed Analysten zufolge bei oder über 2 Prozent liegen. Zudem baut die Fed von Juni an ihre Bilanzsumme ab, was den Märkten monatlich Liquidität in zweistelliger Milliardenhöhe entziehen wird.
Mit ihren Leitzinserhöhungen will die Fed Kredite verteuern, um die Nachfrage zu bremsen. Das hilft dabei, die Inflationsrate zu senken, schwächt aber auch das Wirtschaftswachstum. Für die Notenbank ist es daher ein gefährlicher Balanceakt: Sie will die Zinsen so schnell und stark anheben, dass die Inflation ausgebremst wird, ohne dabei aber gleichzeitig Konjunktur und Arbeitsmarkt abzuwürgen.
Hypotheken teurer geworden
Die Finanzierungskosten etwa für Hypotheken in den USA haben sich durch die straffere Geldpolitik der Fed schon deutlich erhöht. Kritiker werfen der Zentralbank indes vor, zu spät auf den Anstieg der Preise reagiert zu haben.
Ihrer Meinung nach hätte die Fed bereits in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres ihre Programme zur Unterstützung der Konjunktur aus der Corona-Krise einstellen und die Zinsen erhöhen sollen. Die Fed hatte die Inflation 2021 grösstenteils noch als «vorübergehendes» Phänomen beschrieben. Die EZB führte dieses Argument noch länger an.
Eine Herausforderung für die Notenbanken ist es, dass sie manche Ursachen der Preissteigerungen nur begrenzt beeinflussen können. «Die Geldpolitik hat nur begrenzten Spielraum, um diese importierte Inflation zu beeinflussen», sagte EZB-Direktoriumsmitglied Panetta. Die Triebkräfte der Inflation seien global.
Powell erklärte, die Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, etwa mit Blick auf steigende Energie- und Lebensmittelpreise, verstärkten den Inflationsdruck und dürften die Konjunktur belasten. Auch die Corona-Lockdowns in China dürften für neue Unterbrechungen der globalen Lieferketten sorgen, was sich auf Inflation und Wachstum auswirken könnte.
(awp/tdr)
Zudem beschlossen die Währungshüter in Washington, die in der Corona-Krise durch massive Anleihekäufe auf fast 9 Billionen Dollar angewachsene Fed-Bilanz ab Juni schrittweise einzudampfen. Damit wird den Finanzmärkten Liquidität entzogen.
Börsen reagieren unmittelbar erleichtert
Aktienanlegerinnen und -anleger reagieren unmittelbar auf den Entscheid erleichtert auf die Zinserhöhung der US-Notenbank Fed im Rahmen der Erwartungen. Die Leitindizes Dow Jones, Nasdaq und S&P 500 legten um jeweils mehr als ein halbes Prozent zu.
Auch mit Staatsanleihen decken sich Investoren ein. Dies drückt die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen auf 2,9773 von 2,9891 Prozent. Der Dollar-Index, der den Kurs zu wichtigen Währungen widerspiegelt, gibt dagegen nach und verliert 0,2 Prozent auf 103,21 Punkte.
(reuters/tdr)