Urs Kessler ist seit über drei Jahrzehnten im Dienst der Jungfraubahnen. Der Berner Oberländer ist ein Eigengewächs, kein aalglatter Business-School-Typ. In Gsteigwiler ist er aufgewachsen, einem kleinen Dorf, 10 Postauto-Minuten von Interlaken entfernt. 360 Leute, 362 Kühe: So beschreibt der Chef der Jungfraubahnen sein Heimatdorf. 

Kessler ist bodenständig. Ein Verkaufstalent. Überzeugend im Auftreten, weil er überzeugt ist von den Berner Alpen und seiner Jungfraubahn. 470 Millionen Franken schwer war die letzte Investition. Ein Hosenlupf der besonderen Art für die Oberländer. Kessler hat das Projekt von Anfang an begleitet, forciert, getrieben. 2908 Tage ging es zur Ankündigung des Projekts bis zur Realisation. 908 Tage war die reine Bauzeit. Die Eröffnung fand mit Sondergenehmigung des Kantons statt, denn Covid-19 hat die Schweiz gelähmt. Ein Jahrhundertprojekt fällt mit einer Jahrhundertkrise zusammen. Aber Kessler kann auch dieser Situation etwas abgewinnen, wie er im Interview mit der «Handelszeitung» sagt.

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Herr Kessler, Sie waren eben erst in Asien. Wann sind die internationalen Touristen wieder in der Jungfrauregion?
Es wird noch einige Monate dauern. Aber ich spüre eine Aufbruchsstimmung und ich bin zuversichtlich, dass wir im April 2022 eine Rückkehr zum Beispiel der indischen Gäste erleben werden. Schwieriger wird es in anderen Märkten.

Die chinesischen Touristen dürften vor den Olympischen Spielen kaum zurückkommen.
Das ist so. Ich bin in engem Austausch mit der chinesischen Botschaft und mit unseren Leuten vor Ort. China wird in Zukunft der wichtigste Markt sein. Davon bin ich immer noch überzeugt. Aber er dürfte auch einer der letzten sein, der zurück zur Normalität findet.

Sie rechneten bislang für 2023 mit einer Normalisierung der Besucherströme auf dem Jungfraujoch. Bleiben Sie dabei – trotz Omikron?
Rund 80 Prozent der Fernmärkte dürften bis dahin zurück sein, prognostiziert das KOF. Daran hat sich nichts geändert. Und bei meinen Auslandreisen habe ich auch den Eindruck gehabt, dass ein grosser Nachholbedarf und ein gewisser Reisehunger bestehen. 2022 wird ein Übergangsjahr. 2023 aber wird mindestens an 2019 anknüpfen. Wir werden hoffentlich die Millionenmarke bei den Besuchern auf dem Jungfraujoch wieder egalisieren und unterm Strich ein Ergebnis wie 2019 erarbeiten. Das ist ganz klar unser Ziel. Das muss unser Ziel sein.

In der Zwischenzeit wollen Sie Fremdmittel amortisieren?
Richtig. Ich bin hier vielleicht etwas konservativ. Schuldenfreiheit gibt unternehmerische Freiheit. Das sehen viele anders, das weiss ich. Aber es ist mir persönlich sehr wichtig, die Unabhängigkeit und die unternehmerische Freiheit zu wahren. Wir haben nach wie vor eine Eigenkapitalquote von über 72 Prozent. Wir sind sehr solide finanziert und wir erzielen ein positives Ebitda. Das heisst, wir zahlen bereits Fremdkapital zurück.

Laut früheren Aussagen unterzeichnen Sie keinen Vertrag mehr, der länger als ein Jahr dauert. Stimmt das?
Naja, wer hat schon mit einer Krise dieser Grössenordnung gerechnet. Die Verträge, die wir haben, die halten wir natürlich ein. Aber in der Pandemie mussten wir auch ganz selbstkritisch über die Bücher und uns fragen, wo wir uns verbessern können. Zum Beispiel schliessen wir Sponsoring-Verträge nur noch für ein Jahr ab – mit Optionen.

Die Person

Kessler, Jahrgang 1962, ist seit 2008 CEO der Jungfraubahnen. Seit 1987 ist er im Betrieb. In den 90ern hat er als erster Schweizer Bergler ein Vertriebsnetz in Asien aufgebaut, Leute in China, Indien und Japan angestellt, um asiatische Gäste in die Schweizer Alpen zu locken. «Der Kessler spinnt», hiess es seinerzeit in der Branche. «Später haben wir mitunter von diesem Netz gelebt», sagt er heute. «Das war die Basis des Erfolgs.»

Ausbildung:

  • Kurs Unternehmensführung SKU
  • Eidg. dipl. Marketingleiter
  • Eidg. dipl. Marketingplaner
  • Ausbildung Verkaufstrainer
  • Höhere kaufm. Handelsschule
  • Betriebsdisponent

Weitere Tätigkeiten neben der Jungfraubahn:

  • Vorstand Handels- und Industrieverein des Kantons Bern
  • Vorstandsmitglied Interlaken Tourismus (TOI)
  • VR RAILplus
  • Verwaltungsrat BE! Tourismus AG
  • Verwaltungsrat öV Preis- und Vertriebssystemgesellschaft AG
  • Beirat SNB
  • VR Congress Centre Kursaal Interlaken AG

Ist Kurzarbeit noch ein Thema?
Aktuell in kleinerem Rahmen als auch schon. Aber am Anfang war es das Instrument, das uns am meisten geholfen hat. Im Frühling 2020 hatten wir zeitweise zwei Drittel der Mitarbeitenden in Kurzarbeit. Das sind über 600 Angestellte. Wie es jetzt Ende Februar weitergehen wird, wissen wir noch nicht. Das weiss auch der Kanton nicht und wird wahrscheinlich von der allgemeinen Corona-Situation abhängig sein.

Immerhin kam der Schnee in diesem Jahr relativ früh. Der Vorverkauf lief sicher gut.
Wir sind deutlich über Vorjahr, aber immer noch unter dem Wert von 2019. Momentan läuft vieles sehr kurzfristig. Aber ich hoffe auf eine gute Saison mit möglichst wenig Einschränkungen. Wir hoffen auf einheitliche Regeln ab Interlaken Ost bis aufs Jungfraujoch inklusive Skibetrieb. Eine andere Regelung im Wintersport zu haben als im öffentlichen Verkehr, ist schwierig in der Kommunikation. Die Schweizer verstehen das ja vielleicht, aber für Ausländer wird es nicht einfach, wenn sich nach der Hälfte der Zugfahrt die Regeln ändern. Ausserdem wäre es schwierig, flächendeckend zu kontrollieren. Stichproben lassen sich schnell und gut organisieren, eine Vollkontrolle dagegen bedeutet, dass 30 Mitarbeitende jeden Tag zusätzlich im Einsatz wären.

Sie sind ein ausgesprochener Impfbefürworter. Was halten Sie von Verschärfungen bei diesem Thema?
Ich habe immer gesagt: Die Durchimpfung der Bevölkerung ist der einzige Gamechanger. Wir haben unseren Angestellten die Impfung empfohlen und zusammen mit dem Spital Interlaken Termine gesucht. Das Interesse war gross. 90 Prozent unserer Leute sind geimpft, aber ich bin erst zufrieden, wenn wir bei 95 Prozent sind. Was die Verschärfungen angeht, bin ich der Meinung: Druck erzeugt Gegendruck. Ich suche bei uns intern das Gespräch und versuche die Mitarbeitenden oder Kaderleute von einer Impfung zu überzeugen.

Der Markt traut der Situation noch nicht. Die Aktie verliert auf Jahressicht. Glauben Sie an ein schnelles Comeback?
Ich bin jetzt 34 Jahre bei den Jungfraubahnen und habe einige Krisen erlebt. Eine solche noch nicht, klar, aber ich bin überzeugt, dass wir ein gutes Produkt haben. Mit der V-Bahn haben wir einen Quantensprung gemacht. Es ist ein Generationenprojekt und lässt uns gerade im Winter wieder in der Champions League spielen. Und das wird sich auszahlen. Wenn sich die Fernmärkte erholen, sind wir gut positioniert, spätestens dann wird auch der Aktienkurs anziehen.

Stehen Sie mit eigenem Geld für diese Aussage?
Ja. Ich habe über 40’000 Aktien und alleine in diesem Jahr rund 2000 Titel privat gekauft. Rund einen Drittel aller Jungfraubahn-Aktien, die ich besitze, habe ich auf dem Markt erworben, der Rest stammt aus Beteiligungspaketen. Es ist ein Klumpenrisiko. Mein Bankberater sagt mir immer, ich solle diversifizieren, aber hier weiss ich, was passiert. Hier kann ich direkten Einfluss aufs Geschäft nehmen. Und ich glaube wirklich an das Produkt.

Als Aktionär mussten Sie zuletzt einen Dividendenverzicht hinnehmen. Wie sieht es im nächsten Jahr aus?
Der Entscheid obliegt dem Verwaltungsrat und ist noch nicht gefallen. Ich muss zugeben: Ab und zu kriege ich eine Mail von einem Aktionär mit dieser Frage. Und ja, ich bin auch selbst betroffen. Aber der Verzicht in den letzten beiden Jahren ging einher mit der Realisation der V-Bahn und der Pandemie. Ich bin froh, dass wir in unsere Infrastruktur und somit den Wert der Unternehmung investiert und in den Rekordjahren nicht einfach die Dividende hochgeschraubt haben. Das ist eine gute Basis für die Jahre nach Corona.

Dieser Artikel erschien erstmals am 20. Dezember 2021. 

Jungfrau-Bahn-Aktie

Berg- und Talfahrt: Die Aktie der Jungfraubahn stieg vor Corona in der Spitze auf bis zu annähernd 180 Franken – dann kam der grosse Fall im März 2020. Mehr hier bei Cash.ch.

Quelle: cash.ch