Sanika tippt im Strassenlokal auf einen Bildschirm und wählt einen «Black Coffee». Abhishek sitzt auf einer schattigen Terrasse und wartet auf seinen Mocha. Sajeetha beugt sich über ihren Tisch und fotografiert ihren Latte.

Drei Dinge haben die 21-jährige Grafikdesignerin, der 27-jährige Vermögensverwalter und die 45-jährige Managerin gemeinsam: Sie leben in der südindischen IT-Metropole Bengaluru, gehören zur gut ausgebildeten Mittelschicht und - sie trinken Kaffee. Und damit gehören sie in Indien zu einer wachsenden Minderheit.

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Denn in der traditionellen Tee-Nation greifen immer mehr Menschen zu Kaffee. Der Marktforscher Custom Market Insights sagt dem indischen Kaffeemarkt bis 2032 einen Umsatz von umgerechnet 1,12 Milliarden Franken voraus, bei zuletzt knapp einer halben Milliarde.

Nestlé dominiert indischen Kaffeemarkt

Um diesen Markt kämpfen internationale Kaffeegiganten ebenso wie lokale Röster. Nestlé stellte seine Strategie Ende Januar auf einer Pressereise in die südindische Kaffeeregion Karnataka vor.

Noch sei das grosse Geschäft mit Kaffee in Indien, wo Nestlé seit 1912 aktiv ist, zwar ausgeblieben, sagten die anwesenden Manager. Die breite Bevölkerung trinke nach wie vor Chai, also gesüssten Schwarztee mit Milch und Gewürzen.

Aber: «Das Kaffeegeschäft ist in den vergangenen sechs Monaten um fast 20 Prozent gewachsen», sagte Nestlé-Indien-Chef Suresh Narayanan. Damit dominiert Nescafé laut dem Marktforscher Nielsen derzeit über die Hälfte des indischen Kaffeemarkts.

Fokus auf Studierende und Berufstätige

Als Zielgruppe definiert der grösste Kaffeeröster der Welt Studierende und Berufstätige. Einer von ihnen ist der 27-jährige Abhishek, der in Bengaluru Wirtschaft studiert hat. Seine Freunde interessieren sich immer mehr für Kaffee.

«Einige haben sich sogar eine kleine Kaffeemühle gekauft», erzählt er, während er in einem Café auf seinen Brunch wartet. Er selbst trinke zuhause löslichen Kaffee.

Nicht viele können sich Kaffee ausser Haus leisten: Ein schwarzer Kaffee kostet im Schnitt umgerechnet 2,60 Franken, während es den Tee am Strassenrand bereits für 10 Rappen gibt. Nestlé setzt daher auf den Nescafé-Konsum zuhause. Das sei wie beim Essen, sagte ein Manager: Man esse auswärts Ramen und zuhause Instant-Noodles.

Indische Kaffeebauern vergleichsweise gut gestellt

Vom Kaffee-Boom profitieren laut Nestlé auch die Kaffeebauern. Diese verdienen in Indien gemäss Branchenkennern deutlich mehr als etwa Tee- oder Tomatenbauern.

Auch die Pflückerinnen und Pflücker erhalten in der Regel mehr als andere Erntehelfer. Je nach Anzahl Kaffeekirschen bis zu 13,60 Franken pro Tag, bei einem Mindestlohn von 4,50 Franken in der Region.

Zudem gilt der Kaffeeanbau in Indien als besonders nachhaltig, weil der Kaffee im Schatten wächst, zum Beispiel unter Pfefferbäumen. Die Kaffeepflanzen, die viel Wasser brauchen, sind so besser vor Hitze geschützt.

Klimawandel schmälert Ernte

Das ist vor allem relevant, weil der Klimawandel zuletzt vielerorts die Ernten verdorben hat - unter anderem in den grössten Kaffeenationen Brasilien und Vietnam. Die Handelspreise für Kaffee schossen daraufhin in die Höhe.

«Viele Kaffeeländer produzieren heute weniger Kaffee als früher», sagt Marcelo Burity, der bei Nestlé für nachhaltigen Kaffee zuständig ist. «Wenn sich die Pflanzen nicht an die neuen klimatischen Bedingungen anpassen, könnten die Anbauflächen langfristig stark zurückgehen.»

Die weltweit 12,5 Millionen Kleinbauern müssen also produktiver werden. Einige von ihnen betreut Nestlé in einem Nachhaltigkeitsprogramm, das Schulungen und Bodenanalysen umfasst.

NGOs fordern existenzsichernde Einkommen

Für NGOs reicht das nicht. «Die Unternehmen müssen weg von Einzelprojekten und hin zu branchenweiten Lösungen», fordert Public-Eye-Landwirtschaftsexpertin Carla Hoinkes.

Wichtig seien vor allem existenzsichernde Einkommen. Denn die Branche habe in den vergangenen Jahren oft Einkommen gezahlt, die kaum die Produktionskosten deckten.

Zu diesem Schluss kommen auch andere internationale Berichte. Sjoerd Panhuysen, Co-Autor der Langzeitstudie «Coffee Barometer», fasst zusammen: «Armut, Klimawandel und die Konzentration auf eine Handvoll Kaffeeländer sind ein Cocktail, der das Gegenteil einer nachhaltigen Basis ist.»

Kaffee wie Wein behandeln

Auch wenn sich Nestlé als Weltmarktführer überdurchschnittlich um Nachhaltigkeit bemühe, liege das Grundproblem darin, dass die Kaffeeproduzenten jahrelang die Erwartung geweckt hätten, dass Kaffee billig und jederzeit verfügbar sei, sagt Panhuysen.

Seiner Meinung nach sollte man Kaffee wie Wein behandeln: «Dann würde man sich automatisch dafür interessieren, wo die Bohnen herkommen.»

In Indien scheint dies zumindest in den lokalen Cafés gelebt zu werden. Dort werben Röstereien mit Bohnen von südindischen Farmen und servieren Getränkevarianten in Probiergrössen. Denn noch ist Kaffee in Indien keine Selbstverständlichkeit.