Vor kurzem hat sich Martin Wartmann Frust von der Seele geschrieben. Der gelegentlich etwas grantelnde Grandseigneur des Schweizer Biers – Wartmann hat einst das Ittinger erfunden und führt heute die Klosterbrauerei Pilgrim – fragte sich, weshalb es so schleppend vorwärtsgehe mit der Craft-Beer-Bewegung. In den USA mache Craft Beer mittlerweile 27 Prozent des Marktes aus. In der Schweiz dagegen dümple dieses Bier bei «1 bis 2 Prozent herum».

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Mal davon abgesehen, dass Wartmann den Anteil wohl etwas unterschätzt, trifft der Ostschweizer einen Punkt. Jahrzehnte nach dem Fall des Bierkartells beherrschen – trotz mehr als tausend Brauereien – noch immer Grosskonzerne und frühere Kartellbrauereien den Schweizer Markt. Kraft statt Craft.

Doch was heisst eigentlich Craft? Wörtlich bedeutet es nichts anderes als handwerkliches Bier, das sich von der industriellen Produktion abheben soll. Doch da hakt es schon. Was in der Schweiz als Grossbrauerei gilt, ginge in den USA wohl als kleine Regionalbrauerei durch. Craft-Brauerei Feldschlösschen? Eher nicht. Andere argumentieren, das Craft-Label verlange nach Unabhängigkeit. Aber was ist mit kleinen Brauereien, die von Grosskonzernen gekauft werden? Arbeitet die Feldschlösschen-Tochter Valaisanne weniger handwerklich als der deutlich grössere Familienbetrieb Locher in Appenzell?

Oder ist es die Geisteshaltung, die Craft ausmacht? Aufwendig zu brauen, statt den einfachen Weg zu nehmen. Auch mal mit Konventionen zu brechen. Was ist mit den sogenannten Gypsy-Brewern, die keine eigene Brauerei besitzen und ihre oft eigenwilligen Rezepte bei etablierten Brauereien umsetzen lassen? Ist das Craft, egal, wo gebraut wird?

Wichtiger als eine Klassifizierung wäre, was Wartmann auch fordert: Bewusstsein für Bier zu fördern. Zu unterscheiden. Fragen Sie nach dem Bierangebot, bevor Sie in der Beiz «eine Stange» bestellen. Lassen Sie sich das Angebot erklären. Und wagen Sie auch mal eine unsichere Wahl. Ob Craft oder Kommerz: Nichts ist schlimmer, als immer das Gleiche zu trinken.

Typisch: Tessiner Eigensinn

Fruchtig und wuchtig: Das Marilyn der Tessiner Brauerei Officina della Birra

Die Tessiner Officina della Birra fällt immer wieder durch eigenwillige Biere auf. Das «Seductive Imperial Pils», das in der Schweiz eigentlich gar nicht so heissen dürfte, riecht erst klassisch nach Pilsner, wird im Mund dann aber lieblich und weich. Dezent lassen sich Passionsfrucht und Kaffirlimetten erahnen. Später melden sich die 8 Prozent Alkohol, und am Ende bleibt im Gaumen eine feine, aber deutliche Bittere hängen.

Marilyn Officina della Birra, Bioggo TI. Untergäriges Fruchtbier, 8% vol. Alk., 33 cl für ca. 7 Franken.

In dieser Kolumne schreiben der «Handelszeitung»-Redaktor Michael Heim und Autor Ben Müller alternierend einmal im Monat über Bier und Wein. Heim selbst ist an einer Vereinsbrauerei beteiligt.