Vor einem Jahr stiess er von Apple zur Kering-Gruppe, der die Marken Gucci, Yves Saint-Laurent, Boucheron und Bottega Veneta gehören. Patrick Pruniaux sollte deren Schweizer Uhrenmarke Ulysse Nardin auf Vordermann bringen. Nun ist er zusätzlich zum Leiter der Luxusuhrenmanufaktur Girard-Perregaux aus La Chaux-de-Fonds NE ernannt woden. Er wird nun die Entwicklung der beiden Marken beschleunigen.

Im kürzlich erschienenen Interview mit «Les Temps» zieht Pruniaux Vergleiche zwischen seinem früheren Arbeitgeber Apple und der lokalen Uhrenmarke Ulysse Nardin. Als er in Le Locle ankam, riss er gleich Mauern ein. Nicht nur sprichwörtlich: In der historischen Zentrale der Uhrenmarke, die mehrere Gebäude unterschiedlichen Alters zu einem Labyrinth vereint, liess der neue Chef die Mauern abbauen, um die Teams einander näher zu bringen. Silicon-Valley-Atmosphäre, sozusagen.

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Direkt aus Kalifornien

Denn der 46-jährige Pruniaux kommt direkt aus Kalifornien. Der ehemalige Mitarbeiter von TAG Heuer stiess 2014 zum Apple-Team «Special Projects» in Cupertino, um an der Lancierung der Apple Watch zu arbeiten. Anschliessend steuerte er den britischen Apple-Markt.

Der französische Luxuskonzern Kering beauftragte ihn Mitte 2017 mit dem Neuaufbau von Ulysse Nardin, einer Marke, die 400 Mitarbeiter beschäftigt, davon rund 300 an den zwei Hauptstandorten La Chaux-de-Fonds NE und Le Locle NE.

«Die Arbeit besteht primär darin, zu bestimmen, was wir beschleunigen wollen.»

Patrick Pruniaux

Wie hat Kering Sie überzeugt, nach Le Locle zurückzukehren? Welches Projekt wurde Ihnen vorgeschlagen?
Patrick Pruniaux: Es gab kein Projekt. Sie erklärten mir natürlich meine Aufgabe, aber für den Rest liessen sie mich meine eigene Roadmap erstellen. Ich konzentriere mich auf drei Ebenen: die alltägliche Geschäftsführung, die Initiierung von Strukturveränderungen – etwa um zur Konkurrenz aufzuholen – und das Entdecken neuer Bereiche. In den ersten beiden Fällen liegen meine Bezugspunkte in der Uhrenindustrie. Im letzten nehme ich die allgemeine Welt des Konsums als Referenz.

Kering hat Ihnen nicht mal finanzielle Ziele gesetzt? Zum Beispiel die Rückkehr in die Gewinnzone?
Da Ulysse Nardin zu einer börsennotierten Gruppe gehört, kann ich keine Informationen über die finanzielle Gesundheit der Marke geben. Ich kann Ihnen sagen, dass mit Albert Bensoussan, dem Leiter der Uhren- und Schmuckabteilung bei Kering, viel diskutiert wurde und ich mich gerne an das Wort «Beschleunigung» erinnere. Man muss verstehen, dass zwischen 80 und 90 Prozent der Marke bereits gut funktioniert. Wir können nur 10 Prozent ändern. Die Arbeit besteht primär darin, zu bestimmen, was wir beschleunigen wollen.

Patrick Pruniaux

Seit September 2017 ist Patrick Pruniaux Chief Executive Officer von Ulysse Nardin. Der 46-Jährige machte seinen MBA-Abschluss an der HEC Paris und der London Business School. 2005 wurde er International Export Director bei Tag Heuer, später stieg er zum Vice President of Global Sales & Retail auf. Bekanntheit auch ausserhalb der Uhrenszene erlangte er, als er 2014 von TAG Heuer zu Apple wechselte. Den amerikanischen Techriesen unterstützte er bei der Markteinführung und Verkaufsförderung der Apple Watch. Im Jahr 2015 wurde er zum Managing Director für Grossbritannien und Irland befördert und war ausserdem Mitglied des Apple EMEA Executive Committee. 

 

 

 

Patrick Pruniaux
Quelle: Getty Images Europe

Was zum Beispiel? Den Online-Verkauf?
Wir verkaufen bereits online über die Plattform Farfetch.com. Auf unserer eigenen Website ist das noch nicht der Fall, aber ich habe bereits etwas geändert: Eine meiner ersten Entscheidungen war es, die Preise unserer Uhren anzugeben. Dasselbe gilt für alle unsere Werbebilder. Es gibt keinen Grund, die Preise zu verstecken.

Ganz allgemein, was sind die Unterschiede zwischen Apple und Ulysse Nardin?
Zuerst die Grösse. Bei Apple leitete ich einen der fünf wichtigsten Märkte der Welt, der, wie Sie sich vorstellen können, einen Grossteil aller Schweizer Uhrenexporte ausmacht. Dann ist Apple in einer sehr, sehr schnellen Branche mit einem grossen Unterschied zwischen einer langen Entwicklungszeit und einer schnellen Zeit der Vermarktung. In der Uhrenindustrie ist die Vermarktung langsamer. Ein weiterer Unterschied ist der Informationsstand. Apples Datenmenge über das Kauf- und Nutzerverhalten ist unbegrenzt. In der Uhrmacherei ist der Kundenpool so klein, dass sich solche Studien kaum lohnen – umso wichtiger sind die Beziehungen zu unseren Händlern, die eine enge Beziehung zum Endkunden pflegen. Noch etwas: Bei Apple ist der Verkauf nicht so wichtig, was zählt ist die Verwendung des Produkts, die Optimierung, die der Nutzen damit erzielen kann. Traditionelle Uhrmacher sind seit langem damit zufrieden, ihre Produkte einfach nur getragen zu sehen.

Haben Sie nicht den Eindruck, dass Schweizer Uhrmacher in einer Welt leben, in der Intuition wichtiger ist als strategische Berechnungen?
Diesen Eindruck habe ich schon lange. Denn der grösste Erfolge erzielt man dank Einschätzungen. Aber das könnte sich ändern. Ich denke, wie bei vielen Dingen ist die Balance zwischen beidem ein Erfolgsfaktor.

«Ich mag diese Berge und ich denke, dass wir dort gut arbeiten und uns besser auf unsere Arbeit konzentrieren können.»

Patrick Pruniaux

Gab es nicht einen gewissen Kulturschock auf dem Weg von Apple über London bis zu Ulysses Nardin in Le Locle?
Ehrlich gesagt war der Schock eher gering. Denn als ich für TAG Heuer in Marin und dann in La Chaux-de-Fonds arbeitete, kannte ich die Region bereits gut. Als ich von London nach Le Locle wechselte, wusste ich, was mich erwartet. Ich mag diese Berge und ich denke, dass wir dort gut arbeiten und uns besser auf unsere Arbeit konzentrieren können. Ausserdem bin ich seit meinem Amtsantritt im September letzten Jahres mehr als die Hälfte meiner Zeit unterwegs gewesen. Letzte Woche in Moskau, nächste Woche in New York.... Also fühle ich mich privilegiert, weil ich das Beste aus beiden Welten habe.

Verbringen Sie viel Zeit auf den Märkten?
Ich erinnere Sie daran, dass ich meine Karriere mit dem Verkauf von Bier in afrikanischen Bars begann – es gab keinen Strom, und ich lief mit meinem eigenen Generator herum.... Was ich damit sagen will, ich bleibe gerne auf dem Boden. Ulysse Nardin hat nur einen eigenen Laden [Anmerkung der Redaktion: in Moskau] und arbeitet ansonsten nur mit Drittanbietern oder Franchiseboutiquen zusammen. Ich ersetze nicht meine Vertriebsleiter, aber ich finde es wichtig, diese Partner zu treffen. Dies umso mehr, als es die Möglichkeit gibt, an Verkäufen teilzunehmen, was in der gehobenen Uhrmacherkunst eher selten ist. Wir erfahren so, warum der Kunde da ist, was seine Agenda ist, was seine Lieblingsmarke ist oder welches Produkt er begehrt.... Wir sehen so, wie bei einem Kunden die Idee, eine Ulysse Nardin zu kaufen, heranreift, was sehr wichtig ist.

Was haben Sie aus dieser Erfahrung gelernt?
Ich war kürzlich bei drei Verkäufen dabei. Besonders angenehm überrascht hat mich die Tatsache, dass diese Kunden Millennials waren.

Ulysse Nardin

Die Uhren von Ulysse Nardin werden in der Manufaktur in Le Locle NE hergestellt.

Quelle: ZVG

Ulysse Nardin ist in der Öffentlichkeit relativ unbekannt. Ist das eine Sorge für Sie? Und was ist mit der sehr diskreten Präsenz in China?
Es ist tatsächlich eine Marke, die bei Kennern sehr bekannt ist, aber in der allgemeinen Bevölkerung nur einen durchschnittlichen Bekanntheitsgrad hat. Wir werden das ändern. Und für China gilg: Wir können nicht mehr behaupten, eine globale Marke zu sein, wenn wir uns nicht dafür interessieren. Dennoch würde ich nicht von einem Land sprechen, sondern von Bevölkerungen, von Städten. Das Konsumverhalten in New York, Paris oder Shanghai ist ähnlicher als zwischen Paris und Toulouse.

Aber «Ulysses Nardin» auf Mandarin auszusprechen ist nicht einfach....
Sie haben den Finger auf eine wunde Stelle gelegt. Wir haben uns diese Frage gestellt, sind aber zum Schluss gekommen, dass das kein Hindernis ist. Unsere grosse Chance ist es, die Farbe Blau und den Anker als Logo zu haben. Dies umso mehr, weil die Initialen UN bereits oft benutzt werden. Heute ist es unsere Aufgabe, über Produkte und Kollektionen nachzudenken. Wir arbeiten hart daran, unsere Bestseller-Referenzen weiter auszubauen.

Und die Preissegmente? Werden Sie dem allgemeineren Trend der Branche folgen und Preise senken?
Nein, unsere Preispositionierung bleibt unverändert. Wir sind in drei Segmenten präsent. Das Einstiegssegment (von 6'000 bis 12'000 Franken, bei dem wir eine Stärkung erwarten), das mittlere Segment (von 12'000 bis 30'000 Franken, die zeitgenössische Uhrmacherei, in der Ulysse Nardin eine Rolle spielen muss) und die Haute Horlogerie, die uns weiterhin Spass macht.

Nach unseren Schätzungen ist ein Grossteil (80 Prozent) der von Ihnen verkauften Uhren mit selbst gefertigten Kalibern ausgestattet, aber Sie kaufen immer noch Werke von Dritten (z.B. bei der Swatch Group). Sie verkaufen eine Diver-Uhr für 7000 Franken, während ihr Kaliber eine ETA 2892 ist, die etwa 150 Franken kostet. Wie rechtfertigen Sie das?
Sie weisen auf eine Ausnahme hin, denn die meisten unserer Uhren werden komplett in unserem Hause entwickelt und gefertigt. Wenn wir Werke von Drittanbietern verwenden, nehmen wir wesentliche Änderungen vor, die den Wert für unsere Kunden erhöhen und es uns ermöglichen, eine fünfjährige Garantie auf unsere Uhren anzubieten, die uns von unseren Mitbewerbern unterscheidet. Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass unsere Diver-Modelle zunehmend mit selbst gefertigten Kalibern ausgestattet sind.

Das Interview erschien zuerst auf französisch bei «Les Temps» unter dem Titel «Patrick Pruniaux: 'Ulysse Nardin doit encore accélérer'».