Auch ein Stehaufmännchen verliert irgendwann an Schwung. Der Weg zurück in die aufrechte Ausgangsposition wird dann immer beschwerlicher. Ähnlich ergeht es gerade Audi-Chef Rupert Stadler.
Seit Bekanntwerden des Dieselskandals, der den VW-Konzern und seine Ingolstädter Tochter in den Grundfesten erschüttert hat, überstand der Bayer unbeschadet viel Gegenwind. Doch nach mehr als einem Jahr mit immer mehr Ärger und Kritik hinter den Kulissen bröckelt laut Firmenkennern der Rückhalt für den langjährigen Audi-Chef. Stadler habe durch die Abgasaffäre nun «doch einen Fleck auf der Weste», sagt ein Insider. Hinter vorgehaltener Hand ist inzwischen immer öfter von «politischer Verantwortung» die Rede.
USA-Lösung kein Befreiungsschlag
Die Einigung, die gerade mit den US-Behörden zu den von Audi entwickelten grossen Motoren mit Schummelsoftware erzielt worden ist, nimmt zwar Druck von Stadler. Doch als Befreiungsschlag werten Insider die Lösung in den USA nicht. Denn der Deal sei federführend von VW verhandelt worden, und dem Audi-Chef nur begrenzt zuzurechnen. Wenn das leidige Thema vom Tisch ist, kann sich Stadler wieder voll auf das Auto-Geschäft konzentrieren, das zuletzt Bremsspuren aufwies. Zudem muss er Ruhe in seinen aufgewühlten Betrieb bringen und am ramponierten Ruf arbeiten.
Mit einem raschen Aus für Stadler rechnen Konzernkenner nicht. «Es gibt derzeit keinen Anlass, warum er nicht weitermachen sollte», meint ein einflussreicher Insider. Konkrete Anschuldigungen gegen den 53-Jährigen gebe es nach wie vor nicht, sagen mehrere mit der Situation vertraute Personen. In einem Pressebericht wurde kürzlich spekuliert, dass in Wolfsburg schon über mögliche Stadler-Nachfolger gesprochen werde. VW wies dies umgehend zurück.
Negativ-Schlagzeilen häufen sich
In den vergangenen Monaten hatten sich die Negativ-Schlagzeilen über Audi gehäuft - oft warfen sie ein schlechtes Licht auf Stadler. Vor einem Jahr etwa hatte VW noch kategorisch zurückgewiesen, dass auch die grossen, in Ingolstadt entwickelten 3,0-Liter-Motoren eine Schummelsoftware zur Manipulation von Abgaswerten enthielten. Kurz darauf musste Audi eingestehen, dass es sich nach US-Recht eben doch um eine illegale Abschalteinrichtung handelt. Anschliessend hatte der Aufsichtsrat viele unangenehme Fragen an Stadler.
Kurz vor dem Scherbengericht wurde durchgestochen, dass der Audi-Chef für drei Privatstiftungen der Familie Piech tätig ist, die gemeinsam mit dem Porsche-Clan die Mehrheit an VW besitzt. In Wolfsburg war die Verärgerung gross. Stadler gilt als Zögling des früheren Konzernpatriarchen Ferdinand Piech und leitete dessen Büro, bevor er Audi-Finanzvorstand wurde und anschliessend - bei VW ungewöhnlich für einen Betriebswirt - in Ingolstadt ans Ruder kam.
Schon lange ist der Oberklasse-Hersteller Ertragsperle, Technik- und Kaderschmiede im VW-Konzern zugleich. Im Dreikampf um die Krone im Premiumsegment überrundete Audi zeitweise Mercedes und kam Platzhirsch BMW gefährlich nah. Zuletzt fielen die Ingolstädter zurück, auch wegen der teuren Folgen der Dieselaffäre.
«Audianer» durch und durch
Die Stärke der Vier-Ringe-Marke war in der Vergangenheit immer ein Pfund, mit dem der Audi-Chef wuchern konnte. Er führt den Autobauer seit 2007 von Rekord zu Rekord. Stadler gilt als «Audianer» durch und durch, als bescheiden, bodenständig und in der Region verwurzelt. Vom grossen Rückhalt in Ingolstadt profitierte er, als Audi die Verstrickung in den Dieselskandal einräumen musste. Vor den Kontrolleuren machte Stadler Insidern zufolge eine gute Figur und kündigte an, «für volle Transparenz» im Abgasskandal zu sorgen.
Was folgte waren immer neue Berichte und Details - häppchenweise statt in einem Schwung, über die Presse statt intern, wie Insider kritisieren. Für Wirbel sorgten zudem Berichte über Partykosten, die Stadler zurückzahlen musste, oder über seine Befragung durch die Anwaltskanzlei Jones Day.
Der Abgang des Entwicklungsvorstands wegen Ungereimtheiten in der Dieselaffäre brachte den Audi-Chef im Spätsommer erneut unter Druck. Kürzlich tauchten dann neue Details über eine weitere Schummelsoftware auf, die den CO2-Ausstoss bei Tests verringern soll. Die internen Ermittler setzten eine weitere Befragung Stadlers an.
«Die Leute erwarten Konsequenzen»
Mit Blick auf die vielen Vorwürfe sagt ein Konzerninsider, Audi habe erstaunlich lange keinen Imageschaden erlitten. «Es ist alles bei VW eingeschlagen.» Dabei seien wichtige Akteure zu der Zeit, als die illegalen Abschalteinrichtungen ausbaldowert wurden, in Ingolstadt gewesen. An der Audi-Führungsspitze sei bisher kaum jemand zur Verantwortung gezogen worden - anders als bei VW. «Die Leute erwarten, dass es auch da mal Konsequenzen gibt.»
(reuters/ccr)