Chefermittlerin Gabriele Hamberger, eine grazile Frau von 40 Jahren, hatte lange auf diesen Tag gewartet. Am 5. März 2014, einem Mittwoch, wurden ihr zwei unscheinbare USB-Sticks übergeben. Der Zugriff war mit einem Passwort gesichert. 256 Megabyte waren es, ausschliesslich PDF-Dokumente, aufgeteilt auf drei Dateiordner: «FX Geschäfte», «Konto 4028001» und «Konto 4028002». 70'000 Seiten, die lange ersehnten Unterlagen der Bank Vontobel über 52'000 Transaktionen des Kunden Uli Hoeness. Steuerfahnderin Hamberger hatte mit ihrem Team nur noch sechs Arbeitstage bis zum Prozessbeginn. Sie hatte keine Chance, das Material angemessen zu untersuchen.
Der Ausgang des Prozesses ist bekannt. Doch viele Fragen blieben unbeantwortet. Wie konnte Uli Hoeness, der in Zürich wie in München praktisch von jedem Fussballfan auf Anhieb erkannt wird, unerkannt 35 Jahre lang in gewaltigen Dimensionen Steuern hinterziehen? Woher kommt das viele Geld? Wie konnte der Privatkunde innerhalb vieler Jahre Zehntausende von Transaktionen anordnen, dabei zocken bis zum Umfallen? Wie ging die Bank mit ihrem wundersamen Trader um, der zum wichtigsten Kunden im Devisenhandel aufstieg? Wer verantwortete die täglichen Multimillionendeals?
Uli, der Zauberer
Ein Teil der Antworten schlummert in den Aktengestellen von Steuerfahnderin Hamberger. Ein weiterer Teil der Story lässt sich mithilfe von Zeitzeugen und Eingeweihten rekonstruieren. Denn Hoeness war nicht irgendein Promi-Kunde – er galt am Zürcher Bankenplatz als der berühmteste deutsche Trader schlechthin. Uli, der Zauberer, war das kleine Geheimnis, das von den Händlern an vielen Mittagstischen rund um den Paradeplatz ausgeplaudert wurde.
Uli Hoeness war zu den zarten Anfängen seiner Vermögensbildung 23 Jahre alt und seit einem Jahr Fussballweltmeister. Es war 1975, als er in Zürich sein erstes Konto bei der Bank Vontobel einrichtete. Der WM-Titel hatte ihm eine Spielerprämie von 60'000 D-Mark eingebracht. Das war nicht viel, eigentlich nichts für eine Privatbank. Aber Hoeness war ein monetärer Hoffnungsträger.
Und er war pfiffig. 1978 erreichte er einen ersten Sponsorenvertrag für seinen Klub, den FC Bayern München. Schon bald, im Mai 1979, rückte er ins Management des Vereins auf, der damals zwölf Millionen Mark Umsatz machte. Hoeness wurde mit 27 Jahren der jüngste Manager in der Geschichte des deutschen Fussballs.
Kein Papierkram in der Schweiz
Die Regeln im Swiss Banking waren locker. Ein Konto wurde ohne nennenswerten Papierkram eingerichtet, Telefon und Telex waren die vorherrschenden Kommunikationsmittel. Bei der Bank Vontobel wurde Hoeness bald unter die Fittiche des inzwischen verstorbenen Händlers Dieter Loewe genommen, wie heute zwei Insider übereinstimmend berichten.
Loewe war Chef des Devisen- und Edelmetallhandels, er reüssierte als Anlagechef. Im Tagesgeschäft konnte Loewe auf zwei aufstrebende Händler zählen: auf Manfred Welser und den noch jungen Jürg Hügli, beide zuständig für Devisen, «Forex» auf Bankerdeutsch, abgekürzt FX. Beide hatten mit Hoeness zu tun, aber es war der ruhig und besonnen wirkende Hügli, der zum Schlüsselmann für den Kunden aufstieg. Während Welser bald andere Wege ging, blieb Hügli, wurde 1990 Direktor und stieg ins Spitzenmanagement auf. Seinen Wohnsitz bezog er in einer Zürichseegemeinde, ganz in der Nähe der Villa Loewe.
Stolz auf den Star-Kunden
Ende der 90er-Jahre wurde Hügli Rundumbetreuer von Hoeness, der zu diesem Zeitpunkt schon als Forex-Profi galt. Nahezu täglich telefonierten der Mountainbiker und der Ex-Fussballer miteinander.
Hügli wurde zum Freund, wie Hoeness aussagte. Seniorhändler Loewe hatte eine neue Wohnung in Monaco bezogen, aber zum Business-Lunch kam er gern nach Zürich. Den Kollegen erzählte er stolz von seinem Kunden Hoeness.
2001 trafen auf dem Hoeness-Konto fünf Millionen Schweizer Franken von der BNP Paribas ein, die er später mit einer Leihgabe des verstorbenen Freundes Robert Louis-Dreyfus erklärte. Diese Zahlung bestätigte am Freitag auch die Staatsanwaltschaft München II. Demnach soll Dreyfus eine zusätzliche Bürgschaft in Höhe von 15 Millionen Euro abgegeben haben. Ausser Hoeness' eigenen Mitteln in Höhe von 11,2 Millionen Euro soll es keine andere Zuflüsse gegeben haben. Experten halten es durchaus für möglich, mit einem Startkapital von insgesamt 31,2 Millionen Euro dreistellige Millionengewinne zu erzielen. Laut Staatsanwaltschaft hätten die Geschäfte, die Hoeness tätigte, eine sehr hohe Hebelwirkung gehabt.
Riesiges Handelsvolumen
Im Herbst des folgenden Jahres begann bei Vontobel eine neue Zeit. Der Deutsch-Banker Herbert Scheidt wurde zum CEO ernannt, und Zeno Staub, heute CEO, wurde Finanzchef. Scheidt war ein galanter Repräsentant, weltgewandt, geübt auf dem sozialen Parkett, ein Menschenfänger. Staub war ein fulminanter Rechner, hochintelligent, aber kein Mann für Kundenpartys. Scheidt stellte als neuen Chef für das Investment-Banking einen Mann der Zürcher Sal. Oppenheim ein, den Händler Eugen Brenner.
Hochfrequenzkunde Hoeness drehte an einem immer grösseren Rad, er setzte in Termingeschäften und mit Tagesdeals oftmals dreistellige Millionenbeträge ein. Er musste dafür über hohe Eigenmittel verfügen, die als Sicherheit in einem Depot lagen.
Hoeness wurde zu einem der wichtigsten Privatkunden. Seine Handelsvolumen bedeuteten für die Bank gegenüber den Gegenparteien so hohe Risiken, dass sie im Kreditausschuss beobachtet und bewilligt werden mussten. 2003 erwirtschaftete Hoeness auf den Vontobel-Konten 52 Millionen Euro Gewinn. 2005 wurde noch besser: In der Jahresabrechnung sah er einen Gewinn von 78 Millionen Euro. Das Jahr war auch für die Devisenabteilung ein geschäftlicher Höhepunkt. Hoeness blieb beim Prinzip «Execution only», das für jede Order einen persönlichen Kundenauftrag verlangt. Anders als er vor Gericht behauptete, musste er also am Telefon jede Order durchgeben.
Zehn Aufträge am Tag
Händler Hügli nahm oft zehn Aufträge am Tag entgegen, jeder davon bedeutete einen Kauf und einen Verkauf. So summierte sich die Zahl der Transaktionen während einer Dekade auf 52'000. Auf einzelne Währungspaare setzte Hoeness Summen von 40, 50 oder gar 160 Millionen. Deals in dieser Grösse liefen nicht online ab, sondern die Händler mussten sie persönlich am Telefon mit ihren Gegenparteien auslösen. Allein an einem Tag waren es zum Beispiel 110 Millionen Euro gegen Dollar oder 190 Millionen Yen gegen Dollar und so fort. Insgesamt sieben Deals hatte er an diesem Tag offen – im Gesamtvolumen von 450 Millionen Franken plus 190 Millionen Euro. Und nebenbei machte Hoeness noch Geschäfte mit Aktien, Wertpapieranleihen oder Leerverkäufen.
Die Vontobel-Banker waren stolz auf ihren Promi-Trader. Als Hoeness' Steuerberater Günter Ache zum ersten Mal den Betrag von 155 Millionen Franken auf dem Kontoauszug sah, so sagte er später aus, habe er gedacht, es handle sich um gehebeltes Transaktionsvermögen. Nein, es war echtes Vermögen. Vermutlich waren die Depots noch voller, weil er zeitweise auf Sicherheiten von 200 Millionen Euro zurückgreifen konnte. Woher das Geld kam, bleibt weiterhin unklar.
Unruhe innerhalb der Bank
Am 17. Dezember 2008 schloss die Bank ein Termingeschäft von Hoeness, das aus dem Ruder zu laufen drohte. 18 Millionen Franken Verlust musste er auf einen Schlag realisieren. Die Höhe des Verlustes deutet auf ein Geschäftsvolumen eines hohen dreistelligen Millionenbetrages hin, weil diese Deals oft mit zehnfachem Hebel betrieben wurden.
Mit jeder Transaktion, ob mit Verlust oder Gewinn, flossen Gebühren in die Vontobel-Kasse, insgesamt viele Millionen. Doch innerhalb der Bank kam Unruhe auf. Vielleicht weil einige Fachleute nicht verstanden, wie man im Devisengeschäft solche Gewinne machen kann. Denn das gelingt dauerhaft nicht einmal den besten Hedgefonds mit grossen Research-Teams. Auch weil die Kollegen im Private Banking ein Auge auf das lukrative Vermögensdepot warfen, das ebenfalls im Investment-Banking angesiedelt war. Schliesslich hing die Höhe ihres Bonus von den Gebühreneinnahmen ab.
Keine Überführung ins Wealth Management
Und sie hatten ein gutes Argument: Solche Kunden sollten aus Compliance-Gründen im Wealth Management betreut werden, wo strengere Regeln gelten. Dort nimmt der Kundenbetreuer die Aufträge entgegen und gibt sie an die Händler weiter. Dazu kam es aber nie. Die Händlertruppe behielt ihren Kunden und Hoeness «den Jürg». Hügli trug den Titel «Head of Risk Management and Advisory Forex» im Bereich Financial Products, als ein «Stern»-Reporter am 14. Januar 2013 bei der Bank «dumme Fragen» stellte.
Der Notfall war da. Am 18. Januar musste ein Mitarbeiter die elektronisch archivierten Dokumente zum Kunden U.H. in eine Datei packen. Das war keine grosse Sache, die Bank arbeitet seit Jahren mit dem IT-System Avaloq, das solche Dokumentenrecherchen binnen Stunden oder Tagen erlaubt. Andere Darstellungen der Hoeness-Verteidiger hielt selbst Richter Heindl für unglaubwürdig.
Der Mythos von der Kooperation
Nur Hoeness selbst, sonst eher redselig, hatte noch etwas Mühe mit der Annäherung an die Wahrheit. Erst nannte er ein falsches Datum der Selbstanzeige. Das wahre Datum zeigte allzu offensichtlich, dass er das Dokument nur Tage nach der Anfrage des «Stern» eingereicht hatte. Dann regte er sich öffentlich über die «Wahnsinnszahlen» auf, die da in manchen Medien kursierten. Er habe Kontoauszüge und selbst die Dokumente über seinen 18-Millionen-Verlust nicht gesehen, behauptete er vor Gericht. Doch das mochte ihm der Richter nicht durchgehen lassen.
Schliesslich beteuerte er, dass er alles offenlege und mit den Behörden kooperiere. In Wahrheit hatte Steuerbeamtin Hamberger ihm viermal eine Frist gesetzt, endlich die Dokumente über seine Vontobel-Geschäfte einzureichen, «letztmalig» am 9. Dezember 2013. Hoeness lieferte nicht. Hamberger wagte am 13. Januar 2014 einen allerletzten Versuch. Hoeness' Steuerberater Ache gab ihr am Telefon eine denkwürdige Antwort: Die Entscheidung über die Vorlage von Bankdokumenten liege nun bei den Verteidigern. «Waren die Unterlagen schon da?», fragte Richter Heindl folgerichtig.
Der unbekannte Whistleblower
Während Hoeness offensichtlich mauerte, hatte sich die Lage zugespitzt. Ein unbekannter Zeuge, der bereits im Sommer 2013 aufgetaucht war, kam erneut ins Spiel. Damals hatte sich aus Mainz der Anwalt Volker Hoffmann gemeldet, ein bekannter Strafverteidiger, der Whistleblower-Fälle bei deutschen Unternehmen betreut. Hoffmann hatte sachdienliche Hinweise angekündigt, er vertrat eine Schweizer Auskunftsperson, die auspacken wollte, aber um Anonymität gebeten hatte. Im August 2013 verhandelte Hoffmann bei einem Treffen mit der Staatsanwaltschaft über ein Prozedere, wie sein Klient unter Quellenschutz aussagen könnte.
Das bayerische Justizministerium war in den Fall eingeschaltet. Die Sache wurde nun politisch, damit war die bayerische Staatsregierung involviert, in der Fussball-Tycoon Uli Hoeness so gut vernetzt ist wie kaum ein anderer Konzernlenker im Freistaat. Doch merkwürdig: Weder Staatsanwälte noch die Beamten im Justizministerium fanden einen Weg, wie sie den Informantenschutz lösen sollten. Strafverteidiger Hoffmann gab dennoch nicht auf. Er insistierte, sein Klient wolle aussagen.
Die neuen Faken kamen zu spät
«Unsere letztmalige Eingabe bei der Staatsanwaltschaft erfolgte am 24. Februar 2014», erklärte Hoffmann gegenüber dem Magazin «Bilanz». Danach muss sich die Strategie der Hoeness-Verteidiger gewandelt haben. Es drohten weitere Enthüllungen, der Zeuge hätte gegenüber der Presse auspacken können. Klar war nun auch, dass die hohen Summen auf den Tisch mussten. Eine Bewährungsstrafe war öffentlich und rechtlich nicht mehr vertretbar.
Am 27. Februar lieferten die Verteidiger einen USB-Stick. Die Ermittler konnten den Datenträger jedoch nicht lesen. Mehr als eine Woche später, am 5. März, brachten die Anwälte zwei neue USB-Sticks vorbei – mit den 70'000 Seiten aus der Bank Vontobel. Das war der Tag, auf den Steuerfahnderin Hamberger gewartet hatte, für sie der Tag der Wende. Nicht für den Richter, er verzichtete auf die gebotene Verschiebung des Prozesstermins zur Sichtung der Dokumente.
Was ist hier eigentlich passiert? Weder Staatsanwalt noch Richter erwähnten den anonymen Zeugen mit einem Wort. Hoeness trat mit einem Anwalt vor das Gericht, der auf jede nennenswerte Verteidigung verzichtete: kaum Beweisanträge, keine Beschwerden, nichts dergleichen. Er warf dem Gericht fünf Tage vor Prozessbeginn lediglich eine Tonne Papier vor die Füsse. Der Richter akzeptierte und ebenso der Ankläger. Rätselhafte Deals wurden hemdsärmelig abgeurteilt. Der Gerichtssaal war nicht der Ort der Wahrheit. Ermittlerin Gabriele Hamberger hatte wirklich keine Chance.
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