Herr Kamprad, in den letzten Wochen entstand der Eindruck, dass Sie mit Ihren drei Söhnen im Streit liegen.
Ingvar Kamprad: Wir sind nicht immer einer Meinung. Das ist allerdings normal in jeder Familie. In den wichtigsten Grundsätzen, die wir Key Principles nennen, stimmen wir dagegen hundertprozentig überein.
Wer bestimmt denn nun die Geschäftspolitik bei Ikea?
Viermal jährlich treffen wir uns bei der Ingka Holding, die von Göran Grosskopf geführt wird.
Dem früheren Chef des Getränkeverpackungskonzerns Tetra Laval ...
... der ja auch den Geschäftssitz in Lausanne hat. Göran wohnt nur zwei Kilometer entfernt von mir. In der Runde diskutieren wir, ob es Gründe gibt, an der Gesamtstrategie etwas zu verändern.
Ihre Söhne sehen Sie doch sicher häufiger als viermal im Jahr?
Wir treffen uns alle ein bis zwei Monate. Bei diesen Treffen sind aber nicht immer alle drei Söhne dabei, schliesslich will ich sie nicht zu stark von der Arbeit abhalten. Sie sollen mehr und mehr Führungsaufgaben übernehmen. Ich will zwar weniger arbeiten, doch bin ich auch mit meinen 86 Jahren immer noch zu etwas nütze.
Wer bestimmt denn, ob das klassische Ikea-Sortiment erweitert wird?
Neben der Ingka Holding gibt es die Inter Ikea ...
... die drei Prozent der Verkaufserlöse aus allen Ikea-Märkten bekommt und so die Steuerlast der Möbelhäuser senkt.
Die Inter Ikea ist doch kein Steuerkonstrukt. Bei dieser Gruppe wird ordentlich gearbeitet. Inter Ikea hat 700 Mitarbeitende, die sich neben dem Franchising auch mit der Weiterentwicklung und Kontrolle des Ikea-Konzepts befassen. So sind wir sicher, dass dieses Konzept überall eingehalten wird und neue Ideen rasch umgesetzt werden können. Im niederländischen Delft führen wir einen Ikea-Testmarkt, wo neue Verkaufsmethoden getestet werden. Das Sortiment wird dagegen bei Ikea Schweden entwickelt.
Neu sind auch Fernseher im Angebot. Ist das nicht etwas gar weit weg vom Kerngeschäft?
Die neue Führungsgeneration bei Ikea muss halt ihre Fehler selbst machen, um daraus zu lernen. Ich habe mich gegen dieses Fernsehgerät gewehrt, konnte mich aber nicht durchsetzen. Immerhin wurde mein Rat befolgt, dass man das Gerät nicht einzeln verkaufen, sondern in eine Bücherwand oder ein TV-Möbel integrieren soll.
Arbeiten Sie auch mit Ihren Söhnen zusammen, wenn es um Fragen des Sortiments geht?
Ja. Es gibt ein schönes Beispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit meinem Sohn Jonas. Auf dem Titelblatt des aktuellen Kataloges präsentieren wir den Hochlehnsessel Strandmon. Ein ähnliches Modell hatte ich schon 1951 auf der ersten Katalogseite abbilden lassen. Ich schlug vor, einen solchen Sessel, natürlich modernisiert, wieder ins Sortiment aufzunehmen. Jonas hat mir dabei geholfen. Strandmon ist bereits unser Bestseller, die Nachfrage ist riesig. Manchmal hatte ich aber auch Ideen, die nicht gelungen sind. Ich irre mich doch auch, habe in meinem Leben hundert Dummheiten gemacht.
Wie sind die Aufgaben unter Ihren Söhnen aufgeteilt?
Meine Söhne sind jeweils verantwortlich für eines der von mir gegründeten Unternehmen. Und sie sitzen alle im Gesellschafts- wie auch im sogenannten Gründervorstand. So ist mein ältester Sohn, Peter, als Vorstandspräsident für Ikano zuständig. Jonas konzentriert sich auf die Ikea-Gruppe, ist aber gleichzeitig Vorstandsmitglied bei der Ingka Holding und der Ingka Foundation. Mathias wiederum fokussiert sich auf die Inter Ikea. Da ist er Mitglied des Vorstands – ebenso bei der Interogo-Stiftung.
Ikea profiliert sich zunehmend als grüne Gesellschaft.
Das ist vor allem Peters Verdienst. Der Älteste ist mehr als grün, er ist tiefgrün.
Was heisst das?
Er engagiert sich stark für alternative Energien. Für Aktivitäten im Bereich von Solar- und Windanlagen wurde eine eigene Gesellschaft gegründet.
Ein lohnendes Geschäft?
Das wird für uns nie eine grosse Einnahmequelle sein. Immerhin finanziert es sich selbst. Unsere Experten kalkulieren mit sechs bis sieben Prozent Gewinn, wenn die Anlaufkosten einmal amortisiert sind. Wir verfügen in der Gruppe über genug Kapital, sodass wir auch noch solche Projekte finanzieren können.
In welcher Grössenordnung bewegen sich die Investitionen?
Solche Investitionen laufen über Ikea. Und da nimmt Peter Einfluss bei alternativen Energien. Er hat sein ganzes Ferienhaus in Schweden mit Solaranlagen zugeklebt. Ikea besitzt Windkraftwerke in Schottland, England, Deutschland, Holland, Polen, Frankreich und natürlich in Schweden. Momentan sind 86 Werke in Betrieb, konkrete Pläne bestehen für weitere 145. Schliesslich sollen 400 Windkraftwerke Strom liefern.
Ist Ikano eine Ikea-Tochter?
Ikano hat mit Ikea nichts zu tun, zumindest rechtlich. Ikano hatte ich schon vor Jahrzehnten für meine Söhne gegründet. Der Grund war simpel: Ich übertrug einst alle Anteile von Ikea zum Nominalwert an die holländische Ingka Foundation. Als das Geschäft besiegelt war, fragte ich mich: Und, was tust du nun für deine Söhne? Ergo haben wir Ikano gegründet, eben ganz unabhängig von Ikea.
Ikano ist heute eine bedeutende Luxemburger Finanzgruppe mit Beteiligungen an Banken und Versicherungen.
Soll ich Ihnen etwas anvertrauen?
Immerzu.
Dass wir eine eigene Bank haben, kommt nicht von ungefähr. Ich habe furchtbare Angst vor Banken und Finanzfirmen. Ich achte fast schon panisch darauf, dass Ikea ja nicht in die Abhängigkeit von Geldhäusern gerät. Zu viele Banken machen schmutzige Geschäfte
Das behindert die Expansion.
Es lässt sich nicht verhindern, dass wir weltweit mit allen möglichen Banken zusammenarbeiten. Beispielsweise nehmen wir Darlehen auf für den Bau neuer Märkte. Nur gilt dabei der strikte Grundsatz, dass die Hypotheken nach 15 Jahren zurückgezahlt sind und die Häuser dann komplett uns gehören. Das Schicksal der Ikea-Gruppe allerdings darf nicht von Finanzinstituten abhängig sein. Der gleichen Meinung sind übrigens auch meine drei Söhne.
Würde nicht auch ein Börsengang frisches Geld bringen?
Seit Bestehen von Ikea ist unsere Haltung die gleiche: Das Unternehmen geht nie an die Börse. Wir wollen uns strikte selbst finanzieren.
Nimmt die Bautätigkeit bei Ikea weiter zu? Sie sind nach China gegangen, haben nach einem Fehlstart Fuss gefasst in Japan.
Ob wir in Japan das Blatt wenden können, muss sich noch zeigen. Unser erster Versuch war fehlerhaft, jetzt haben wir sechs Ikea-Häuser in Japan. Kummer macht uns dagegen Russland.
Gilt Russland nicht als Wachstumsmarkt?
Ich meine nicht den Geschäftsgang. In Russland haben ungetreue Mitarbeiter Schmiergelder beziehungsweise Kommissionen kassiert. Ein Berufungsgericht hat uns zwar gerade recht gegeben. Doch die Ereignisse haben mich geschmerzt. Sicher, unter 131'000 Mitarbeitern gibt es immer wieder schwarze Schafe. Dennoch bin ich von diesen Leuten masslos enttäuscht, so eine Haltung verstehe ich nicht.
Sind Sie immer noch viel auf Reisen?
Mit zunehmendem Alter muss ich kürzertreten. Früher habe ich jährlich etwa drei Dutzend Ikea-Niederlassungen besucht. In diesem Jahr dürften es noch knapp zwanzig Häuser sein. Ich will auch künftig viel reisen, nicht zuletzt um noch mehr meiner Mitarbeiter kennen zu lernen. Jeder Einzelne ist wichtig. Ach, ich habe noch so viel zu tun und keine Zeit fürs Sterben.
Ihre Auftritte in der Kassenzone von Ikea sind Legende.
Nur im Gespräch mit unseren Kunden erfahre ich aus erster Hand, welche Dummheiten wir machen. Obwohl – Dummheiten machen auch andere. Ich fühle mich oft durch Bürokratie behindert. Wir sind in gegen 30 verschiedenen Ländern vertreten. Und jedes Land hat eigene Bestimmungen. Die unglaubliche Bürokratie schränkt uns ein, auch beim Bau neuer Märkte. Allerdings setze ich mich jetzt dafür ein, das Expansionstempo zu verlangsamen.
Was bedeutet das?
Wir haben zu lange zu viele neue Märkte gebaut und die bestehenden vernachlässigt. Nach meinem Gefühl sollte Ikea bis zum Jahr 2020 die Zahl neuer Häuser auf zwölf pro Jahr begrenzen. Für die Renovierung der bestehenden Filialen benötigten wir bislang 1,5 Milliarden Euro. Zusätzlich sind weitere Investitionen nötig, um wieder einen guten Standard zu erreichen. Und wenn wir etwas weniger neue Märkte bauen, erzielen wir mehr Nettogewinn und können so für Modernisierungen zusätzliche Geldmittel bereitstellen.
Und diese Renovationen steuerlich absetzen. Sie gelten ja als regelrechtes Genie in Sachen Steueroptimierung.
Grundsätzlich bezahlen wir Steuern dort, wo das Geld tatsächlich verdient wird. Die immer wieder geäusserte Kritik am Steuersparen bei Ikea ist mir unverständlich. Ich will ja nicht Steuern sparen, um ein luxuriöses Leben zu führen. Privat lebe ich bescheiden, kaufe beispielsweise Mehl und Zucker nur mit dem roten Kleber, also mit einem Preisabschlag. Doch je mehr Steuern wir einsparen, desto mehr Geld verbleibt innerhalb des Unternehmens und desto mehr können wir investieren. Was ist daran denn falsch?
Werden Sie nicht gerade wegen eines solchen Steuerkonstrukts der Stiftung Interogo heftig attakiert?
Mit zunehmendem Wachstum der Ikea-Gruppe war uns vor Jahren klar, dass wir zur weiteren Finanzierung eine Stiftung benötigen würden. Meine Rechtsberater legten mir Liechtenstein nahe, denn nur dort könne man eine Unternehmensstiftung ins Leben rufen. Die so entstandene Interogo hat eine gut durchdachte Struktur und sichert die künftige Expansion der Gruppe. Nur habe ich nicht offengelegt, dass diese Stiftung existiert, und zwar in Liechtenstein. Das war eine von den hundert Dummheiten, die ich in meinem Leben begangen habe. Dabei hat Liechtenstein in meinen Ohren keinen guten Klang. Für mich ist das auch ein Platz für zwielichtige Banken und Finanzfirmen. Nur ist Interogo eine reine Unternehmensstiftung, ich kann privat kein Geld herausziehen. Sie ist einzig dazu da, die Finanzierungsbedürfnisse der Gruppe sowie gemeinnütziger Aktivitäten zu sichern.
Sie gelten als Geizhals, scheinen allerdings in den letzten Monaten in Spendierlaune verfallen zu sein.
Inzwischen sind unsere Aktivitäten im wohltätigen Bereich tatsächlich recht umfangreich. Unsere Hauptmotivation ist es, den Armen sowie älteren und schwachen Menschen zu helfen. Zur Unterstützung von Älteren wollen wir 300 Millionen Franken einsetzen. Dazu kommen weitere Aktivitäten. Beispielsweise haben wir Hilfsaktionen für mehr als 100 Millionen Kinder in Entwicklungsländern finanziert. Oder in Äthiopien liessen wir ein Flüchtlingslager bauen.
Sie werden wohl überschwemmt mit Bettelbriefen?
Pro Tag erhalte ich drei bis vier. Doch auch Organisationen klopfen immer wieder an. So waren schon Vertreter vom Roten Kreuz bei mir. Ich habe sie wieder weggeschickt, weil das Rote Kreuz im Vergleich zu anderen Hilfsorganisationen hohe administrative Kosten aufweist. Dafür gab ich den Besuchern einen Rat: Das Rote Kreuz solle aus Genf wegziehen, denn dieser Standort ist ausgesprochen teuer. Auch Warren Buffett hat einst bei mir angeklopft. Umsonst übrigens.
Fühlen Sie sich als Schwede oder als Schweizer?
Ich wohne seit 36 Jahren in der Schweiz, seit gut zehn Jahren fühle ich mich hier in Epalinges im Waadtland als Einheimischer. Mein Lebensmittelpunkt ist klar hier. Doch im Herzen bin ich ein Schwede geblieben.
Nur gelten Sie auch in Epalinges als Geizkragen.
Es ist mir sehr wohl hier, und das Wohlergehen der Gemeinde liegt mir am Herzen. Der neue Gemeindepräsident Maurice Mischler, ein Grüner, hat mir geschrieben, um für ein Wohnprojekt der Generationen zu werben. In diesem Zentrum sollen ältere Leute gemeinsam mit jüngeren Familien leben. Ich habe Herrn Mischler eingeladen, der kam mit dem Fahrrad. Sein Konzept hat mich überzeugt. Deshalb spenden wir zehn Millionen Franken für diese Wohnanlage. Wenn das Projekt gut anläuft, werden wir noch mehr Geld hineinstecken.
Dieses Interview erschien 2012 in der BILANZ.