Seine Nachfolgerin ist gewählt: Karin Keller-Sutter. Die St. Gallerin beerbt Johann Schneider-Ammann als Bundesrat. Der Berner FDP-Politiker nahm 2010 Einsitz in die Landesregierung und ist bis Ende Jahr der amtierende Wirtschaftsminister. Fast ein Jahrzehnt prägte er die Wirtschafts- und damit auch die Aussenpolitik der Schweiz.

Was war in all den Jahren sein grösstes Verdienst? Wie hat Schneider-Ammann die Schweiz wettbewerbsfähiger gemacht? Wo kam er an seine Grenzen? Und was plant der frühere Unternehmer für die Zeit nach dem Bundesrat? Die Antworten gibt er im Interview.

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Sie kamen eben aus Washington zurück. Wie war der Flug? 
Johann Schneider-Ammann: Unruhig, an allzu viel Schlaf war nicht zu denken. 

Ihr Trip sollte den Durchbruch beim Freihandelsabkommen bringen. Fehlanzeige. 
Beim Besuch ging es um zwei Themen. Wir unterzeichneten ein Memorandum of Understanding zur Berufsbildung, das eine langfristige Zusammenarbeit definiert. Dabei geht es etwa darum, dass Tochterfirmen von Schweizer Konzernen eine Lehrlingsausbildung nach Schweizer Muster aufziehen, die über das Land ausstrahlt. Dazu traf ich drei Regierungsmitglieder – Handelsminister Wilbur Ross, Bildungsministerin Betsy DeVos, Arbeitsminister Alexander Acosta – sowie Ivanka Trump. In einem College bei Washington haben wir an einer Zeremonie teilgenommen und uns der Presse gestellt. Und dann ging es ums Freihandelsabkommen

Das Ergebnis – negativ? 
Im Handelsministerium klärten wir weitere Fragen. Wir sind seit Februar im Gespräch mit den Amerikanern, obwohl dies lange nicht öffentlich bemerkt wurde. Initiiert haben wir die Gespräche mit USBotschafter Edward McMullen. Anschliessend begann die Exploration. 

Sie drängen auf ein Abkommen? 
Ich habe in Washington klipp und klar gesagt: Wir wollen ein Freihandelsabkommen aushandeln, am liebsten noch 2019. Wir glauben, dass die Voraussetzungen für einen Vertrag weitestgehend erfüllt sind. 

Offenbar gibt es ein Grundsatzpapier. 
Wir arbeiten an einem Scoping Paper, auf dem die entscheidenden Themen aufgeführt sind. Diese werden abgearbeitet. Erfahrungsgemäss muss man in den allermeisten dieser Themen Einigkeit haben, sonst werden die nachfolgenden Verhandlungen nicht erfolgreich.

Der abtretende Bundesrat Johann Schneider-Ammann verlaesst den Saal vor der Ersatzwahl in den Bundesrat durch die Vereinigte Bundesversammlung, am Mittwoch, 5. Dezember 2018 im Nationalratssaal in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Johann Schneider-Ammann: Der abtretende Bundesrat verlässt den Parlamentssaal vor der Wahl von Karin Keller-Sutter durch die Vereinigte Bundesversammlung am Mittwoch, 5. Dezember 2018 in Bern.

Quelle: © KEYSTONE / ANTHONY ANEX

Sie konnten den Handelsbeauftragten Robert Lighthizer nicht treffen. Er ist wichtig. 
Die US-Regierung kam gerade vom G20-Gipfel in Buenos Aires und der Handelsbeauftragte Robert Lighthizer wurde damit betraut, das neunzigtägige Stillhalteabkommen zwischen den USA und China umzusetzen. Deshalb war er – wider Erwarten – absorbiert. 

Wird die Landwirtschaft wieder zum Stolperstein – wie vor zehn Jahren? 
Eine Einigung scheint uns möglich. Allerdings sind vor den Verhandlungen gewisse Dinge zu klären, etwa der Umgang mit unterschiedlichen Produktionsmethoden und Deklarationsvorschriften. 

Die Schweizer Bauern werden nicht auf die Barrikaden steigen? 
Wir werden Lösungen finden, die auch für die Bauern stimmen. Die Schweizer Landwirtschaft ist in den letzten Jahren wettbewerbsfähiger und flexibler geworden. Wir haben eben ein Freihandelsabkommen mit Indonesien abgeschlossen, dabei ging es auch um Landwirtschaftsfragen, Stichwort Palmöl. Mir ist keine Kritik der Bauern zu Ohren gekommen. Oder nehmen wir die Handelsgespräche mit den Mercosur-Ländern: Zuerst gab es viel «Geheul», danach haben sich im Dialog die Fronten beruhigt. Nationalrat Res Aebi, Präsident der Arbeitsgemeinschaft für Schweizer Rinderzucht, war auch auf der Reise. Er hat sich ebenfalls positiv geäussert. Wenn wir nach Indonesien auch eine Vereinbarung mit den Mercosur-Ländern abschliessen, werden dies die Amerikaner positiv zur Kenntnis nehmen. 

Vor zehn Jahren stieg die Schweiz aus den Verhandlungen aus. Die USA wollen sich kaum ein zweites Mal vorführen lassen. 
Vorführen ist das falsche Wort. Aber klar wissen die Amerikaner, dass die Schweiz den Rückzug antrat. Nichtsdestotrotz habe ich festgestellt: Die Schweiz geniesst viel Goodwill, auch wegen der Schutzmachtmandate für die USA, wegen der Rolle, welche die Schweiz in der Welt spielt, wegen unseren bilateralen Freihandelsabkommen, die wir vorantreiben, des Know-how-Transfers in der Berufsbildung. Ich bin überzeugt: Wir müssen noch ein, zwei wichtige Themen bereinigen, dann kommt es zu Verhandlungen.

Ende Jahr geben Sie Ihr Departement auf. Keine Angst, dass Ihre Nachfolgerin, Ihr Nachfolger sich nicht mehr derart für den Freihandel ins Zeug legt? 
Sie erwarten doch nicht, dass ich meine Nachfolge kommentiere! (lacht) Ich persönlich schätze die Bedeutung des Freihandelsabkommen als hoch ein. Mir waren schon als Unternehmer zwei Dinge wichtig: Die Schweiz muss im Innern ihre Flexibilität möglichst hochhalten, etwa beim Arbeitsmarkt. Gegen aussen gilt es, die Markzugänge aufrechtzuerhalten. Das ist kein Selbstzweck, sondern dient dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und damit die Beschäftigung. 

Ihr wichtigster Entscheid in Ihren acht Jahren als Wirtschaftsminister? 
Zentral war für mich, den Abschluss von bilateralen Freihandelsabkommen systematisch voranzutreiben; in meinen acht Jahren haben wir elf Abkommen unterzeichnet, sechs weitere sind in dieser Phase in Kraft getreten. Im Innenverhältnis haben wir das Arbeitsgesetz offen und flexibel gehalten. Ich habe in meiner Politikerkarriere immer wieder Nein gesagt zum Ausbau von flankierenden Massnahmen – und wurde oft heftig angegriffen. 

Die neu in den Bundesrat gewaehlten Simonetta Sommaruga und Johann Schneider-Ammann legen das Geluebde, respektive den Eid, auf ihr neues Amt ab, aufgenommen am 22. September 2010 in Bern. (KEYSTONE/Karl-Heinz Hug)

Johann Schneider-Ammann: Bei der Vereidigung 2010.

Quelle: PIRATE SPLINT

Was haben Sie zur Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz beigetragen? 
Im Bildungssystem haben wir viel getan zur Stärkung der Innovationskraft, mit dem Innovationspark, mit der Gründung von Innosuisse. Mit Horizon 2020 konnten wir den internationalen Austausch der Wissenschaft sichern. Dann sorgte ich in meinem Departement dafür, dass der Personalkostenzuwachs – trotz neuen Aufgaben – sehr bescheiden ausfiel. 

Im Gegensatz zum Uvek, wo der Personalbestand explodierte. 
Ich rede vom Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung. Wenn Sie mehr über andere Departemente wissen möchten, bewerben Sie sich um einen Sitz in der Landesregierung (lacht). 

Apropos Landesregierung: Sind die Prioritäten richtig gesetzt, wenn der Bundesrat viermal über eine Finanzzuwendung bei der Seilbahn Weissenstein bei Solothurn debattiert, aber Grosses wie die Bildung vertrödelt? 
Es gibt überall Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung, das gilt auch in der Privatwirtschaft. Da wird oft auch auf höchster Ebene über Büro- oder Parkplatzverteilung debattiert. 

Also kein Reformbedarf? 
Ich war früher so kritisch wie Sie. Mittlerweile wandelte ich mich vom Saulus zum Paulus. Vielleicht haben wir manchmal etwas lange über eine halbe Stelle debattiert. Aber mit jeder Stelle entstehen Kosten. Ich stelle fest, dass der Bund durchorganisiert und leistungsfähig ist – gerade auch im Vergleich mit dem Ausland. 

Genügt dieser Stil in der Digitalisierung
Mir ging es schon als Unternehmer manchmal auch nicht schnell genug. Im Sommer 2017 trug ich die Idee in den Bundesrat, rasch 150 Millionen Franken für die Digitalisierung bereitzustellen. Und zwar für die Aus- und Weiterbildung, damit die arbeitende Bevölkerung den Anschluss nicht verliert. Ich bekam das Geld damals nicht. Ein halbes Jahr später gelangte ich mit der genau gleichen Vorlage in den Bundesrat – und wollte nun 213 Millionen (schmunzelt). Das hat geklappt, allerdings kompensieren wir den grossen Teil intern. Im Zeitalter der Digitalisierung ist ein halbes Jahr viel. 

Liegt die Schweiz da im Rückstand? 
Ich vergleiche uns mit Deutschland. Dort wurde früh ein Staatssekretariat mit hundert Mitarbeitenden gegründet. Man ist dort aber kaum weiter als die Schweiz, die viel kleinere Brötchen bäckt. 

BILDPAKET -- ZUM JAHRESRUECKBLICK 2018 OKTOBER, STELLEN WIR IHNEN HEUTE FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG -- Bundesrat Johann Schneider-Ammann posiert mit einem Saeuli, an der Eroeffnung der 76. OLMA Schweizer Messe fuer Landwirtschaft und Ernaehrung, am Donnerstag, 11. Oktober 2018, in St. Gallen. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)

Johann Schneider-Ammann: Auf Tuchfühlung mit der ländlichen Schweiz an der Olma in St. Gallen.

Quelle: KEYSTONE/Gian Ehrenzeller

Sie waren der Digitalturbo im Bundesrat. Wie gross ist die Gefahr, dass das Thema nun von der Agenda verschwindet? 
Die Digitalisierung wird ein Thema bleiben. Denn sie wird den Arbeitsmarkt noch viel stärker verändern, als wir uns dachten. Das Thema muss im Land prominent diskutiert und positioniert werden. Ich stelle allerdings fest, dass vielerorts noch das Bewusstsein für die Dringlichkeit fehlt. 

Kann das gut gehen? 
Am Schluss wird der Markt ein Umdenken erzwingen. Erst wenn wir merken, dass uns die Konkurrenz den Rang abläuft, wird etwas geschehen. Wer nicht über die Bildungsgrundlagen verfügt, um in der Digitalisierung zu bestehen, droht aus dem Markt herauszufallen. Deshalb tut Anpassung not. Es braucht leider den Druck von aussen. 

Auch für den Bundesrat
Das gilt für den Bundesrat wie für die Wirtschaft, die Bevölkerung oder für Chefredaktoren. Ich habe mir vorgenommen, mich verstärkt mit Blockchain auseinanderzusetzen. Bei mir zu Hause stapeln sich Bücher, die ich nächstes Jahr lesen werde. 

Sie sagten, Sie seien als Bundesrat im Herzen Unternehmer geblieben. Kehren Sie in die Wirtschaft zurück? 
Ja. Ich werde kaum auf dem Ofenbänkli sitzen bleiben. 

Eine Karriere als Profi-Verwaltungsrat? 
Es liegen Angebote vor; ich werde mir überlegen, ob ich diese annehmen will. Dann schwebt mir vor, eine kleine Schreinerei zu betreiben. 

Sie waren Verwaltungsrat beim Maschinenbauer Mikron, der zur Ammann Group gehört. Geben Sie Ihr Comeback? 
Es machte Spass und war spannend. Mein Sohn, der die Ammann Group leitet, bestimmt die Ammann-Vertretung bei Mikron. Er hat mich noch nicht gefragt. Zugleich will ich auch reisen und wieder einmal Golf spielen. 

Sie haben sich als Bundesrat für Startups eingesetzt. Wird dies so bleiben? 
Ja, ganz sicher. Die privat finanzierte Swiss Enterpreneurs Foundation mit einem 500-Millionen-Fonds startet bald, auch wenn es anfangs eher zäh war. Mit dem Fonds helfen wir Startups über die Phase eins. Das soll nicht nur in Kalifornien möglich sein, sondern auch in der Schweiz

In Kalifornien haben Sie selber früher in Startups investiert. 
Das ist richtig. Eines ging bachab, andere haben abgehoben. 

Sie werden wieder investieren? 
Ja, mich fasziniert Biotech. 

An Startup-Events sind Sie stets aufgeblüht. Der Geist der Jungunternehmer hat Sie mehr beflügelt als die Politik in Bern
Ich habe es genossen, von der Startup-Szene eingeladen zu wurde. Wir alle können von ihrem unternehmerischen Spirit viel mitnehmen.