Die Niederlage wurde erwartet, doch dass sie so klar ausfällt, müsste dem einen oder der anderen zu denken geben: Schweizweit wurde die Pensionskassenreform klar abgelehnt. Eine wuchtige Ohrfeige für Bund und Parlament – und für die bürgerlichen Befürworter der Gesetzesreform. Ihre Kampagne war mut- und saftlos. Es schien, als habe das Pro-Team selbst nicht wirklich an die die Vorlage geglaubt.

«Die Pensionskassenvorlage war zu kompliziert», hört man nun überall. Und das hörte man präventiv schon vor dem Abstimmungssonntag. Doch das ist eine Ausrede. Auch Energievorlagen sind kompliziert, oder internationale Staatsverträge. Und so kompliziert war die Rentenvorlage auch nicht. Im Kern besagte sie: Wir werden älter und müssen daher mehr in die Pensionskassen einzahlen, um die Lebenserwartung auszugleichen. Sonst gibt es weniger Rente. Das versteht jeder, auch wenns unangenehm ist.

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Allen, die sich jetzt über das Nein beklagen, muss klar sein: Das Stimmvolk hat sich 2024 nicht für oder gegen einen Ausbau der Vorsorgewerke entschieden. Denn es hat beides getan: Die AHV ausgebaut und die Pensionskassen ausgebremst. Es hat sich für mehr Umverteilung und weniger Eigenvorsorge ausgesprochen. Die bürgerliche Ratshälfte hat den Klassenkampf der Rentensysteme verloren.

Und während die Linke im Abstimmungskampf klar diesen Kampf der Systeme ausspielte und ihre Gefolgschaft entsprechend abholte, scheinen die Bürgerlichen die ideologische Komponente noch nicht einmal erkannt zu haben. Entsprechend lahm war die Gegenwehr. Wenn jemand die Abstimmung zu einer technischen Sache machte, dann das Pro-Komitee.

Offenbar werden Pensionskassen – die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam geführt werden – von vielen als unsoziale Vorsorgewerke gesehen. Den Arbeitgeberverbänden gelingt es nicht, aufzuzeigen, dass eine PK auch zum Nutzen wenig verdienender Angestellten ist. Und wenn Gewerbler nur daran interessiert sind, möglichst wenig in die Pensionskassen ihrer Angestellten einzuzahlen, müssen sie sich nicht wundern, wenn diese lieber für den Ausbau der AHV stimmen. Hier müssen ein paar bürgerliche Sozialpolitiker und Sozialpolitikerinnen über die Bücher gehen.

«Umwandlungssatz 5,0 Prozent oder weniger? Ist schon heute Realität bei vielen Kassen.»

Was ist die Folge des Neins zur Rentenreform? Kurzfristig nicht viel. Es bleibt alles, wie es ist.

Langfristig dürfte das Nein zu etwas führen, das eigentlich auch den Linken nicht gefallen dürfte: Das BVG, als massgebliches Gesetz über die Pensionskassen, verliert weiter an Bedeutung – und Einfluss. Man leistet sich auf dem Papier wunderbare Vorschriften wie den Umwandlungssatz von 6,8 Prozent. Doch das real existierende Vorsorgewesen hält sich schon lange – und zunehmend – nicht mehr daran.

Arbeitgeber, die ihre Pensionskassen modern aufstellen, leisten sich überobligatorische Leistungen mit höheren Lohnabzügen, als vom Gesetz vorgeschrieben. Denn wer mehr einzahlt, muss sich nicht direkt an die gesetzlichen Minimalregeln halten. Umwandlungssatz 5,0 Prozent oder weniger? Ist schon heute Realität bei vielen Kassen. Lohnbeiträge auf dem vollen Lohn? Auch das gibt es mancherorts. Um das BVG müssen sich solche Kassen nicht kümmern.

Man könnte die Diskussionen um das Gesetz als Schattenboxen abtun, gäbe es nicht einen Teil der Bevölkerung, der weiterhin nur obligatorisch versichert ist. Die Linke behauptet, sich mit dem Nein für genau diese Leute eingesetzt zu haben. Doch das gilt höchstens, wenn man zwei Mal um die Ecke denkt.

«Am Ende gilt das BVG für gar niemanden mehr.»

Teilzeitangestellte und Leute mit tiefen Löhnen – meist Frauen – werden weiterhin kaum Geld für eine Pensionskassenrente ansparen können und sind im Alter entsprechend auf Ergänzungsleistungen zur AHV oder andere Unterstützer angewiesen. Damit entfällt auch die Möglichkeit eines Vorbezugs aus der Pensionskasse – etwa, um sich selbstständig zu machen.

Gleichzeitig dürften es kleine Unternehmen, die ihren Angestellten nur das Minimum ins Vorsorgekässeli einzahlen wollen, immer schwerer haben, eine Sammelstiftung oder einen Lebensversicherer zu finden, der das überhaupt noch anbietet. Sie werden vom Markt zur faktischen Rentenreform gezwungen werden. Am Ende gilt das BVG dann für gar niemanden mehr.

Das Nein zu Reformen könnte dahin führen, woher die berufliche Vorsorge historisch kommt: In eine wenig regulierte Welt, in der nur die Mittel- und Oberschicht mit einer guten Pensionskassenrente rechnen kann. Und in der mehr Geld über AHV, Ergänzungsleistungen und Steuern nach unten umverteilt werden wird. Es ist genau die Welt, die sich die linken Abstimmungssiegerinnen und Abstimmungssieger wünschen.