Die Corona-Pandemie hat die Welt im Griff, einige Länder sind stärker betroffen als andere. Und so reagieren auch Regierungen unterschiedlich auf die Krise. Dabei fällt eins auf: Länder, in denen Frauen an der Spitze stehen, scheinen die Krise besser im Griff zu haben. Ein Zufall?
Deutschland, Neuseeland, Finnland, Dänemark und Island gehören zu den Staaten, welche die Pandemie erfolgreich managen. Sie haben niedrige Infektionsraten und/oder wenige Todesfälle. Und sie werden alle von Frauen regiert.
In Bezug auf die Sicherheit der Menschen in der Corona-Krise ist Deutschland derzeit das sicherste und stabilste Land in Europa – und das zweitsicherste der Welt. Das besagt eine Datenanalyse des Londoner Think Tank Deep Knowledge Group (DKG). Nur Israel manage die Krise noch besser. In ihren Rankings sammeln die Experten Angaben über die Dauer der Ausgangsbeschränkungen, die Zahl der Verstösse, die Reisebeschränkungen, flächendeckende Tests sowie die Ausstattung der Krankenhäuser.
«Deutschland war angesichts seiner anfangs hohen Infektionszahlen äusserst effizient und hat eine weitere Ausbreitung der Krankheit erfolgreich gestoppt, ohne das Niveau anderer Staaten zu erreichen – dadurch wird Deutschland nach der Pandemie erhebliche wirtschaftliche Vorteile haben,» sagte DKG-Datenexperte Dimitry Kaminsky dem «Spiegel».
Erfolgreiches Krisenmanagement
Die Schweiz schneidet weltweit auf Rang elf ab, im europäischen Vergleich ist sie sogar auf dem zweiten Platz. Auch hier führt mit Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga eine Frau durch die Krise. Allerdings hat die Schweiz mit fast 26’000 Fällen nach Spanien die zweithöchste Infektionsrate pro 10’000 Einwohner.
Andere Länder haben die Ausbreitung des Coronavirus ebenfalls erfolgreich eingedämmt, aber jene mit Staatschefinnen stechen besonders hervor. Woran das liegt? Sie gingen entschlossen vor, waren sehr transparent und zeigten gleichzeitig aber auch Empathie gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern. So reagierten die Länder im Einzelnen:
Das 5-Millionen-Land rief vor drei Wochen den Notstand aus, obwohl es damals nur etwa 100 Fälle des Virus gab, das öffentliche und wirtschaftliche Leben ist seither lahmgelegt. Bereits eine Woche zuvor machte das Neuseeland die Grenzen dicht, ausser den Bürgern des Landes darf seither niemand mehr einreisen. Eine straffe Massnahme: Normalerweise zählt Neuseeland 4 Millionen Touristen jährlich. Zudem müssen heimkehrende Neuseeländer 14 Tage lang in Quarantäne.
Premierministerin Jacinda Ardern ging entschlossen vor. Seit ihrer Amtsübernahme im Jahr 2017 hatte sie bereits einige Krisen zu meistern, etwa die Terroranschläge auf Moscheen in Christchurch im vergangenen Jahr. Aber auch international fiel sie auf durch ihre Entschlossenheit im Kampf gegen den Klimawandel.
Gleichzeitig setzt sie auf Transparenz und Mitgefühl. Regelmässig spricht sie zu ihren Mitbürgern – etwa per Facebook-Videobotschaft von zuhause.
Ihr Krisenmanagement zahlt sich aus, bereits Anfang April hatten die täglichen Infektionsraten ihren Höhepunkt erreicht, seither sinkt die Kurve. Bisher gibt es in Neuseeland weniger als 1400 Fälle von Covid-19, nur neun Menschen sind an der Lungenkrankheit gestorben.
Taiwan: Tsai Ing-wen
Entschlossenheit im Umgang mit der Pandemie zeigt auch Tsai Ing-wen, Taiwans erste Präsidentin. Sie reagierte sehr schnell: Bereits im Januar ergriff das Land Massnahmen, um die Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern – allerdings ohne Lockdown. Mit ruhiger Hand und Gelassenheit brachte sie das Virus sehr schnell unter Kontrolle. International gilt das Land bereits als Vorzeigeland im Umgang mit dem Virus: Derzeit gibt es bei 24 Millionen Einwohnern gerade einmal rund 350 Covid-19-Infektionen und nur sechs Todesfälle – und das trotz der geografischen Nähe zu China.
Nun will Präsidentin Tsai Ing-wen anderen Staaten helfen: Pro Tag sollen bald 15 Millionen Schutzmasken hergestellt werden. Taiwan spendet 10 Millionen Masken an mehrere europäische Länder, etwa Spanien und Italien, sowie an die USA. Im Januar hatte das Land noch den Export von Schutzmasken verboten, um zunächst die eigene Bevölkerung damit zu versorgen.
Deutschland: Angela Merkel
Bundeskanzlerin Merkel setzt auf Transparenz. Sie verschwieg der deutschen Bevölkerung nicht den Ernst der Lage, als sie Anfang März öffentlich sagte, dass 60 bis 70 Prozent der Menschen im Land mit dem Coronavirus infiziert werden könnten. Das klang zunächst schockierend, zeigt aber, dass Merkel die Pandemie von Anfang an ernst nahm. Bisher wurden in Deutschland 1,3 Millionen Menschen getestet. Zum Vergleich: In der Schweiz wurden 200’000 Tests durchgeführt. Mit 130’000 Covid-19-Infektionen ist Deutschland zwar an fünfter Stelle weltweit, aber die Zahl er Todesfälle ist mit 3500 relativ gering.
Seit mehr als drei Wochen gelten strenge Regeln, um die weitere Ausbreitung des Erregers einzudämmen. Schulen, Universitäten und Kinderbetreuungsstätten sind geschlossen, es gibt Kontaktverbote im 80-Millionen-Land. Bisher sind die Ansteckungszahlen zwar leicht zurückgegangen, Experten sehen aber noch keine Trendwende und warnen davor, die Massnahmen zu früh zu lockern.
Island: Katrín Jakobsdóttir
Island reagiert auf die Corona-Krise mit kostenlosen Tests für weite Teile seiner 340’000 Einwohner. Die meisten Länder testen nur Menschen mit Symptomen, teilweise auch nur, wenn sie sich vorher in Risikogebieten aufhielten oder mit anderen Infizierten in Kontakt waren.
Islands Premierministerin Katrín Jakobsdóttir hat rasch umgesetzt, was sie versprochen hat. Derzeit werden 106 Menschen pro 1000 Einwohner getestet. Das ist mit Abstand das flächendeckendste Testing weltweit. Zum Vergleich: In der Schweiz wurden bisher 23 von 1000 Personen getestet.
Statt auf Lockdown setzt Island auf Handy-Tracking. Seit Anfang April «überwacht» das Land seine Bürgerinnen und Bürger – die Nutzung ist jedoch freiwillig. Per App werden die Bewegungsprofile der User aufgezeichnet, die Daten werden für zwei Wochen auf den jeweiligen Smartphones gespeichert. Bisher gibt es auf der Insel 1700 Corona-Fälle, acht Menschen sind gestorben.
Finnland, Norwegen, Dänemark
Finnlands Premierministerin Sanna Marin ist mit 34 Jahren die jüngste Regierungschefin der Welt. Sie greift in der Krise zu ungewöhnlichen Mitteln: So hat sie Influencer in den sozialen Medien aufgerufen, die Regierung zu unterstützen und die Menschen zu informieren. Zudem verhängte sie einen Lockdown über das 5,5-Millionen-Land. Die Region um die Hauptstadt Helsinki war lange am stärksten betroffen, Marin verhängte ein Ein- und Ausreiseverbot – seit heute ist es wieder aufgehoben. Das Ergebnis: Rund 3000 Infizierte und 64 Todesfälle hat Finnland bisher.
Norwegen war eins der ersten Länder in Europa, welches mit einem weitgehenden Lockdown auf die Pandemie reagierte. In Norwegen sind 6600 Menschen infiziert, 140 sind an den Folgen des Coronavirus gestorben. Die norwegische Premierministerin Erna Solberg gab Mitte März im Fernsehen ein kurze Pressekonferenz für Kinder, um Fragen von Kindern aus dem ganzen Land zu beantworten.
Kurz zuvor hatte ihre dänische Amtskollegin Mette Frederiksen dasselbe getan. Beide Länder haben strenge Massnahmen ergriffen, um die Pandemie einzudämmen, so dürfen etwa keine Ausländer mehr einreisen, Schulen sind geschlossen. Nun sollen die Massnahmen allerdings schrittweise gelockert werden. Dänemark will einige Massnahmen früher lockern als zunächst geplant. Denn die Zahl der Coronavirus-Fälle, die im Krankenhaus behandelt werden müssten, sinken, sagt Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Heute öffnen nach einem Monat Kindergärten Primarschulen wieder. Von den 5,6 Millionen Einwohnern Dänemarks sind 6500 infiziert, 300 sind gestorben.
Empathie vs. Kriegsrhetorik
Das Krisenmanagement dieser Regierungschefinnen zeigt also Wirkung, dabei scheinen sich vor allem ihr entschlossenes Vorgehen, klare Kommunikation, aber auch Empathie und Vertrauen auszuzahlen.
Das Gegenteil ist übrigens bei einigen ihrer männlichen Amtskollegen zu sehen: Es gibt eine Reihe von Staatschef, die in der Corona-Krise auf Autorität und Kriegsrhetorik setzen, den Ernst der Lage lange Zeit heruntergespielt oder gar mit dem Finger auf andere Länder zeigen haben – etwa Trump, Bolsonaro oder Orban.
Frauen haben einen anderen Führungsstil und eine andere Art Macht auszuüben. Die Corona-Krise macht dies einmal mehr deutlich. Auch wenn Frauen nicht automatisch die besseren Führungskräfte sind, fällt doch auf, wie viele Frauen in dieser schwierigen Zeit ihre Länder zuverlässig führen.
Wer am Ende alles richtig macht, wird sich wohl erst später zeigen. Aber vielleicht wird diese Krise dazu führen, neu über gute Führungskultur nachzudenken. Es gibt genügend Vorbilder.