Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi dürfte heute seinen Rücktritt anbieten. Hintergrund ist eine Vertrauensabstimmung im Parlament, welche von der Fünf-Sterne-Bewegung boykottiert wird. Die vom ehemaligen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte geführte Partei ist die zweitgrösste Fraktion. Sie gehört eigentlich zur Regierungskoalition.
Stein des Anstosses ist eine Abstimmung über ein Hilfspaket für Unternehmen und Haushalte, die von den hohen Energiepreisen betroffen sind. Die Partei von Conte ist mit den Massnahmen des Dekrets nicht zufrieden. Sie fordert mehr Hilfsgelder, etwa für Familien, und ist bereit, darüber die politische Stabilität zu opfern.
Draghi dürfte bereits heute Abend zu Staatspräsident Sergio Mattarella gehen, um ihm den Rücktritt anzubieten. Mattarella hat Draghi Anfang 2021 damit beauftragt, eine Regierung zu führen. Es ist unklar, ob der Präsident den Rücktritt des 74-jährigen Premierministers akzeptieren wird. Mattarella könnte den ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank bitten, in einer neuen Abstimmung nach einer Gesprächsrunde die Unterstützung aller Verbündeten zu suchen.
Ein Scheitern der Koalition könnte zu vorgezogenen Neuwahlen führen, möglicherweise im Herbst, aber die meisten Parteien würden versuchen, dies zu vermeiden.
«Whatever it takes»
Wie es jetzt weitergeht, ist unklar. Es gibt tatsächlich Kräfte, die auf Neuwahlen drängen. Das Gros der Politik will das aber nicht mittragen – zu gross sind die Unsicherheiten.
Ein Wechsel an der Spitze war jedenfalls nie wahrscheinlicher. Ausgerechnet jetzt, da der Euro in die nächste Zerreissprobe schlittert, wackelt der Stuhl von Mario Draghi, eines Europäers durch und durch, auch eines Finanzfachmanns – geübt im Umgang mit Feuerwehrsituationen.
Draghi war federführend, als die Euro-Zone 2011 in die bisher grösste Krise aller Zeiten schlitterte. Seinerzeit ging die Angst einer griechischen Staatspleite um. Die Griechen hatten ihre Finanzen geschönt und mussten ein hartes Sparpaket akzeptieren.
Die Finanzmärkte nahmen anschliessend die anderen Euro-Länder Südeuropas ins Visier. Italien, Spanien und Portugal lebten plötzlich prekär.
Draghi leitete damals die EZB und prägte die berühmten drei Worte «Whatever it takes».
Was auch immer notwendig ist – der Euro als Gemeinschaftswährung darf nicht scheitern: Das war sein Mantra. Er packte die grosse Geldkanone aust und rettete den Euro mit dieser ungewöhnlichen Massnahme.
Zweite Zerreissprobe der Euro-Zone
Jetzt befindet sich die Euro-Zone in ihrer zweiten grossen Zerreissprobe. Draghi steht erneut mitten im Sturm.
Das Vertrauen in italienische Anleihen hat nachgelassen. Investoren und Investorinnen verlangen aktuell für zehnjährige italienische Staatsobligationen rund 2 Prozentpunkte höhere jährliche Zinsen als für deutsche.
Vor einem Jahr betrug dieser Aufschlag für das höhere Kreditrisiko Italiens lediglich 1 Prozentpunkt. Hält das erhöhte Zinsniveau längere Zeit an, wird das zum Problem: Es bremst die Wirtschaft und belastet den Staatshaushalt, sodass die Schulden weniger tragfähig werden.
Helfen würden in einer solchen Situation Reformen, um die Volkswirtschaft effizienter und wettbewerbsfähiger zu machen. Spanien ist dies nach der Euro-Krise gelungen, Italien hingegen kaum. Draghi wäre der Mann, der diese Massnahmen durchpeitschen könnte. Wenn er weg ist, wird es eng.
Problemland Italien und der Euro
Italien wird so zum Problemland. Verschuldet, festgezurrt in einem inländischen Politpatt, ohne klare politische Richtung, langsam zu Boden gedrückt von steigenden Zinsen. Der Euro leidet bereits darunter.
Gegenüber dem Dollar ist er auf den tiefsten Stand seit der Einführung gefallen. Die Paritätsgrenze zum Franken hat er mittlerweile deutlich unterschritten.
Dabei hat der Euro auch noch andere Stahlbäder auszustehen. Die Inflation galoppiert davon und belastet die Kaufkraft. Das kommt einer drastischen Lohnreduktion gleich, die auf den Konsum drückt und so die Wirtschaftskraft reduziert.
Ausserdem droht eine Energiekrise, Gasrationierungen sind möglich – und wieder dürfte es Italien besonders hart treffen: 39 Prozent des gesamten Energieverbrauchs stammen aus importiertem Erdgas.
Zum Vergleich: In Deutschland sind es 24 Prozent, in Frankreich 16 Prozent. Falls sich die Versorgungslage weiter zuspitzt, leidet die Wirtschaft, was die Staatsfinanzen zusätzlich belastet.