Die russische Wirtschaft zeigt sich widerstandsfähiger als erwartet. Nach anderthalb Jahren der härtesten, umfassenden Sanktionen weltweit stellt sich daher die Frage: War es das wert? Oder waren die westlichen Sanktionen gegen Russland unnötig und überflüssig?
Es ist wahr, dass Sanktionen noch nie ein Land zum Zusammenbruch gebracht haben – siehe Kuba, Iran, Venezuela. Auf der anderen Seite kann man jedoch auch argumentieren, dass Wandel durch Handel auch noch nie funktioniert hat. Russland und China sind dafür die besten Beispiele.
Dass das russische BIP, die Einzelhandelsumsätze, Industrieproduktion und Arbeitslosenzahlen wieder nach oben zeigen, hat verschiedene Gründe: die Kriegswirtschaft, die verzögerte Energiewende im Westen, das schnelle und entschlossene Handeln der russischen Zentralbank. Nicht zu vergessen die Unterstützung von Peking.
Doch wie es im Inneren Russlands tatsächlich aussieht, wissen wir nicht. Die russische Regierung hat etwa vergangene Woche die Ausfuhr von Benzin und Diesel mit sofortiger Wirkung verboten, um den russischen Treibstoffmarkt zu stabilisieren. Es ist unwahrscheinlich, dass es Elite und Volkswirtschaft so blendend geht, wie der Metall-Oligarch Oleg Deripaska – ein Putin-Freund – in der «Financial Times» behauptet. Hinzu kommt ein verheerender Braindrain. Wer kann, verlässt Russland. Im Prinzip verhält es sich mit Russlands Wirtschaft für den Westen aktuell wie mit Schrödingers Katze: Wir können keine eindeutige Aussage darüber treffen, wie tot oder lebendig sie tatsächlich ist.
Es war von Anfang an klar, dass Sanktionen eher langfristig wirken.
Bei der Bewertung von Sanktionen spielt die Frage, ob diese am Ende ein wirtschaftliches Eigentor waren, eine untergeordnete Rolle. Fast wichtiger als ihre Wirkung ist das Signal, das von Sanktionen ausgeht. Und das Signal heisst: Eine Grenzverschiebung mit Gewalt ist inakzeptabel. Es liegt nicht nur im Eigeninteresse des Westens, Putin aufzuhalten, da er bei einem Erfolg seiner Invasion kaum an der ukrainischen Landesgrenze Halt machen wird. Für den Westen ergibt sich aus seiner Geschichte und seinem Bekenntnis zum Völkerrecht eine moralische Verpflichtung, jede nichtmilitärische Waffe zu nutzen, die ihm dafür zur Verfügung steht. Dass die Sanktionen auch für den Westen negative Auswirkungen haben, befreit die westliche Welt nicht von der Pflicht, mithilfe von Sanktionen für die eigenen Werte einzustehen.
Der Initialfehler wurde bereits begangen, als sich der Westen – insbesondere Europa – von Russlands fossilen Energien abhängig gemacht hat. Würde Europa nicht zumindest versuchen, sich schnellstmöglich davon zu lösen, bliebe es nur noch länger erpressbar. Und es müsste sich den Vorwurf gefallen lassen, Putins Kriegskasse bewusst weiter zu füllen.
Es war von Anfang an klar, dass Sanktionen kurzfristige Schocks verursachen können, aber eher langfristig wirken. Die Tatsache, dass viele Länder nicht daran teilnehmen, erleichtert es Moskau, die Sanktionen zu umgehen. Die Frage der Effektivität ist zudem nicht geklärt, da es beispielsweise Zeit braucht, um Sanktionslücken zu schliessen. Darum konzentriert sich das Seco bei seiner Sanktionskontrolle zum Beispiel auch zunehmend auf die Verhinderung von Umgehungsgeschäften. Das kann dauern und frustrierend sein, ist aber die einzig richtige Vorgehensweise für alle Länder, die sich zu einer freien Welt zählen. Jetzt Sanktionen zu lockern, mit dem Argument, sie würden eh nichts bewirken, würde dagegen den Aggressor am Ende noch belohnen – und ihn ermutigen.
Seco-Chefin Helene Budliger Artieda über ihr Führungsverständnis, Sanktionsumgehungen von Schweizer Firmen und die gescheiterten Panzerexporte. Zum Interview